Komponieren ist wie eine Reise

Von Gerald Beyrodt · 19.07.2013
Der junge israelische Komponist Gilad Hochman hält viel von Traditionen. Er liebt die Bibel und den jüdischen Gottesdienst - auch wenn er, seitdem er in Berlin lebt, noch keine Synagoge besucht hat. Er drückt seine Verbundenheit zu seiner Kultur durch die Musik aus.
Ausgerechnet die Ruhe schätzt Gilad Hochman an Berlin, wo er seit fünf Jahren lebt. Denn Ruhe findet er in israelischen Städten eher nicht.

Gilad Hochman: "Breite Straßen und ruhige Parks findet man in Berlin. Das ist nicht gerade typisch für eine Hauptstadt. Durch die Straßen zu laufen, finde ich auch wirklich entspannend. Natürlich gibt es die öffentlichen Verkehrsmittel und jede Menge Menschen, aber ich empfinde nicht das gleiche Gefühl von Intensität – etwa im Vergleich zu Tel Aviv, das turbulent ist und unter Hochdruck steht. In Israel ist das Leben viel schneller."

Besonders gerne bringt Gilad Hochman mitten in der Nacht seine musikalischen Ideen zu Papier – da sei die Stadt am ruhigsten.

Schon mit neun Jahren begann der heute 30-Jährige zu komponieren, machte mit 18 seinen Abschluss am Herzlia Musikkonservatorium, bekam mit 24 als jüngster israelischer Komponist den angesehenen "Prime Minister Award".

Lange schon hat ihn die Musik der deutschen Komponisten interessiert, besonders das deutsche Kunstlied. Doch trotz der Jahre, die er schon in Deutschland zugebracht hat, spricht er meistens Englisch, flicht nur manchmal deutsche Wörter ein wie:

"Ach so."

Wenig Deutsch zu verstehen, hatte für ihn lange große Vorteile, sagt er.

"Wenn man die Sprache nicht beherrscht, lassen sich viele Geräusche einfach wegblenden. Man versteht die ja nichts. Und plötzlich spürt man die Musik der Sprache statt der Bedeutungen."

Gotteserfahrungen gibt es überall
Außerdem fand er lange das Gefühl interessant, in der Fremde zu sein, in der Diaspora. Um so wichtiger sind allerdings regelmäßige Besuche in Israel, wo er jedes Wort versteht. Oft schöpft er bei seinen Kompositionen aus dem reichen Fundus der jüdischen Geschichten – hat zum Beispiel ein Bratschen-Solo zur Akeda komponiert – zur Bindung Isaaks. Isaak soll geopfert werden und wird dann doch verschont.

Einfache Vertonungen sollen seine Werke nicht sein, denn Musik habe ihre eigene Sprache und ihre eigenen Antworten. Auf die Frage, wie er zu seinen Ideen kommt, braucht er erst mal eine Zigarette, und sagt dann:

"Am Anfang steht eine Frage, der man auf den Grund gehen möchte. Aber die Frage ist nicht in Worten formuliert, sondern in Tönen. Ein Motiv, eine Melodie, eine Harmonie, eine Atmosphäre oder ein Thema, dessen Geist und Rhythmus du erforschen willst, dessen Bewegung du auf die Spur kommen willst. Und du fragst dich, wie es funktioniert und wie es sich weiterentwickelt."

Komponieren sei wie eine Reise, und der Komponist wisse nie genau, wohin ihn die Reise bringt.

An den Geschichten aus der Bibel interessiert Gilad Hochman die Religion am allerwenigsten. Viel eher sieht er sie als Studien der menschlichen Natur. Sie formuliere hehre moralische Prinzipien und zeige gleichzeitig, wie tief Menschen sinken können. Neben den biblischen Geschichten tauchen auch Motive aus dem jüdischen Gottesdienst auf – etwa das Wechselspiel von Kantor und Gemeinde.

"Mein Stück Wen meine Seele liebt ist ein gutes Beispiel. Es basiert auf einem Text aus dem Hohelied. Ich habe es für Cello und Chor komponiert. Das Cello ist sozusagen der Kantor und der Chor die Gemeinde."
In einer Synagoge ist er noch nicht gewesen, seit er in Deutschland lebt. Andere Menschen könne er auch im Café treffen und Gotteserfahrungen bräuchten keine Häuser. Aber Gilad Hochman ist fasziniert von der Bibel, die ein extrem kluges Buch sei, und eines, das ihn zum Komponieren anspornt zudem.