Komponistenschicksale im Ersten Weltkrieg

Wiederentdeckung einer verlorenen Generation

25.644 Soldaten liegen auf dem Soldatenfriedhof Vladslo im belgischen Ypern begraben.
Unter den Toten des Ersten Weltkrieges befinden sich auch drei beinahe vergessene Komponisten. © dpa / picture-alliance / Thierry Monasse
Von Philipp Quiring · 13.11.2015
Der Schotte Cecil Coles, der Engländer George Butterworth, der Deutsche Rudi Stephan: Die drei Komponisten ließen im Ersten Weltkrieg in jungen Jahren ihr Leben. Jetzt können ihre Stücke zum Teil wieder gehört werden - dank der Arbeit des Horenstein-Ensembles.
Matthias Benker: "Alle, die wir jetzt abbilden, sind in der Schlacht, im Kampf gefallen. Wahrscheinlich mit vollem Optimismus, dass es morgen schon vorbei ist und sind dann quasi mitten aus dem Leben gerissen worden, völlig unvorhersehbar."
George Butterworth – Gefallen am 05. August 1915 bei Pozières – in Frankreich.
Cecil Coles - Gefallen am 26. April 1918 bei Crouy – ebenfalls in Frankreich.
Rudi Stephan – Gefallen am 29. September 1915 bei Wielki Chodaczków – in der heutigen Ukraine.
Musik von gefallenen Komponisten, Musik einer fast verlorenen Generation, der sich das Horenstein-Ensemble mit dem Bratschisten Matthias Benker angenommen hat. Das Ensemble besteht in seiner Stammformation aus sieben Musikern, im Wesentlichen aus Mitgliedern des Konzerthausorchesters Berlin. Mit Harfe, Flöte, Klarinette und vier Streichern werden Fragmente und Manuskripte tönend wiederentdeckt oder die "Musik für sieben Saiteninstrumente" von Rudi Stephan aus der Versenkung gehoben.
Zwischen Spätromantik und Moderne
Der aus Worms stammende deutsche Komponist Rudi Stephan galt zu seiner Zeit als einer der größten Begabungen der jungen Komponisten. Bevor er im Alter von 28 Jahren fiel, verfolgte er eine Musiksprache zwischen Spätromantik und Moderne. Tonale Musik mit atonalen Ansätzen, die von ihm für sieben Saiteninstrumente geschickt instrumentiert wurde und dessen Vielschichtigkeit zu einem großen Finale ausgeweitet wurde. Eines der sieben Saiteninstrumente wird von Ronith Mues gespielt. Sie ist die Harfenistin des Horenstein-Ensemble:
"Also bei Rudi Stephan gibt es ja immer noch impressionistische Züge und da setzt er ganz bewusst die Harfe ein, um diese Klangfarben quasi noch mal bedienen zu können."
Auslöser für die Harfenistin Ronith Mues und den Bratschisten Matthias Benker sich überhaupt zusammen mit den anderen Mitgliedern des Horenstein-Ensemble um die drei vergessenen Komponisten zu bemühen, war die Fotoreportage von Martin Ulrich Konrad Lengemann unter dem Titel "Die Narbe".
Der in Berlin lebende Fotograf erzählte in der "Welt am Sonntag" zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs seine persönliche Geschichte entlang der Geschichte seines Urgroßvaters und entlang des Verlaufs der ehemaligen Westfront. "Die Narbe" – die fotografisch dokumentierte Westfrontlinie mit ihren Schützengräben und Kämpfen – führte zu einem Austausch mit dem klassikbegeisterten Fotografen – so Bratschist Matthias Benker:
"Und dann haben wir uns halt als Ensemble auf Recherche begeben, welche Komponisten waren dabei und dann mussten wir natürlich auch eine Auswahl treffen. Und es gibt natürlich auch Komponisten, die sehr viel Orchestermusik geschrieben haben und ganz wenig für ein Kammerensemble wie unseres passend. Da war natürlich bei Rudi Stephan - da bot sich das an - diese Musik für sieben Saiteninstrumente, natürlich besonders geeignet, obwohl nicht ganz unsere Originalbesetzung. Bei den anderen sind wir halt auf Butterworth, die Suite für Streichquartett, gestoßen. Aus meiner Sicht die Entdeckung überhaupt, denn es gibt noch keine Aufnahme, die uns bekannt ist."
