Konferenz zum "neuen Faschismus"

"Die Armen werden sich wehren"

Vor einer brennenden Barrikade ist der Schattenriss eines Mannes zu sehen, der einen Gegenstand wirft.
Nicht nur in der Ukraine - so wie 2014 in Kiew - könnte es künftig verstärkt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen. © picture alliance / dpa / Sergey Dolzhenko
Von Ludger Fittkau · 17.12.2016
Ein Krieg der großen weißen Oligarchen gegen die Armen - dies ist eine der Visionen über drohende Gefahren in Europa, skizziert auf einem Kongress in Kassel über den "neuen Faschismus". Die Gefahr ist da, so das Fazit der Wissenschaftler, und sie kann verschiedene Züge annehmen.
Da ist der Brexit, dann ist da noch Trump und dann sind da Rechtspopulisten in vielen Ländern Europas auf den Vormarsch - die Angst vor dem Ende der liberalen Demokratien wächst. Eine Tagung im Kasseler Museum Fridericianum stellte sich nun die Frage, ob ein neuer Faschismus einzieht in den Teil der Welt, den wir bisher die Westliche nannten.
Faschismus – der Begriff ist in Europa untrennbar mit Namen wie Hitler, Mussolini oder Franco verbunden. Doch schon diese drei Namen zeigen: Faschismus war auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts facettenreich und reichte vom Klerikal-Faschismus spanischer Prägung bis nach Auschwitz.

Facebook und die neuen Einflüsse

Ein Phänomen wie "Facebook" war damals nicht bekannt. Kann das Internet einer neuen Art von technologischem Faschismus den Weg bahnen? Dass Facebook das Potenzial einer technologischen Bestie hat, die die Demokratien verschlingen kann, daran ließ der italienische Medientheoretiker Franco "Bifo" Berardi in seinem furiosen Eröffnungsvortrag in Kassel keinen Zweifel. Aber: "Der Punkt ist meiner Meinung nach nicht, gegen Facebook zu kämpfen. Das Problem ist: Facebook - das sind sind wir - wir haben diese Maschine hervorgebracht, wir sind die kollektiven Arbeiter, die täglich diese Maschine produzieren. Das Problem ist, dass die Maschine uns nicht gehört. Die Kontrolle der produktiven Arbeit der Maschine ist nicht in unserer Hand. Ich glaube, dass wir alle total impotent sind."
Schaffen wir also selbst einen neuen, technologischen Totalitarismus? Konsens in Kassel war: Ein möglicher neuer Faschismus wird dem Alten nicht in allen Facetten gleichen. Antisemitismus spielt etwa in den öffentlich wahrnehmbaren Diskursen der Rechtspopulisten in Europa oder den USA keine zentrale Rolle, wie es etwa im Nationalsozialismus der Fall war. Antikapitalistisch wie etwa der italienische Faschismus eines Benito Mussolini ist die Politik der neuen Rechten ebenfalls nicht zu nennen, betonte der Italiener Franco Berardi. Gerade Donald Trump zeige doch mit der Berufung von Goldman-Sachs-Managern in sein Kabinett, dass er geradezu auf den globalen Finanzkapitalismus setze.

Was wird demnächst auf den amerikanischen Straßen passieren?

Wenn jetzt auch Trump und Putin sich verbünden, drohe doch eine Art "Weltbürgerkrieg" der weißen Oligarchen gegen die Armen. Die aber werden sich wehren, prophezeit Berardi:
"Das bedeutet, dass da ein Bürgerkrieg aufzieht. Was wird demnächst auf den amerikanischen Straßen passieren? Am 14. Januar werden die US-amerikanischen Schwarzen in Washington demonstrieren. Streicht diesen Tag schon mal auf Eurem Notebook an."
Die belgische Politologin Chantal Mouffe hält es allerdings für unfruchtbar, rechtspopulistische Bewegungen in Europa oder in Amerika mit Begriffen wie "neofaschistisch" fassen zu wollen. Die neuen rechten Bewegungen hätten nicht das Ziel, liberale Demokratien in Diktaturen zu verwandeln.
Mouffe erinnerte daran, dass es nicht nur fremdenfeindlichen Rechtspopulismus in Europa gebe, sondern auch neuen Linkspopulismus wie "Podemos" in Spanien. Der Populismus von links und rechts sei eine Reaktion auf das Versagen der sozialdemokratischen Parteien, die dem Neoliberalismus den Weg bereitet hätten und Klassenantagonismen in kapitalistischen Gesellschaften nicht mehr wahrhaben wollten. "Ich glaube, die rechten populistischen Parteien als extrem rechts oder als Neofaschisten zu klassifizieren, ist ein bequemer Weg für die linke Mitte Europas oder in den USA, ihre eigene Verantwortung für das Entstehen des Rechtspopulismus zu verdrängen", erklärte Chantal Mouffe.

Mit Populismus gegen Populismus

Chantal Mouffe sieht im Rechts- ebenso wie im Linkspopulismus sogar eine Chance für eine Erneuerung des demokratischen Gedankens. Dem fremdenfeindlichen Populismus will sie einen Populismus von links entgegensetzen.
Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer ist da wohl etwas pessimistischer. Er hebt zwar hervor, dass ein Großteil der AfD-Wähler, die er in Kassel als "hochbürgerlich" bezeichnete, keine politische Gewalt befürwortet. Aber dass es Übergänge vom rechtspopulistischen Lager zum gewalttätigen Rechtsextremismus gebe, zeige doch etwa aktuell der Fall eines ehemaligen Pegida-Redners, der in Dresden zum Bombenleger wurde. Heitmeyer richtete in Kassel einen politischen Appell an die AfD-Verantwortlichen, sich auch in ihrer Sprache zu mäßigen:
"Man darf auch Herrn Gauland oder Frau Petry nicht unterstellen, dass sie Gewalt befürworten wollen. Nur der Fakt bleibt, dass diese Sprache ausgebeutet werden kann. Und das ist ihre eigentliche gesellschaftliche Verantwortung, die sie aber zurzeit überhaupt nicht ernsthaft wahrnehmen."
"Faschismus ohne Faschismus" – diesen Begriff bot schließlich in Kassel der ungarische Philosoph G.M. Tamás an, um auf den Begriff zu bringen, was Leute wie seinen Landsmann Viktor Orban aktuell so erfolgreich macht. In Ungarn werde letztlich mit Freiheitsversprechen für die Mehrheit gearbeitet, um Minderheiten moralisch aus der Gesellschaft auszuschließen: "Nun dürfen wir freundlich sagen, dass die Roma von minderer Qualität sind. Dass das ungarische Volk hart arbeitet und keine Flüchtlinge und Migranten aufnehmen kann, weil es schon für die Roma zahlen muss, die nicht arbeiten wollen."
Das spätestens aber klingt nicht mehr nach "Faschismus ohne Faschismus" – sondern nach purem Faschismus.
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