Kommunistische Witze

Der Kommunismus – "das komischste politische System der Welt"? Tausende und Abertausende Bücher sind über den Kommunismus schon geschrieben worden, aber kaum ein Historiker hat sich mit der wohl wichtigsten Hervorbringung dieser Ideologie beschäftigt: mit den Witzen, die so nur in diesem politischen System entstehen und auf dem Humus, dem Misthaufen des Kommunismus gedeihen konnten.
Das ist die muntere These der durchweg unterhaltsamen und rasanten Reportage des Briten Ben Lewis. "Spaßmacher", so der erklärte "Forschungsreisende" Lewis, der recherchierend in Ost- und Mitteleuropa sowie in der Sowjetunion unterwegs war, "hatten es leicht, die Diskrepanz aufzuzeigen zwischen dem, was sein sollte, und dem, was tatsächlich geschah". Etliche Witze entlarvten treffsicher die massenweise produzierten Lügen der Regimes, waren wirksame Waffen des Protests, sie unterwanderten die Gesellschaften der Sowjetunion wie aller Ostblockstaaten, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.

Auf der Jagd nach dem kommunistischem Witz und seinem Wesen hat Lewis in Moskau, Bukarest, Budapest, Prag und Warschau ehemalige Dissidenten wie den Schriftsteller György Dalos getroffen (selbst ein Witzesammler mit seinem Buch "Proletarier aller Länder, entschuldigt mich"), er hat einstige Parteikader interviewt, Kabarettisten wie Ernst Röhl und Peter Sodann vom Leipziger "Rat der Spötter" und - kurz vor dessen Tod noch - den im Alter von 108 Jahren verstorbenen russischen Karikaturisten Boris Jefimow.

In Rumänien machte er einen Amateurstatistiker ausfindig, der zwischen 1979 und 1989 penibel Buch darüber führte, wann er welchen kommunistischen Witz wo, von wem und in welcher Häufigkeit hörte, mit dem Ergebnis, dass unter dem Kommunismus angeblich "alle 4,71 Tage" ein neuer Witz entstand.

Mit Verve, Ironie und einigem Sinn für Slapstick inszeniert Lewis seine Recherche als eine große "Gruseltourismus"-Safari durch die ehedem kommunistischen Gefilde. Berichtet in einer Art Rahmenhandlung von seiner problematischen Liebesbeziehung zu einer überaus humorlosen überzeugten Kommunistin, die in der DDR aufwuchs und nicht begreifen will, warum Lewis den Kommunismus so vehement ablehnt und ausgerechnet die Witze, die unter 72 Jahren praktiziertem Marxismus-Leninismus entstanden, für dessen bedeutendste kulturelle Leistung hält.

Aufschlussreich, was alles Lewis dabei an Fakten zutage aus den Archiven der Geheimdienste wie von Radio Free Europe fördert. Einer Fülle von geistreichen Witzen begegnet Lewis, und er weiß: Witze waren "ein kollektives satirisches Werk, erschaffen von der gesamten Bevölkerung", sie waren "der Jazz [ ... ], die Musik der Unterdrückten."

Die 60er-Jahre sind für Lewis, "ein in Qualität und Quantität goldenes Zeitalter der Satire". Aber es war mitunter - von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und Land zu Land verschieden - sehr gefährlich, sie in aller Öffentlichkeit zu reißen. Denunzianten brachten Hunderttausende dafür ins Gefängnis, man wurde verfolgt wegen "antisowjetischer Propaganda", wenn man in der Sowjetunion die sogenannten "anekdoty" erzählte. Nach Artikel 58, Paragraf 10 Strafgesetzbuch war es verboten, Witze zu erzählen, anzuhören oder aufzuschreiben.

Dennoch meinte selbst Michail Gorbatschow 1989: "Anekdoty waren unsere Rettung." Lewis wundert es nicht, dass Ronald Reagans Hobby das Sammeln von kommunistischen Witzen war. So subversiv und voller Esprit nahmen sie die Missstände der Mangelwirtschaft auf die Schippe.

Aber waren diese Witze nun? Ein Vehikel der Opposition oder bloß ein Ventil, um Dampf abzulassen, Unmut zu äußern? Haben die Witze nun die Leute bei Laune gehalten und systemstabilisierend gewirkt oder zum schlussendlichen Sturz der kommunistischen Regimes beigetragen? Lewis rätselt darüber bis zuletzt, und stellt verstört fest, dass selbst ein Despot wie Stalin schauerliche Witze über den eigenen Terror riss. Zu Charles de Gaulle sagte er mal: "Die Leute sagen, ich sei ein Monster, aber wie Sie sehen, mache ich Witze darüber. Vielleicht bin ich ja gar nicht so schrecklich."

Einen Humor-Wendehals der besonderen Art erkennt Lewis in Jerzy Urban: Der polnische Satiriker, ein Zyniker sondergleichen, war Regierungssprecher von General Jaruzelski und machte nicht nur im Kommunismus, sondern dann auch im Kapitalismus Karriere: Mit seiner 1990 gegründeten Satirezeitschrift habe er, behauptet Lewis, "Millionen gemacht". Den berühmten Satz von George Orwell, geschrieben 1945, kann Lewis so nur bedingt unterschreiben: "Every joke is a tiny revolution". Ist jeder Witz eine klitzekleine Revolution? Auf jeden Fall, so Lewis in seinem im Plauderton daherkommenden Recherche, stellte, wer zwischen 1917 und 1918 Witze erzählte, dadurch seine intellektuelle Überlegenheit unter Beweis.

Besprochen von Knut Cordsen

Ben Lewis: Das komische Manifest. Kommunismus und Satire von 1917 bis 1989
Blessing, München 2010
22,95 Euro