Anklänge an die Volksmusik
Musik des englischen Komponisten George Butterworth, der nach seinem Oxfordabschluss eine Laufbahn als Musikkritiker, Hochschullehrer und als Komponist verfolgte. Während seiner Ausbildung begegnete er dem Volksliedsammler Cecil Sharp, der ihn ebenso inspirierte wie später Komponistenkollege Ralph Vaughan Williams. Gemeinsam mit Williams zog Butterworth durch das ländliche England – Beide als große Fans von Englischer Volksmusik und dem Volkslied. Ein Inspiration, die sich bei Butterworth wahrscheinlich durch sein gesamtes Werk zog, zumindest aber durch die heute noch erhaltenen. Einen großen Teil seines Werkes verbrannte Butterworth einen Tag, bevor er eingezogen wurde im Kamin. In "The Banks of Green Willow", das das Horenstein-Ensemble hat arrangieren lassen, erinnert insbesondere die Harfe im Zusammenklang mit der Flöte an Volksmuk.
Neben George Butterworth und Rudi Stephan, besitzt insbesondere das Werk des Schotten Cecil Coles seine eigenwillige Geschichte.
"Also das Werk von Coles war erstmal völlig verschollen und 2001 ist es erst aufgetaucht, weil Herr Coles seinem Freund Gustav Holst immer wieder Manuskripte zuschickte auch noch aus der Schlacht sozusagen. Er hat auch später noch aus dem Schützengraben heraus komponiert. Und Holz hat das auch alles brav aufbewahrt in seinem Schrank oder Safe. Aber anscheinend vergessen, jedenfalls ist es erst viel später nach Holst Tod jetzt bei der Renovierung einer Schule in Schottland, ist das Material aufgetaucht und es ist verdammt wenig und auch sehr in Manuskriptform. Das ist in dieser Tonsprache, aber eben auch so relativ durchsichtig komponiert, dass wir sagten, das ist für ein Kammermusikensemble wie unseres ein Gewinn und ja, das kann man dann sehr gut eben darstellen."
Das Horenstein-Ensemble ließ daraufhin die "Vier Verlaine Lieder" Cecil Coles arrangieren – für Ensemble und Gesang.
"Wenn eine Sängerin dazu kommt: Stimme ist einfach anders, als reine Musikinstrumente. Man muss sich natürlich darauf einstellen. Man muss in sehr vielen Bereichen sehr fein und auch sehr schlank spielen – sage ich mal – dass die Stimme gut durchkommt, ohne zu drücken und auch bewusst – auch bei Aufnahmen – nicht irgendwie höher gezogen werden muss oder dass man dann irgendwie über die Knöpfe die Instrumente reguliert. Deswegen war das natürlich auch mit einer Sängerin zu arbeiten immer natürlich bereichernd und auch spannend."
Die "Vier Verlaine"-Lieder Cecil Coles – gesungen von der Sopranistin Barbara Krieger - sind von der Tonsprache her inspiriert von Richard Strauss, dessen Assistent Coles für kurze Zeit in Stuttgart war. Kurz bevor der Krieg begann, arbeitete Coles als Dirigent. Bis sein Werk wiederentdeckt wurde, wusste nicht einmal Coles Tochter, dass ihr Vater Komponist war. Die Mutter hatte nie mehr darüber gesprochen.
Der Schotte Cecil Coles, der Engländer George Butterworth und der Deutsche Rudi Stephan: Alle drei waren Komponisten, die um die 30 ihr Leben ließen.
Dank der Arbeit des "Horenstein-Ensemble" können zumindest ihre Stücke zum Teil wieder gehört werden.

"Lost Generation – Verlorene Generation" des Horenstein-Ensembles ist beim Label Acoussence erschienen.

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