"Konsequent und überfällig"
Der Sportjournalist Thomas Jädicke hat begrüßt, dass ARD und ZDF die Live-Berichterstattung bei der Tour de France vorläufig einstellen. Er bezeichnete die Entscheidung, während der Veranstaltung auszusteigen, als "Paukenschlag".
Eckhard Roelcke: Im Studio begrüße ich nun den Sportjournalisten Thomas Jädicke. Hallo, guten Tag.
Thomas Jädicke: Guten Tag.
Roelcke: War dieser Schritt konsequent und überfällig?
Jädicke: Ja, der war konsequent und überfällig auch. Das hatten die vorher schon angekündigt, ARD und ZDF. Man hat sich vorher versichert bei den Teams, bei den deutschen Teams vornehmlich, also T-Mobile, Gerolsteiner und auch Milram zu Teilen. Und da hat man geklärt und hat gesagt, also, sollten positive Doping-Proben während der Tour auftauchen, dann würde man sich aus der Berichterstattung zurückziehen.
Roelcke: Unabhängig, bei welchem Team das auftaucht?
Jädicke: Ja, jetzt schon mal, also, die Teams mit deutscher Beteiligung erst mal. Also namentlich T-Mobile und Gerolsteiner.
Roelcke: Jetzt wird von einem vorläufigen Boykott gesprochen oder einer vorläufigen Einstellung der Berichterstattung. Warum vorläufig?
Jädicke: Na ja, jetzt ist erst mal die A-Probe positiv von dem Fahrer Sinkewitz und jetzt muss abgewartet werden eine B-Probe, eine Analyse, und sollte sich diese auch als positiv herausstellen, dann ist das sozusagen doppelt gedeckt, dann ist das klar.
Roelcke: Jetzt wurde im Vorfeld natürlich schon relativ viel über die Berichterstattung diskutiert. Soll übertragen werden? Soll nicht übertragen werden? War denn die Berichterstattung so wie sie bis jetzt stattgefunden hat, besonders kritisch, besonders neuartig für Radsportfans und überhaupt für das allgemeine Fernsehpublikum?
Jädicke: Na, zuletzt war sie schon kritisch, sie ist immer kritischer geworden. Aber, ich meine, dass gedopt wurde beim Radsport, das ist schon klar, das ist seit Jahrzehnten klar, und das war auch in den Chefetagen von ARD und ZDF klar. Man hat das auch zugegeben in einem Interview: In der "Süddeutschen Zeitung" haben eben der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender und der ARD-Programmdirektor Günther Struve gesagt, man hätte jahrelang eigentlich weggesehen, und das ist jetzt anders geworden. Und das sind eben erste Erfolge.
Roelcke: War das nicht ein bisschen naiv, zu glauben, auf einmal ab jetzt ist die Tour sauber?
Jädicke: Ja, also ich meine, das kann man sowieso nicht erreichen, denke ich mal. Also, eine saubere Tour wird es in absehbarer Zeit nicht geben, solange sich das Anforderungsprofil der Tour nicht ändert. Solange die Tour so hart bleibt, wie sie jetzt ist, also 4000 Kilometer in drei Wochen mit x Bergankünften, die Fahrer jagen da hoch mit einem Durchschnittstempo von fast 40 Stundenkilometern. Solange man im Profisport so viel Geld verdienen kann, wird sich da nicht viel an den Mechanismen ändern. Denn wenn man so viel Geld verdienen kann, ist natürlich die Neigung der Fahrer, der Sportler auch relativ hoch, zu betrügen. Und auf der anderen Seite haben die Sponsoren großes Interesse, eine Werbeplattform im Fernsehen zu finden und jetzt sagen die Fernsehsender plötzlich "wir steigen aus" und dann überlegt man auch auf deren Seite "bringt uns das noch was"?
Roelcke: Das heißt in letzter Konsequenz, die Tour de France oder überhaupt der professionelle Radsport ist in erster Linie ein wirtschaftliches Ereignis und in zweiter Linie ein sportliches?
Jädicke: Ja, so kann man das beim Profiradsport und insbesondere bei der Tour de France sehen. Weil das ist vergleichbar vielleicht mit den Gladiatoren in Rom, und die Leute wollen Brot und Spiele sehen. Und je härter das Geschäft ist, desto besser für die Zuschauer auch. Der Zuschauer erwartet das fast sogar schon. Den interessiert das auch nicht so sehr, ob da betrogen wird oder nicht. Hauptsache die Bilder sind bunt, und es geht richtig zur Sache.
