Konsequentes Rampengestehe

Von Jörn Florian Fuchs |
Mit der Premiere von "Rienzi" erlebte die Oper Leipzig zu ihrer Wiedereröffnung einen veritablen Reinfall. Da aus dem Graben vor allem laute Töne kamen, hatte das Sängerensemble zu tun, gegen den Orchesterkrach anzukommen. In der Wagner-Oper geht es um den Volkstribun Rienzi im Rom des 14. Jahrhunderts.
Wer bis vor kurzem die Leipziger Oper besuchen wollte, stand vor verschlossenen Türen. Denn statt theatralen Heroen und musikalischen Helden brachten solide Handwerker und künstlerisch begabte Innenausstatter das Haus auf Trab (Kosten: 9,3 Millionen Euro). Jetzt erstrahlt es in neuem Glanz, mit aufgehübschten Wandfliesen aus feinstem Meissner Porzellan, hellerer Farbe und mehr Beinfreiheit im Zuschauerraum sowie – auch das tat dringend Not – sanierten Toiletten.

Kurz vor der festlichen Einweihung gab es jedoch etliche Misstöne. Intendant Henri Maier wurde aus immer noch ziemlich unklaren Gründen geschasst und Chefdirigent Riccardo Chailly machte vor allem durch Abwesenheit Schlagzeilen, lediglich eine Neuproduktion pro Spielzeit wird er fürderhin dirigieren, dafür jede Menge Konzerte im Leipziger Gewandhaus – dort ist er nämlich ebenfalls Chef. Zudem folgt Chailly besonders gern Gastengagements mit diversen Klangkörpern in diverse Länder. Auch auf die eigentlich ja sehr prestigeträchtige Wiedereröffnungspremiere verzichtete der GMD und zog es vor, das Geschehen vom Parkett aus zu verfolgen. Vermutlich hat er sich im Nachhinein dann doch geärgert, den Taktstock verweigert zu haben.

Denn Wagners "Rienzi" ist ein – in mehrfachem Sinne – schweres Stück, das sich nicht mal so eben locker aus dem Frackärmel schütteln lässt. Kapellmeister Axel Kober jedenfalls zauberte vor allem unerwartete Lautstärkewechsel, fantasiereiche Tempi und merkwürdige Rubati herbei. Da aus dem Graben vor allem laute Töne kamen, hatte das Sängerensemble gut zu tun, gegen oder über den Orchesterkrach zu kommen, richtig gelang das einzig Elena Zhidkova (Adriano). Stefan Vinke (Rienzi) mühte sich redlich, fand im ersten Aufzug noch zu etlichen formschönen Momenten, indes die K(r)ämpfe nahmen mit steigender Aktzahl zu und die Stimme ab. Auch die übrige Besetzung erwies sich als reichlich schwach, nur Christopher Robertson (Orvieto) konnte etwas punkten.

Oft bot die einzige Rettung der von Sören Eckhoff präzise einstudierte Chor, der freilich nicht ganz so viel wie sonst zu tun hatte, da man großzügig kürzte. So großzügig, dass die Handlung teilweise auf der Strecke blieb. Eigentlich geht es ja um den Volkstribun Rienzi, der im Rom des 14. Jahrhunderts erst einen Konflikt adliger Familien löst, dann aber wegen seiner Arroganz und Inkompetenz zu Grunde geht. Am Schluss brennt, walhallgleich, das Kapitol mitsamt dem überheblichen Schnösel darin.

Statt klug verzahnter Leitmotivik setzte Wagner in seiner vierten Oper stark auf die Opulenz der Franzosen und verband gewaltige Chortableaus mit knallender Militärmusik (es kommen erhebliche Batterien von Rührtrommeln sowie weiteres Orchester-Gelichter zum Einsatz). Nötig ist also ein Regisseur, der klug mit den (Klang)Massen umgeht und der die doch recht heftige Statik des Stücks konterkariert. Nicolas Joel, in Bälde Gerard Mortiers Nachfolger als Pariser Opernintendant, bleibt Leipzig indes noch einen "Rienzi" schuldig. Denn das konsequente Rampengestehe, verbunden mit tapsig-wirrem Auf- und Abgetrete, war schlicht keine Inszenierung, sondern nur grottenschlecht.

Man steht und singt vor oder in einem alten Stadtplan von Rom, trägt Kleidung aus dem US-Gangstermilieu der 1950er Jahre, droht (und schießt) immer wieder mit reichlich großen Schießprügeln, stellt sich, so man Tribun ist, in alberner Brustbepanzerung auf den Souffleurkasten und liegt am Ende tot neben dem brennenden Kapitölchen. Letzteres ist ein Miniaturmodell, das langsam in sich zusammensackt – ein gutes Sinnbild für den gesamten Abend. Zuvor noch ein paar hochnotpeinliche Folterszenen in Zeitlupe (Waterboarding etc.), das war’s dann schon. Am Ende erhob sich aus dem Zuschauerraum ein lauteres Buh-Getöse denn alle Rührtrommeln (und Kolleginnen) zusammen.