Konflikt in Nigeria nicht schnell lösbar

Nigerianische Soldaten treffen zu einem Kampfeinsatz gegen die islamistische Sekte Boko Haram im Nordosten des Landes ein.
Nigerianische Soldaten treffen zu einem Kampfeinsatz gegen die islamistische Sekte Boko Haram im Nordosten des Landes ein. © picture alliance / dpa / EPA/ Str
Moderation: Nana Brink · 21.05.2013
Die Kämpfe im Nordosten Nigerias mit der islamistischen Sekte Boko Haram seien vermutlich nicht mit mehr Soldaten zu beenden, schätzt Thomas Mättig von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nigeria. Hinter dem Konflikt stecke eine tiefgreifende Verbitterung gegenüber der Regierung, die zu wenig gegen Korruption im Lande vorgehe und nicht ausreichend in Infrastruktur und Bildung investiere.
Nana Brink: Eigentlich ist Nigeria ja ein reiches und einflussreiches Land in Afrika. 160 Millionen Menschen leben dort, so viel wie in ganz Westafrika, Nigeria exportiert Öl und hat so wichtige Organisationen wie die Afrikanische Union oder die ECOWAS, also die wirtschaftliche Vereinigung Westafrikas, mitbegründet. Doch Nigeria wird schon seit langem von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen erschüttert, vor allem im Norden, wo die radikalislamische Sekte Boko Haram gewaltsam für einen islamischen Staat kämpft. Vor über einer Woche nun hat die nigerianische Armee eingegriffen: Bei einer Offensive wurden mindestens 17 Menschen getötet und 120 mutmaßliche Extremisten festgenommen. Viele Kämpfer flüchten nun in die umliegenden Staaten, was die Situation dort auch nicht gerade stabilisiert. Gerät wieder ein Teil Afrikas, wie wir es ja schon in Mali gesehen haben, außer Kontrolle? Thomas Mättig ist für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Nigeria. Schönen guten Morgen, Herr Mättig!

Thomas Mättig: Guten Morgen!

Brink: Sie sind vor Ort, wie erleben Sie die Situation momentan?

Mättig: Unser Büro ist in Abuja in der Mitte des Landes, das ist die Hauptstadt, und die Situation ist eigentlich ein wenig gespenstisch, weil wir das hier nicht wirklich mitbekommen, was im Norden abgeht. Da ist ja so eine Art Nachrichtensperre. Wir bekommen also keine Bilder, sondern eigentlich nur Meldung von der Armee und wissen wiederum nicht genau, ob wir dem glauben sollen, aber es gibt wohl sehr viele Flüchtlingsbewegungen, also auch aus der Bevölkerung, auch aus dem Nordosten heraus über die Grenzen, Sie haben das ja erwähnt. Hier in Abuja merkt man nichts, es geht der Alltag weiter wie bisher.

Brink: Der Konflikt schwelt ja schon seit 2009, also gerade auch der Konflikt mit dieser islamischen Sekte. Wieso ist das bislang nicht gelungen, ihn zu befrieden?

Mättig: Tja, man hat versucht, diesen Konflikt mit sehr viel Gewalt zu unterdrücken, man hat Militär, Polizei in die Gebiete geschickt, sehr viele Menschen getötet, wohl auch unschuldige Menschen aus der Bevölkerung, und hat es nicht geschafft, die Bevölkerung auf die eigene Seite zu bekommen. Und daher konnte man nicht wirklich durchdringen, wo eigentlich die Fundamente dieser Sekte sind, wo sie sich her rekrutiert. Und alle Strategien, die man versucht hat, irgendwie zu ergreifen, sind gescheitert. Man muss eben der Regierung auch zugestehen, sie hat versucht, ein Gesprächsangebot, verbunden mit einem Amnestieprogramm denen anzubieten, und die Sekte hat das zurückgewiesen. Es ist eine sehr schwierige Situation, da sich der Konflikt eben auf einer sehr tiefgreifenden Verbitterung speist gegen die Regierung.

Brink: Der Norden ist ja der bitterarme Teil auch Nigerias, das ja eigentlich ganz reich ist: Es exportiert Öl, ist auch sehr abhängig davon – was wissen Sie denn über diese Sekte?

Mättig: Wenig – es ist mittlerweile ein bisschen mehr bekannt geworden, aber sie ist immer noch sehr obskur. Wir wissen eigentlich auch nicht ganz genau, was sie will, wir wissen nicht ganz genau, wann sie begründet wurde. In der Öffentlichkeit existiert sie so seit 2009 durch diesen sehr gewaltsamen Konflikt, der in dem Jahr zum ersten Mal eskaliert ist. Und in der Zeit war eben, war sie unter der Führerschaft eines sehr charismatischen Predigers, Mohammed Yusuf, der dann auch von der Polizei wohl hingerichtet wurde im Gewahrsam. Das hat den Konflikt weiter angespornt, und wir wissen nicht genau, wo das Rekrutierungsfeld ist, wir wissen nur, dass sie in Nordosten sind, dass sie einen sehr obskuren, sehr rückwärtsgewandten Islam verfolgen und vor allem den Staat und vermehrt auch Christen, die im Norden leben, als Opfer produziert.

