Konflikte im Tropenparadies

01.03.2013
Ein norwegisches Paar reist auf eine idyllische Karibikinsel - doch bald wird der Urlaub zum Albtraum. "White Man" ist ein Roman der Verunsicherung und des menschlichen Bemühens um Halt im Angesicht von Selbstzweifeln und Gewalt.
Schauplätze des Romans sind Oslo, London und eine Karibikinsel. Dort treffen die Geschichten von vier Hauptfiguren aufeinander: von Susan, einer unglücklich verheirateten Britin, Joseph, ihrem schwarzen Geliebten, und von Thomas und Catherine, einem Paar aus Norwegen.

Der Roman beginnt wie ein guter Thriller mit der Schilderung einer heilen Welt. Catherine ist Lehrerin, Thomas Architekt, die beiden sind glückliche Eltern eines pubertierenden Sohnes und eines kleinen Mädchens. Von Freunden erhalten sie das Angebot, auf einer vom Massentourismus verschonten Karibikinsel ein Ferienhaus zu mieten, Köchin und Gärtner inklusive. Die Strandidylle unter Palmen lockt sie ebenso wie die Aussicht, dem Alltag zu entfliehen und viel Zeit miteinander zu verbringen.

Auf der Insel eingetroffen, sind sie berückt von deren landschaftlicher Schönheit. Doch das Gefühl eines unbeschwerten Urlaubs will sich nicht so recht einstellen. Nach einer strengen Passkontrolle verstärkt die Begegnung mit einem wortkargen Taxifahrer und einer distanziert wirkenden Hausangestellten bei den weißen Touristen ein Gefühl der Fremdheit. Soziale Unterschiede zwischen Weißen und Schwarzen sind spürbar, eine Spannung liegt in der tropischen Luft. Und auch Thomas‘ innere Konflikte brechen plötzlich auf - das vermeintliche Paradies verwandelt sich zum Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen.

Am Strand geraten Thomas und Catherine in Streit mit einer Gruppe Jugendlicher.
Als Thomas Tage später einen der Jungen mit Catherine im Schlafzimmer antrifft, kommt es zum Kampf. Für den Schwarzen endet er tödlich. Thomas wird verhaftet: Er hat den Sohn des Präsidenten der Insel umgebracht.

Wut und Begehren eines jungen Mannes
Während Thomas im Gefängnis um sein Leben fürchtet, erzählt Sara Johnsen nun retrospektiv die Geschichte seines Opfers: Joseph, ein sensibler und kluger junger Mann, ist von seinem Vater vernachlässigt worden. Der hatte sich ganz dem Kampf gegen die britische Kolonialmacht verschrieben und die Insel erst vor kurzem in die Unabhängigkeit geführt.

Zuwendung und Verständnis fand Joseph bei der zwanzig Jahre älteren Engländerin Susan. Jahrelang verband die beiden eine tiefe und doch ungleiche Liebesbeziehung. Nach deren Scheitern gerät Joseph auf die schiefe Bahn. Als er zufällig Catherine erblickt, richtet er sein Begehren und seine Wut auf sie.

Sara Johnsen verbindet mit großem psychologischen Feingefühl, dramaturgischer Könnerschaft und Sinn für lebendige Dialoge persönliche Lebensgeschichten mit einer konfliktträchtigen gesellschaftlichen Situation. Dabei stehen ihre Figuren nie für eine Wahrheit oder Theorie. Sie sind realistisch gezeichnet, widersprüchlich, sympathisch, verständlich und kritisierbar. Indem die Autorin sie ungeschützt, in ihren Leidenschaften, Beschränkungen und Sehnsüchten zeigt, kommen sie dem Leser sehr nahe. Jede Figur hat ihre eigene Wahrheit - spiegelt und widerlegt jedoch die der anderen. "White Man" ist ein Roman der Verunsicherung. Und des menschlichen Bemühens um Halt und Identität im Angesicht von Selbstzweifeln und Gewalt.

Besprochen von Carsten Hueck

Sara Johnsen: White Man
Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein
mareverlag, Hamburg 2013
304 Seiten, 19,90 Euro