Konsensmanagement statt Wahrheitssuche

Von Peter-Alexis Albrecht |
Der Gesetzgeber ändert das Strafrecht oft eilig und unter hohem öffentlichem Druck. Dabei kommt es vor, dass auch der Strafverteidiger Teile seiner Rechte verliert. Peter-Alexis Albrecht, Professor für Kriminologie und Strafrecht, will die Rolle des Verteidigers stärken.
Der Strafverteidiger muss vielfältige Anforderungen bewältigen. Je nach Strategie ist er alleiniges Gegengewicht zu Staatsanwaltschaft und Gericht sowie Kommunikator für Medien und Öffentlichkeit. Ferner ist er Rechtshelfer, ja gar pädagogischer Beistand seines Mandanten. Das alles lässt sich nur bei hoher persönlicher Belastbarkeit bewältigen. Dabei ist der Strafverteidiger überwiegend machtlos. Er kann nur auf die schützenden Formen eines fairen Verfahrens und die "Kraft von Argumenten" abstellen. Die Herrschaft über das Verfahren liegt beim Staat.

Die Strategie von Strafverteidigung pendelt zwischen Konflikt und Konsenssuche. Konfliktverteidigung wird definiert als Kampf um die Rechtsordnung mit den Mitteln der Strafprozessordnung. Häufig wird Verteidigern, die diesem Ziel zu strikt folgen, der Missbrauch ihrer prozessualen Befugnisse vorgehalten. Allein dieser Vorhalt ist schon ein Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens. Fördert doch ein bissiger Hund die Wahrheitsfindung eher als ein Schoßhund. Denn dann schlafen jedenfalls die anderen Verfahrensbeteiligten nicht.

Verteidigung mittels Konflikt ist Rechtsanwälten vom Strafprozess vorgegeben. Denn nur dann können sie in Kapitalsachen das Rechtsmittel der Revision vor der nächsthöheren Instanz wirksam einlegen. Um Verfahrensfehler rügen zu können, muss der Verteidiger im vorangegangenen Prozess, der Sachverhalt und Beweise klären sollte, seinen Widerspruch durch formelle Beanstandung aktenkundig gemacht haben. Konfliktverteidigung ist also durch den Gesetzgeber programmiert.

Die Legislative geht oft krumme Wege. Sie will den Verteidiger zur Alternative, also in die Konsensverteidigung, führen, ihn also lammfromm machen. Dann kann der Verteidiger mit den Wölfen heulen und um Schön-Wetter bitten. Die Justiz bindet ihn ein als "Organ der Rechtspflege", was den Verteidiger scheinbar adelt.

Als Danaergeschenk hat der Gesetzgeber 2009 den § 257c Strafprozessordnung eingefügt, wonach der Verteidiger sich mit den anderen Verfahrensbeteiligten über den Verfahrensfortgang oder das Ergebnis "verständigen" kann. Damit ist der Deal, genauer die Mauschelei, zum Verfahrensprinzip erhoben worden.

Für den Strafverteidiger bedeutet dies eine prozessuale Aufwertung seiner Berufsrolle. Er ist nun primär konsensualer Manager des scheinbar Vernünftigen. Zugleich wachsen damit seine ökonomischen Interessen gegenüber der Mandantschaft. Alles wird undurchsichtiger und dadurch teurer. Der Beschuldigte guckt dabei in die rechtsstaatliche Röhre.

Die Beseitigung aller Förmlichkeiten sowie der Verlust an rechtsstaatlichen Prinzipien ist geradezu der Witz der Absprachen. Beides wird kompensiert mit der Hoffnung auf Wohlwollen der Richter. Gute Nacht Rechtsstaat! Und Wehe erst denen, die keinen Wahlverteidiger haben und nichts in der Absprache auf die Waage zu werfen in der Lage sind. Die fallen durch den konsensualen Rost.

Dabei gäbe es realen Reformbedarf. Es geht um die Pflicht, Verteidiger schon in der ersten Phase der Ermittlungstätigkeit gesetzlich beizuordnen. Denn Aussagen bei der Polizei bestimmen das gesamte Strafverfahren in nicht mehr umkehrbarer Weise. Es geht zudem darum, wer die Kosten des Prozesses trägt. Was nützt das feinste Bemühen um Resozialisierung, wenn der Verurteilte nach der Entlassung aus dem Vollzug finanziell erdrückt wird.

Und schließlich geht es darum, die vielen Möglichkeiten zu beseitigen, Verteidiger vom Verfahren auszuschließen, einem Drohmittel und Relikt aus dem Deutschen Herbst, das mit der RAF der Vergangenheit angehören sollte.

Der Gedanke, dass der Wahlverteidiger im Gegensatz zum Pflichtverteidiger, der vom Gericht bestellt wird, mit viel größerem Erfolg seiner Aufgabe nachgeht – wie etwa ein engagierter, gut bezahlter Privatarzt gegenüber dem ausgelaugten Kassenarzt –, mag all jene erreichen, die glauben, das Gerechtigkeit jedem gleichermaßen offen steht.

Peter-Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Grundlagenbezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Methoden empirischer Sozialwissenschaften zur Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems.

Veröffentlichungen, unter anderem: "Die vergessene Freiheit" (2. Auflage, 2006) und "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010).

Peter-Alexis Albrecht ist Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift "Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft".
Prof. Dr. Peter Alexis Albrecht
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