Brink: Also wenn man die Situation auch nicht eins zu eins vergleichen kann, erinnert das doch in Vielem an die Situation auch in Mali. Viele islamische Rebellen jetzt in Nigeria flüchten auch in die umliegenden Länder, in den Tschad, den Niger, Kamerun – was bedeutet denn das für die Region?

Mättig: Richtig, die Verknüpfung ist wohl sehr viel stärker geworden, auch jenseits der Grenzen dieser Gruppe, die hat mittlerweile bewiesen, dass sie Beziehungen hat in die umgrenzenden Länder, wohl auch in Mali, waren wohl auch Nigerianer aktiv. Man muss aber trotzdem sehen, dass sich das vor allem zunächst mal dieser Konflikt aus Nigeria erklärt, vor allem aus der spezifischen Situation im Nordosten Nigerias. Was das für die umliegenden Länder bedeutet – na ja, es ist weitere Instabilität, die von diesem wichtigen Land ausgeht. Nigeria ist bei weitem das größte Land Afrikas mit etwa 160 Millionen Einwohnern, es ist für Westafrika ganz zentral für die Stabilität, ist ja auch in Mali sehr aktiv, und jetzt sind schon mal die ersten Meldungen gekommen, dass Nigeria Soldaten aus Friedensmissionen abzieht, um sie hier einzusetzen. Das heißt, das Land, das eigentlich eine stabilisierende und wichtige Funktion hat, exportiert momentan eher Unsicherheit und Instabilität.

Brink: Kriegt also die Situation im eigenen Haus nicht wirklich in den Griff – gibt es denn eine Lösung, oder fällt Ihnen eine ein, also jetzt nur mal auf Nigeria bezogen?

Mättig: Der Präsident ist wirklich in einer Zwickmühle, weil er versucht hat, ein Amnestieangebot zu unterbreiten, das wurde zurückgewiesen, jetzt schickt er unter Druck, wahrscheinlich auch aus dem Sicherheitsapparat, mehr Militär. Die Lösung kann aber nur sein, diese Landesteile zu entwickeln, das heißt, gegen die massive Korruption in Nigeria vorzugehen, dafür zu sorgen, dass der Staat endlich mit dem – Sie erwähnten es –, mit dem Ölgeld, was er zur Verfügung hat, etwas für die Bevölkerung tut, Infrastruktur aufbaut, in Bildung investiert. Aber das sind langfristige Programme, die ja nicht sofort greifen werden. Es sieht nun leider so aus, als würde der Konflikt zunächst mal bleiben.

Brink: Nun möchte ich noch mal Mali zum Schluss zitieren, weil die Lage ja dort vielleicht stabil ist, aber bei weitem noch nicht befriedet. Wie kann man denn diesen grenzüberschreitenden islamischen Terrorismus, den wir ja jetzt auch in Nigeria sehen, in der umliegenden Region, wie kann man den den lösen? Muss das eine afrikanische Lösung sein?

Mättig: Ich denke, die meisten Konflikte speisen sich tatsächlich immer noch aus den Ländern, da sind die Hauptprobleme, dass wir Probleme haben mit schlechter Regierungsführung, dass Regierungen ihren Bevölkerungen nicht das liefern, was sie liefern sollten, und die Lösungen können nur aus den Ländern kommen. Alles, was wir hören von wegen grenzüberschreitende Kooperation und so weiter, ist wichtig. Aber es ist irgendwie auch unrealistisch, weil man sieht, wie die Grenzen tatsächlich aussehen: Die sind porös und werden auch porös bleiben. Der Staat in Afrika und in Westafrika versagt generell seiner Bevölkerung gegenüber, liefert nicht das, was er liefern sollte, und er muss das liefern, sonst wird er immer wieder mit gewaltsamen Konflikten konfrontiert sein. Ob das Islamisten im Norden sind oder Kriminelle im Nigerdelta, das gab es vor einigen Jahren auch im Süden des Landes, diese Konflikte kochen immer wieder auf.

Brink: Nun wird sich ja die Afrikanische Union treffen, nächste Woche, und die Amerikaner werden dort vielleicht auch eine Rolle spielen, nämlich der US-Außenminister Kerry hat gesagt, er möchte in die Region reisen. Ist das hilfreich?

Mättig: Ich denke, das ist hilfreich, und was die Amerikaner auch machen, ist, die Regierung zu kritisieren für Korruption, für Menschenrechtsverbrechen, Verbrechen der Armee, viele Dinge werden hier in den Medien aufgenommen und sehr deutlich wahrgenommen. Das heißt, wir haben es ja hier nicht mit ganz autokratischen Regimen zu tun, die die Medien zensieren, sondern wir haben eine gewisse Offenheit, wir haben eine interessierte Bevölkerung, die solche Dinge auch aufnimmt, und die vielleicht dann zu Änderungen führen können.

Brink: Thomas Mättig, für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Nigeria, und wir sprachen über den Konflikt dort im Norden des Landes. Schönen Dank, Herr Mättig, für das Gespräch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.