Komponistin, Pianistin und Schriftstellerin

Von Ullrich Bohn |
Im großen Veranstaltungsreigen des Schleswig-Holstein Musik Festival sorgt ein Termin alljährlich für eine ganz besondere Aufmerksamkeit: Die Verleihung des Paul-Hindemith-Preises, mit dem das Festival an das Wirken des Musikers und Komponisten in Plön erinnern will und gleichzeitig das Schaffen junger zeitgenössischer Komponisten würdigt. Heute nun wird der diesjährige Preis verliehen, und zwar an die russisch-amerikanische Komponistin und Pianistin Lera Auerbach.
Was ist sie denn nun eigentlich? – Eine junge, aufstrebende Komponistin, deren Werke bereits jetzt Bewunderung hervorrufen? – Eine leidenschaftliche Pianistin, die mittlerweile Stammgast in der New Yorker Carnegie Hall ist? – Oder gar eine ehrgeizige Schriftstellerin, die immerhin schon sechs Bände mit Gedichten und Prosawerken und zwei Romane verfasst hat, und schon vor neun Jahren von der Internationalen Puschkin-Gesellschaft zur "Dichterin des Jahres" gekürt wurde. Doch Lera Auerbach, daraufhin angesprochen, kann und will sich einfach nicht nur für eine Richtung entscheiden:

" Das ist so, als wenn man drei Kinder hat, und gefragt wird, welches man am meisten liebt. "

Alle drei Intentionen seien eben so stark in ihr verwurzelt, betont die knapp 30-Jährige Künstlerin. Nicht eine davon wolle sie verstoßen:

Auf jeden Fall aber ist die aus der Ural-Stadt Tscheljabinsk am Rande Sibiriens stammende Lera Auerbach ein Naturtalent, das alles um sich herum unheimlich schnell aufsaugt und umsetzt. Klavierspielen und Komponieren lernt mit vier, ihren ersten Auftritt hat sie mit sechs Jahren, die erste Oper schreibt sie mit zwölf:

"Ein sehr natürlicher Vorgang sei das gewesen, da ihre Mutter als Musikerin und Klavierlehrerin sehr viel zu Hause unterrichtet habe, Musik also stets allgegenwärtig war. "

Auch als Pianistin feiert die junge Russin schon frühzeitig erste Erfolge, gewinnt mehrere Preise und nutzt schließlich 1991 eine Einladung zu einer Konzertreise in die USA, um ganz in den Vereinigten Staaten zu bleiben:

"Es war genau der richtige Zeitpunkt, das richtige Alter für mich, gesteht Lera Auerbach, die zwar von der russischen Kultur, der russischen Musik geprägt war, sich aber auch sehr offen neuen Ideen gegenüber zeigte, als ihre Ausbildung an New Yorker Juilliard-School begann. "

Und Offenheit ist denn auch das Stichwort, wenn man sich der Komponistin Lera Auerbach nähert. Sie mag sich nicht festlegen, will nicht nach Plan Stücke schreiben, sondern reagiert nicht selten auf die Wünsche und Ideen von befreundeten Musikern oder Ensembles:

"Jedes Stück, so sagt sie, habe seine Zeit, und es jedes Mal ist es wieder ein gewisses Abenteuer, sich auf einem neuen Territorium zu bewegen. "

Kreativ sein heißt für sie, stets das Unbekannte zu suchen, auch wenn man dann zuweilen sehr unschlüssig auf dem weißen Blatt Notenpapier herumkritzele:

Dennoch ist Lera Auerbach schon mehrfach fündig geworden. So wurde sie im Jahr 2000 von der Internationalen Brahms-Gesellschaft als Composer in residence nach Baden Baden eingeladen. In der Eröffnungssaison der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles wurde ihr Violinkonzert Nr. 1 uraufgeführt, die Tsunami-Katastrophe inspirierte sie zu einem Werk namens "Dreams and Whispers of Poseidon" und im Januar 2005 entstand ihr erstes Streichquartett. Bereits auf CD erschienen und hier in Ausschnitten zu hören sind die 24 Präludien für Violine und Piano, die sie 1998 komponierte:

"Es ging mir dabei um die individuellen Ausdrucksmöglichkeiten aller Dur- und Moll-Tonalitäten zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Und der spezielle Charakter der Stücke besteht darin, etwas Vertrautes aus einer unerwarteten Perspektive heraus zu betrachten und zu entdecken. "

Und auf ihrer neuesten CD nimmt die Pianistin Lera Auerbach die Literatin Lera Auerbach quasi an die Hand, hat sie doch Gelegenheitskompositionen einiger schriftstellerischer Ikonen der russischen Kultur wie Leo Tolstoi oder Boris Pasternak eingespielt:

"Pasternak war zunächst mit aller Leidenschaft Komponist, war Schüler von Skrijabin, um sich dann doch in einem sehr schmerzhaften Prozess von der Musik abzuwenden. Auch Leo Tolstoi war ein sehr fähiger Pianist, der sehr leidenschaftlich mit Musik umging, als Komponist aber kein Glück hatte. "

Zwar lebt Lera Auerbach heute vorwiegend in New York, von September an aber wird sie ein Jahr lang in Norddeutschland, genauer gesagt in Bremen, beim dortigen Musikfest als Composer in residence zu Gast sein. Und natürlich einige neue Werke präsentieren. Das erste, Uraufführung ist am 13. September, ist dem Geiger Gidon Kremer gewidmet, dem unermüdlichen Promoter russischer Komponisten. Als Ausgangspunkt wählte Lera Auerbach Pergolesis berühmtes "Stabat mater", und komponierte nunmehr zu den einzelnen Sätzen zeitgenössische Zwischenspiele hinzu, so dass ein musikalischer Dialog entsteht, der, so verrät die Komponistin, eine neue Sicht auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eröffnen soll.