Komplexe Forschung verständlich erklärt

31.07.2011
Das Buch basiert auf den neuesten Arbeiten des Deutschen Geoforschungszentrums und liefert einen Querschnitt durch die Disziplin. Trotz der Informationsdichte ist dabei ein anschauliches Werk herausgekommen.
Als das Wissenschaftsmagazin "New Scientist" die wichtigsten Entdeckungen der Menschheit auflistete, rangierte sie ganz oben neben der Evolutionstheorie: Die "Kontinentaldrift" des deutschen Forschers Alfred Wegener lieferte 1915 erstmals eine schlüssige Erklärung, warum Randzonen und Fossilien weit entfernter Kontinente so gut zusammenpassen.

Wie die geologische Forschung sich seitdem weiterentwickelt hat, lässt sich in einem neuen Buch aus dem Spektrum Verlag erkunden. "Ein Planet voller Überraschungen" liefert - basierend auf neuesten Arbeiten des Deutschen Geoforschungszentrums in Potsdam - einen Querschnitt durch die Disziplin. Natürlich spielt die Dringlichkeit der Klimaforschung eine große Rolle. Doch in den 14 umfangreichen, deutsch-englischen Kapiteln geht es um Vieles mehr: Tektonik, Sedimentbecken und vulkanische Explosionen, die Erforschung der Bodenoberfläche, das Magnetfeld der Erde und Geoenergie.

Das System Erde präsentiert sich der Wissenschaft heute äußerst komplex, das wird bei der Lektüre deutlich. So ist unser Klima nur eine Schnittstelle vielfältiger Prozesse, die sich in Atmosphäre, Hydrosphäre, Geosphäre, Biosphäre und Anthroposphäre ereignen. Für die Erforschung all dieser Teilgebiete sind Spezialisten verantwortlich, mit eigenen Fragestellungen, einem eigenen Methodenarsenal und der Aufgabe, riesige Räume und Zeiten zu durchmessen. Geowissenschaftler müssen in der Lage sein, sich gedanklich und methodisch viereinhalb Milliarden Jahre zur Geburtsstunde der Erde zurückzubewegen oder in den Nanosekunden des Global Positioning Systems zu messen. Sie rechnen in Lichtjahren, um mit Hilfe weit entfernter Quasare geodätische Messungen vorzunehmen, und haben es in der Geochemie mit kleinsten Molekülen zu tun.

Wie solche Forschung in konkrete Anwendungen mündet, verdeutlich das Kapitel über die Entwicklung eines Tsunami-Frühwarnsystems für den Indischen Ozean. Indonesien hat es mit einer prekären tektonischen Lage zu tun. Die Erdbebenzone verläuft hier über mehrere tausend Kilometer parallel zur Landesküste. Zwischen dem Entstehen eines Tsunami und seinem Aufprall auf die Küste können lediglich 20 Minuten liegen. Spannend liest sich, wie Forscher verschiedenste Monitoring-Verfahren ineinandergreifen lassen, um ein hochempfindliches Warnsystem zu installieren, das dennoch keine Falschmeldungen produziert.

Trotz seiner Informationsdichte ist das großformatige Buch angenehm klar layoutet. Vierfarbige Fotos und Grafiken bieten Anschauungsmaterial, und das zwischen Orange und Blau changierende Farbleitsystem lenkt den Leser klar durch die zweisprachigen Texte. Der "Planet voller Überraschungen" ist ein gelungenes Beispiel, wie sich komplexe Wissenschaft populärwissenschaftlich aufbereiten lässt, ohne oberflächlich zu werden. Sogar ein Kapitel über Kunst und Wissenschaft hat in den Band Eingang gefunden - mit wunderschönen Wolkenhimmeln aus der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts.

Besprochen von Susanne Billig

Reinhard Hüttl (Hg.): Ein Planet voller Überraschungen. Neue Einblicke in das System Erde
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011
320 Seiten, 49,95 Euro