Roelcke: Und menschliche Tragödien gehören ja zu dem Spektakel auch dazu, könnte man sagen.
Jädicke: Ja, so ist das.
Roelcke: Jetzt in dem von Ihnen schon erwähnten Interview vom ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender und dem ARD-Programmdirektor Günther Struve in der "Süddeutschen Zeitung", da haben die beiden auch gesagt, Zitat: "Wir sind Ende der 90er Jahre Teil des Medien- und Wirtschaftsbetriebs Tour de France geworden." Wir, öffentlich-rechtliche Anstalten. Hätte man bei dieser Erkenntnis nicht viel früher handeln müssen, also, die Berichterstattung einstellen müssen, in dieser Form?
Jädicke: Ja, das ist natürlich sehr müßig zu spekulieren. Hätte man, könnte man, weiß ich nicht genau. Dass man es jetzt tut, ist doch auf jeden Fall schon mal ein positives Signal, dass man jetzt anfängt, Dinge auch zu verändern. Das sieht man ja vielleicht auch daran, dass die Tour vielleicht nicht ganz sauber ist, aber es wurde in dem Interview auch in der "SZ" zum Beispiel erwähnt, dass man bei den Übertragungen in Rückstand geraten ist, bei den Live-Übertragungen, zeitlich einfach in Rückstand geraten ist, dass man das Programmschema verändern musste, weil man 40 bis 50 Minuten hinter dem Plan hinterherhinkte. Das ist ja schon mal ein erstes Zeichen, dass die Fahrer nicht mehr "so stark", in Anführungszeichen, sind, und also diese Geschwindigkeiten und diese Irrsinnsgeschwindigkeiten der Jahre zuvor gar nicht halten konnten.
Roelcke: Also eine neue Zeitrechnung im wahrsten Sinne des Wortes?
Jädicke: Ja, möglicherweise. Genau. Ja.
Roelcke: Die hat begonnen schon eigentlich?
Jädicke: Das kann man so sehen. Also, da könnte sich jetzt ein Wechsel andeuten. Und dass das nicht von heute auf morgen geht, ist ja auch klar. Aber wenn man insgesamt diesen Leistungsgedanken vielleicht überdenkt, dass man nicht mehr jede Herausforderung annimmt und nicht alles ins Unermessliche steigern kann, höher, weiter, schneller, immer höher, dann kann das ja auch ein Zeichen für die Gesellschaft insgesamt sein. Also, ein Zeichen auch für jugendliche Sportler. Dass man wieder mehr Spaß am Sport hat und dass es nicht in erster Linie darum geht, viel Geld zu verdienen und den anderen so gut man kann eben auszustechen.
Roelcke: Für viel Aufsehen gesorgt hat ja das Interview von Jörg Jaksche im "Spiegel" Anfang Juli. Da hat er auch so ein bisschen anklingen lassen, dass auch bei der aktuellen Tour de France Fahrer mitfahren könnten, würden, sollten, könnten, die gedopt sind. Also, glauben Sie, ist das Spekulation? Glauben Sie, dass da noch weitere Fälle jetzt vielleicht auch auftauchen werden?
Jädicke: Ja, das kann man nicht ausschließen, das könnte sein. Weil in dem Fahrerlager ist das so, schätzungsweise, dass man versucht, an die Grenzen ranzudopen. Also nicht bei den Kontrollen auffällig zu werden. Aber das Anforderungsprofil der Tour ist ja insgesamt immer noch wahnsinnig hoch und ein normal Sterblicher oder ein Sportler, der mit normalen Mitteln versucht, da mitzufahren, der würde hoffnungslos abgehängt werden.
Roelcke: Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über ARD und ZDF. Die öffentlich-rechtlichen Sender steigen aus der Berichterstattung von der Tour de France aus. Wir sprechen mit dem Sportjournalisten Thomas Jädicke. Wir haben bislang über den Rund-, über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesprochen. Lassen Sie uns mal wirtschaftliche Aspekte noch ganz kurz vielleicht erwähnen. Das Team T-Mobile schließt jetzt einen Rückzug auch aus dem Radsport insgesamt nicht mehr aus. Ist das vielleicht dann auch wirklich schon ein entscheidender Schritt, sich insgesamt, dass sich die Wirtschaft insgesamt aus diesem Sponsoring zurückzieht? Ein Signal?
