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Gesichtserkennung abgeschminkt

25:32 Minuten
Eine junge Frau trägt eine Maske vor dem Gesicht
Im Kunstprojekt "Face the Face" haben Studenten nach Wegen gesucht, ihre Gesichter für Software unkenntlich zu machen. © Aram Bartholl
Anna Biselli und Aram Bartholl im Gespräch mit Shanli Anwar · 07.02.2020
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Während die automatische Gesichtserkennung in Deutschland diskutiert wird, wird anderswo längst daran gearbeitet. IT-Firmen sammeln im Netz Fotos in Datenbanken und Künstler bereiten sich auf den Ernstfall vor: Wie man Kameras täuschen kann.
"Ein Startup, das das Ende der Privatsphäre, wie wir sie kennen, bedeuten könnte." Das hat die New York Times in ihrem Artikel im Januar über das bis dahin noch unbekannte Unternehmen "Clearview" geschrieben. Etwa drei Milliarden Bilder soll Clearview aus öffentlichen Quellen gesammelt und mit einer App verfügbar gemacht haben. Eine Art Datenbank, eine Bildersuche, mit der man einfach herausfinden konnte, welche Bilder von einer Person es im Internet gibt – und wo. Man braucht nur ein Foto von ihr.
Microsofts Datenbank-Projekt "Microsoft Celeb" von 2016 versammelte zehn Millionen Gesichtsfotos von rund 100.000 unterschiedlichen Menschen und sollte eine Trainingsdatenbank für Forscher sein. Auch diese Bilder stammen aus öffentlichen Quellen und die Personen wurden nicht gefragt. Allerdings wurde die Datenbank auch von Forschern benutzt, die Verbindungen zum Militär oder Verbindungen zu kommerziellen Unternehmen hatten.
Das hat der Künstler Adam Harvey mit seinem Projekt "MegaPixels" recherchiert und dokumentiert. Seine Kunst- und Forschungsplattform untersucht Gesichtserkennungs-Datensätze, die aus öffentlich zugänglichen Quellen extrahiert und analysiert wurden. MegaPixels hat über diese Projekte berichtet, drei von ihnen wurden danach offline gestellt – unter anderem "Microsoft Celeb".

Stylingtipps zur Gesichtsverfremdung

Adam Harvey hat auch ein Projekt initiiert, das es künstlicher Intelligenz schwer machen soll, Menschen zu erkennen: CV Dazzle (Computer Vision Dazzle) zeigt, wie man mit Mode-Accessoires sein Gesicht zu verfremden. Zu seinen Stylingtipps gehören:
  1. Makeup: kein Mascara oder Eyeliner
  2. Nasenrücken verfremden
  3. Augenregion(en) teilweise verdunkeln
  4. Keine Masken tragen, denn die sind in manchen Städten verboten
  5. Kopfform mit einem Schal optisch verändern
  6. Asymmetrie: Symmetrie vermeiden

Gesichtserkennung verständlicher als Überwachung

Auch der Berliner Künstler Aram Bartholl, hat sich die Frage gestellt, wie man Gesichtserkennungssoftware umgehen kann. Er beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit dem Digitalen Alltag, Medienverhalten und Debatten wie Datensicherheit und Überwachung. In seinem Seminar Face the Face an der HAW in Hamburg zeigt er, angelehnt an Harvey, zusammen mit Studierenden, wie man mit "Wearable CV Dazzles", also tragbaren Gegenstäden das Gesicht verfremden kann. Es sind kleine Dinge des Alltags wie Brillen oder Klebezettel, aber auch Kettenvorhänge am Käppi, durch die man zwar sehen, aber nicht gesehen werden kann. Das Seminar-Projekt baut auf der Speedshow "Face the Face" auf. Sie ist Teil der Ausstellung "Link in Bio" im Museum der bildenden Künste in Leipzig.
"Das Interessante an Gesichtserkennung ist, oder auch das Spannende daran, zu kommunizieren, was Überwachung heißt, das verstehen alle", sagt Bartholl. "Bei all diesen Projekten, die sich auf kreative Weise damit beschäftigen, ist das Wichtigste, dass dadurch eine Öffentlichkeit und eine Wahrnehmung stattfindet, dass diese Themen total wichtig sind. Es geht darum, die Diskussion am Laufen zu halten und zu überlegen als Gesellschaft: Wollen wir das oder wollen wir das nicht?"

Gesichtsverfremdung auf Demonstrationen?

"Ich glaube, es ist gut, mit so etwas kreativ umzugehen, das heißt, Protest kreativ nach außen zu tragen", sagt die Informatikerin Anna Biselli, die für netpolitik.org schreibt. Zwar sei es nicht alltagstauglich, sich Blumen ins Gesicht zu hängen, aber solche Herangehensweisen seien wenigstens nicht so theoretisch, langweilig und ohne moralischen Zeigefinger. "Da löst man eine Betroffenheit aus, aber eine andere Betroffenheit, die einen nicht dazu bringt, abzuwinken."
Biselli weist darauf hin, dass es zu Problemen führen könnte, wenn man solche "CV Wearables" auf Demonstrationen trägt. Wenn sie die Identifikation verhindern, könnten sie gegen das Vermummungsverbot verstoßen. Wenn es allerdings möglich sei, auf Demos massenweise Gesichter zu erkennen, greife das tiefer in Persönlichkeitsrechte ein, wenn dabei Videos gemacht werden. Das könne einen abschreckenden Effekt auf die Menschen haben, die an Demos teilnähmen. Deshalb könne man, so Biselli, darüber nachdenken, ob das Vermummungsverbot haltbar sei.
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