Konflikte

Genug mit der Friedensliebe!

Türkische Soldaten in Kobane
Wie friedlich stoppen? ISIS-Terroristen legen die Stadt Kobane in Schutt und Asche (hier türkische Soldaten). © dpa / picture alliance / Sedat Suna
Von Erik von Grawert-May · 20.10.2014
Nie wieder Krieg: Deutschland ist post-heroisch, hält sich so weit wie möglich aus Konflikten heraus und lässt lieber andere die Kastanien aus dem Feuer holen, meint der Unternehmensethiker Erik von Grawert-May. Dabei gibt es gute Gründe für etwas mehr Heroismus.
Wissen Sie überhaupt, was das ist: post-heroisch? Post-Histoire, das weiß man gerade noch: Es ist die Zeit nach dem Ende der Geschichte. Aber post-heroisch? Diesen Begriff hat wohl als erster Peter Sloterdijk in Umlauf gebracht, unser grand philosophe. Am 24. Januar 2003 in der FAZ.
Da philosophierte er über die Bundesrepublik und Frankreich. Sie hätten aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts die richtige Lehre gezogen und zu einem post-heroischen Stil von Kultur und Politik gefunden. Er bezeichnete die beiden Länder als die fortschrittliche Fraktion des Westens. Die rückschrittlichen Vereinigten Staaten hielten dagegen weiterhin an ihren heroischen Konventionen fest.
Das passte damals gut ins Bild. Es war eine Antwort auf den amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der zwei Tage vorher die hiesige Staatenwelt zweigeteilt hatte: in die des neuen und die des alten Europa. Das neue, Spanien zum Beispiel, wollte Amerika in den Irak-Krieg folgen, das alte nicht.
Die Deutschen halten sich auffallend zurück
Hatte Sloterdijk nicht Recht? Und mit ihm Jürgen Habermas sowie der Algerienfranzose Jacques Derrida? Sie sprachen von einer anti-amerikanischen Identität Europas: Säkularer Staat, Sozialstaat, Friedensstaat – diese Drei vor allem könne der alte Kontinent den USA gegenüber in die Waagschale werfen. Dem englischen Politologen Timothy Garton Ash, auf common sense geeicht, gingen solcherlei europäische Antworten zu weit.
Schnitt: Zehn Jahre später. Joschka Fischer schwört die Europäer auf mehr Härte ein – jedenfalls den Kern Europas, und das sind für ihn die Euro-Staaten. Sie müssten vorangehen, beispielsweise auf Putins Hegemonialbestrebungen entschlossen reagieren, ihre Werte gegen dessen Propaganda verteidigen.
Die Bundesrepublik hält sich dagegen wieder einmal auffallend zurück. Gewiss, es werden Waffen an die Kurden geliefert, aber der Einsatz von Piloten der Luftwaffe an der Seite ihrer europäischen und amerikanischen Verbündeten kommt nicht in Frage. Schließlich lehnen die Deutschen mehrheitlich solche Kampfeinsätze ab. Mögen die EU-Mitglieder gegenüber Russland zögern, im Mittleren Osten sind zumindest einige bereit, eine härtere Gangart einzulegen. Nicht nur Frankreich und England, auch Dänemark und Holland haben sich der Allianz der USA gegen die islamistischen Kämpfer angeschlossen und fliegen Luftangriffe auf deren Stellungen.
Eine klare Haltung entwickeln
Sie stehen noch zu jener post-heroischen Politik, die Sloterdijk und Kollegen vor gut zehn Jahren als Ausdruck fortschrittlicher europäischer Friedenskultur beschrieben haben. Den damals geschmähten Amerikanern überlassen sie es wieder einmal, die Kastanien aus dem Feuer holen – auch für uns.
Wir sind tatsächlich Post-Heroiker. Wir haben den Heroismus hinter uns gelassen. Unsere Friedensliebe scheint uns vor den Folgen eines unkalkulierbaren, fernen Krieges in Syrien und im Irak zu bewahren. Aber sie scheint uns auch blind zu machen gegenüber dem Risiko, dass das eigene europäische Haus vor unseren Augen Feuer fängt – ob an der Südostflanke der NATO oder hierzulande in Hamburg, in Dortmund.
Ein Quäntchen Heroismus täte uns wieder gut, eine klare Haltung, gemeinsam mit Verbündeten den Anfängen wehren zu wollen. Vielleicht folgen dann auch Piloten der Luftwaffe ihren europäischen Kollegen, sobald sie gebraucht werden, den Horror des IS-Terrors zu bekämpfen. Oder fällt uns etwas Besseres ein, entschlossen zu reagieren, anstatt sich post-heroisch weg zu ducken.
Erik von Grawert-May
Erik von Grawert-May© privat
Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011), "Theatrum Belli" (2013). www.grawert-may.de
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