Jädicke: Ja, das kann man so sehen. Also, erste Signale hat es ja schon gegeben. Es haben sich ja auch schon Teams zurückgezogen, Sponsoren. Letztes Jahr hat Floyd Landis gewonnen. Der ist auch gedopt gewesen, dem ist der Titel sozusagen ja aberkannt worden auch. Sein Team Phonak, ein Schweizer Hörgerätehersteller, hat sich ja bereits zurückgezogen. Die haben gesagt also "das negative Image, was da entstanden ist, das können wir nicht mehr mitmachen, das halten wir nicht mehr durch"...
Roelcke: Das macht keinen Spaß mehr in der Wirtschaft.
Jädicke: Genau. Ja. Das hat, die ziehen da keinen Nutzen mehr draus. Und es ist weiter gegangen: CSC, das Team des ehemaligen Tour de France-Siegers Bjarne Riss aus Dänemark, der ja auch kurz vor Beginn der Tour eingeräumt hat, gedopt zu haben. Die denken auch darüber nach, sich zurückzuziehen. Dann Gerolsteiner, das zweite große deutsche Team. Da werden jetzt Verhandlungen geführt seitens der Geschäftsführung. Man sagt, die Marke ist so bekannt in Deutschland, 70 Prozent der Menschen kennen Gerolsteiner und man sagt, man muss jetzt nicht mehr unbedingt bei der Tour mitfahren, weil viel bekannter kann die Marke gar nicht mehr werden, und da stehen natürlich im Hintergrund auch Gedanken, die sagen "na Gott, wenn dieser Radsport so schlecht beleumdet ist, dann ist das eher kontraproduktiv" und die Leute kaufen kein Gerolsteiner mehr, weil das eben schlecht besetzt ist. Ähnliches gilt für das Milram-Team, deutsch-italienisch, da, wo Erik Zabel fährt, der ja auch gesagt hat, das zugegeben hat, mit EPO gedopt zu haben. Und da denkt man in genau dieselbe Richtung.
Roelcke: Also das Motto "Augen zu und durch", nach diesem Motto sind ja viele Fahrrad-, viele Rennfahrer gefahren, aber auch viele Wirtschaftsunternehmen haben nach diesem Motto jetzt ihr Engagement beibehalten. Dieses Motto funktioniert so nicht mehr, spätestens seit dem heutigen Tag.
Jädicke: Ja, also, ich meine, seit dem heutigen Tag ist es noch mal extrem deutlich geworden, weil das ja wirklich ein Paukenschlag ist, dass, diese Entscheidung von ARD und ZDF. Weil das hat ja jahrelang die Menschen auch begleitet und sie haben es gerne gesehen und gehört. Und das jetzt eben mitten in der Veranstaltung sogar auszusteigen, ich meine, das ist durch die Verträge auch gedeckt, weil man sich ja rückversichert hat. Aber trotzdem ist das ja eine Riesenzäsur, die viel mehr Aufsehen erregt, als wenn man das im Vorfeld oder im Nachhinein, wenn man gesagt hätte "gut, nächstes Mal machen wir nicht mehr mit". Aber mittendrin, das ist schon ein knallhartes Zeichen.
Roelcke: Wir haben jetzt über die deutsche Sicht dieser ganzen Affären berichtet. Wie wird das denn international eingeschätzt?
Jädicke: Ja, anders. Auf jeden Fall. In Frankreich und in Italien, wo man ja auch ähnliche Erfahrungen gemacht hat, da sieht man das Ganze nicht so dramatisch. Die Öffentlichkeit nimmt das zwar auch wahr, aber das hat da eher so eine Selbstverständlichkeit. Und die wundern sich dort, dass jetzt plötzlich hier in Deutschland, wo vorher eigentlich mehr oder weniger gar nicht drüber gesprochen wurde, das jetzt so ins andere Extrem ausschlägt.
Roelcke: Also so ein bisschen zu sehr Saubermann?
Jädicke: Ja, ich, ich meine, ich will das auch nicht schon wieder jetzt alles schlecht reden, diese Initiative ist ja gut so. Aber, aber die wundern sich halt, dass das so Extreme sind, dass das so extrem ausschlägt nach der einen wie nach der anderen Richtung.
Roelcke: Man wird sehen, wie sich das dann in den nächsten Tagen, auch international, die Diskussion über diesen heutigen Tag und über den Ausstieg von ARD und ZDF bei der Berichterstattung von der Tour de France auswirken wird. Der Sportjournalist Thomas Jädicke, vielen Dank.
Thomas Jädicke: Guten Tag.
Roelcke: War dieser Schritt konsequent und überfällig?
Jädicke: Ja, der war konsequent und überfällig auch. Das hatten die vorher schon angekündigt, ARD und ZDF. Man hat sich vorher versichert bei den Teams, bei den deutschen Teams vornehmlich, also T-Mobile, Gerolsteiner und auch Milram zu Teilen. Und da hat man geklärt und hat gesagt, also, sollten positive Doping-Proben während der Tour auftauchen, dann würde man sich aus der Berichterstattung zurückziehen.
Roelcke: Unabhängig, bei welchem Team das auftaucht?
Jädicke: Ja, jetzt schon mal, also, die Teams mit deutscher Beteiligung erst mal. Also namentlich T-Mobile und Gerolsteiner.
Roelcke: Jetzt wird von einem vorläufigen Boykott gesprochen oder einer vorläufigen Einstellung der Berichterstattung. Warum vorläufig?
Jädicke: Na ja, jetzt ist erst mal die A-Probe positiv von dem Fahrer Sinkewitz und jetzt muss abgewartet werden eine B-Probe, eine Analyse, und sollte sich diese auch als positiv herausstellen, dann ist das sozusagen doppelt gedeckt, dann ist das klar.
Roelcke: Jetzt wurde im Vorfeld natürlich schon relativ viel über die Berichterstattung diskutiert. Soll übertragen werden? Soll nicht übertragen werden? War denn die Berichterstattung so wie sie bis jetzt stattgefunden hat, besonders kritisch, besonders neuartig für Radsportfans und überhaupt für das allgemeine Fernsehpublikum?
Jädicke: Na, zuletzt war sie schon kritisch, sie ist immer kritischer geworden. Aber, ich meine, dass gedopt wurde beim Radsport, das ist schon klar, das ist seit Jahrzehnten klar, und das war auch in den Chefetagen von ARD und ZDF klar. Man hat das auch zugegeben in einem Interview: In der "Süddeutschen Zeitung" haben eben der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender und der ARD-Programmdirektor Günther Struve gesagt, man hätte jahrelang eigentlich weggesehen, und das ist jetzt anders geworden. Und das sind eben erste Erfolge.
Roelcke: War das nicht ein bisschen naiv, zu glauben, auf einmal ab jetzt ist die Tour sauber?
Jädicke: Ja, also ich meine, das kann man sowieso nicht erreichen, denke ich mal. Also, eine saubere Tour wird es in absehbarer Zeit nicht geben, solange sich das Anforderungsprofil der Tour nicht ändert. Solange die Tour so hart bleibt, wie sie jetzt ist, also 4000 Kilometer in drei Wochen mit x Bergankünften, die Fahrer jagen da hoch mit einem Durchschnittstempo von fast 40 Stundenkilometern. Solange man im Profisport so viel Geld verdienen kann, wird sich da nicht viel an den Mechanismen ändern. Denn wenn man so viel Geld verdienen kann, ist natürlich die Neigung der Fahrer, der Sportler auch relativ hoch, zu betrügen. Und auf der anderen Seite haben die Sponsoren großes Interesse, eine Werbeplattform im Fernsehen zu finden und jetzt sagen die Fernsehsender plötzlich "wir steigen aus" und dann überlegt man auch auf deren Seite "bringt uns das noch was"?
Roelcke: Das heißt in letzter Konsequenz, die Tour de France oder überhaupt der professionelle Radsport ist in erster Linie ein wirtschaftliches Ereignis und in zweiter Linie ein sportliches?
Jädicke: Ja, so kann man das beim Profiradsport und insbesondere bei der Tour de France sehen. Weil das ist vergleichbar vielleicht mit den Gladiatoren in Rom, und die Leute wollen Brot und Spiele sehen. Und je härter das Geschäft ist, desto besser für die Zuschauer auch. Der Zuschauer erwartet das fast sogar schon. Den interessiert das auch nicht so sehr, ob da betrogen wird oder nicht. Hauptsache die Bilder sind bunt, und es geht richtig zur Sache.
Roelcke: Und menschliche Tragödien gehören ja zu dem Spektakel auch dazu, könnte man sagen.
Jädicke: Ja, so ist das.
Roelcke: Jetzt in dem von Ihnen schon erwähnten Interview vom ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender und dem ARD-Programmdirektor Günther Struve in der "Süddeutschen Zeitung", da haben die beiden auch gesagt, Zitat: "Wir sind Ende der 90er Jahre Teil des Medien- und Wirtschaftsbetriebs Tour de France geworden." Wir, öffentlich-rechtliche Anstalten. Hätte man bei dieser Erkenntnis nicht viel früher handeln müssen, also, die Berichterstattung einstellen müssen, in dieser Form?
Jädicke: Ja, das ist natürlich sehr müßig zu spekulieren. Hätte man, könnte man, weiß ich nicht genau. Dass man es jetzt tut, ist doch auf jeden Fall schon mal ein positives Signal, dass man jetzt anfängt, Dinge auch zu verändern. Das sieht man ja vielleicht auch daran, dass die Tour vielleicht nicht ganz sauber ist, aber es wurde in dem Interview auch in der "SZ" zum Beispiel erwähnt, dass man bei den Übertragungen in Rückstand geraten ist, bei den Live-Übertragungen, zeitlich einfach in Rückstand geraten ist, dass man das Programmschema verändern musste, weil man 40 bis 50 Minuten hinter dem Plan hinterherhinkte. Das ist ja schon mal ein erstes Zeichen, dass die Fahrer nicht mehr "so stark", in Anführungszeichen, sind, und also diese Geschwindigkeiten und diese Irrsinnsgeschwindigkeiten der Jahre zuvor gar nicht halten konnten.
Roelcke: Also eine neue Zeitrechnung im wahrsten Sinne des Wortes?
Jädicke: Ja, möglicherweise. Genau. Ja.
Roelcke: Die hat begonnen schon eigentlich?
Jädicke: Das kann man so sehen. Also, da könnte sich jetzt ein Wechsel andeuten. Und dass das nicht von heute auf morgen geht, ist ja auch klar. Aber wenn man insgesamt diesen Leistungsgedanken vielleicht überdenkt, dass man nicht mehr jede Herausforderung annimmt und nicht alles ins Unermessliche steigern kann, höher, weiter, schneller, immer höher, dann kann das ja auch ein Zeichen für die Gesellschaft insgesamt sein. Also, ein Zeichen auch für jugendliche Sportler. Dass man wieder mehr Spaß am Sport hat und dass es nicht in erster Linie darum geht, viel Geld zu verdienen und den anderen so gut man kann eben auszustechen.
Roelcke: Für viel Aufsehen gesorgt hat ja das Interview von Jörg Jaksche im "Spiegel" Anfang Juli. Da hat er auch so ein bisschen anklingen lassen, dass auch bei der aktuellen Tour de France Fahrer mitfahren könnten, würden, sollten, könnten, die gedopt sind. Also, glauben Sie, ist das Spekulation? Glauben Sie, dass da noch weitere Fälle jetzt vielleicht auch auftauchen werden?
Jädicke: Ja, das kann man nicht ausschließen, das könnte sein. Weil in dem Fahrerlager ist das so, schätzungsweise, dass man versucht, an die Grenzen ranzudopen. Also nicht bei den Kontrollen auffällig zu werden. Aber das Anforderungsprofil der Tour ist ja insgesamt immer noch wahnsinnig hoch und ein normal Sterblicher oder ein Sportler, der mit normalen Mitteln versucht, da mitzufahren, der würde hoffnungslos abgehängt werden.
Roelcke: Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über ARD und ZDF. Die öffentlich-rechtlichen Sender steigen aus der Berichterstattung von der Tour de France aus. Wir sprechen mit dem Sportjournalisten Thomas Jädicke. Wir haben bislang über den Rund-, über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesprochen. Lassen Sie uns mal wirtschaftliche Aspekte noch ganz kurz vielleicht erwähnen. Das Team T-Mobile schließt jetzt einen Rückzug auch aus dem Radsport insgesamt nicht mehr aus. Ist das vielleicht dann auch wirklich schon ein entscheidender Schritt, sich insgesamt, dass sich die Wirtschaft insgesamt aus diesem Sponsoring zurückzieht? Ein Signal?
Jädicke: Ja, das kann man so sehen. Also, erste Signale hat es ja schon gegeben. Es haben sich ja auch schon Teams zurückgezogen, Sponsoren. Letztes Jahr hat Floyd Landis gewonnen. Der ist auch gedopt gewesen, dem ist der Titel sozusagen ja aberkannt worden auch. Sein Team Phonak, ein Schweizer Hörgerätehersteller, hat sich ja bereits zurückgezogen. Die haben gesagt also "das negative Image, was da entstanden ist, das können wir nicht mehr mitmachen, das halten wir nicht mehr durch"...
Roelcke: Das macht keinen Spaß mehr in der Wirtschaft.
Jädicke: Genau. Ja. Das hat, die ziehen da keinen Nutzen mehr draus. Und es ist weiter gegangen: CSC, das Team des ehemaligen Tour de France-Siegers Bjarne Riss aus Dänemark, der ja auch kurz vor Beginn der Tour eingeräumt hat, gedopt zu haben. Die denken auch darüber nach, sich zurückzuziehen. Dann Gerolsteiner, das zweite große deutsche Team. Da werden jetzt Verhandlungen geführt seitens der Geschäftsführung. Man sagt, die Marke ist so bekannt in Deutschland, 70 Prozent der Menschen kennen Gerolsteiner und man sagt, man muss jetzt nicht mehr unbedingt bei der Tour mitfahren, weil viel bekannter kann die Marke gar nicht mehr werden, und da stehen natürlich im Hintergrund auch Gedanken, die sagen "na Gott, wenn dieser Radsport so schlecht beleumdet ist, dann ist das eher kontraproduktiv" und die Leute kaufen kein Gerolsteiner mehr, weil das eben schlecht besetzt ist. Ähnliches gilt für das Milram-Team, deutsch-italienisch, da, wo Erik Zabel fährt, der ja auch gesagt hat, das zugegeben hat, mit EPO gedopt zu haben. Und da denkt man in genau dieselbe Richtung.
Roelcke: Also das Motto "Augen zu und durch", nach diesem Motto sind ja viele Fahrrad-, viele Rennfahrer gefahren, aber auch viele Wirtschaftsunternehmen haben nach diesem Motto jetzt ihr Engagement beibehalten. Dieses Motto funktioniert so nicht mehr, spätestens seit dem heutigen Tag.
Jädicke: Ja, also, ich meine, seit dem heutigen Tag ist es noch mal extrem deutlich geworden, weil das ja wirklich ein Paukenschlag ist, dass, diese Entscheidung von ARD und ZDF. Weil das hat ja jahrelang die Menschen auch begleitet und sie haben es gerne gesehen und gehört. Und das jetzt eben mitten in der Veranstaltung sogar auszusteigen, ich meine, das ist durch die Verträge auch gedeckt, weil man sich ja rückversichert hat. Aber trotzdem ist das ja eine Riesenzäsur, die viel mehr Aufsehen erregt, als wenn man das im Vorfeld oder im Nachhinein, wenn man gesagt hätte "gut, nächstes Mal machen wir nicht mehr mit". Aber mittendrin, das ist schon ein knallhartes Zeichen.
Roelcke: Wir haben jetzt über die deutsche Sicht dieser ganzen Affären berichtet. Wie wird das denn international eingeschätzt?
Jädicke: Ja, anders. Auf jeden Fall. In Frankreich und in Italien, wo man ja auch ähnliche Erfahrungen gemacht hat, da sieht man das Ganze nicht so dramatisch. Die Öffentlichkeit nimmt das zwar auch wahr, aber das hat da eher so eine Selbstverständlichkeit. Und die wundern sich dort, dass jetzt plötzlich hier in Deutschland, wo vorher eigentlich mehr oder weniger gar nicht drüber gesprochen wurde, das jetzt so ins andere Extrem ausschlägt.
Roelcke: Also so ein bisschen zu sehr Saubermann?
Jädicke: Ja, ich, ich meine, ich will das auch nicht schon wieder jetzt alles schlecht reden, diese Initiative ist ja gut so. Aber, aber die wundern sich halt, dass das so Extreme sind, dass das so extrem ausschlägt nach der einen wie nach der anderen Richtung.
Roelcke: Man wird sehen, wie sich das dann in den nächsten Tagen, auch international, die Diskussion über diesen heutigen Tag und über den Ausstieg von ARD und ZDF bei der Berichterstattung von der Tour de France auswirken wird. Der Sportjournalist Thomas Jädicke, vielen Dank.