Kommunikation in der Wissenschaft

Wie twittern Archäologen?

Ein Smartphone im Landtag in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern)
Auch Wissenschaftler melden sich mit ihren Erkenntnissen in den sozialen Medien zu Wort und wollen sich in Debatten einbringen © dpa / Maurice Wojach
Hauke Ziemssen im Gespräch mit Ute Welty  · 04.12.2017
Auch in der Wissenschaftskommunikation gehen viele Forscher neue Wege. Der Archäologe Hauke Ziemssen ist nicht nur auf Twitter aktiv, sondern hat auch eine Tagung organisiert, um die Vor- und Nachteile solcher Debattenbeiträge zu diskutieren.
Warum Bücher schreiben, wenn es auch ein Blog sein kann? Die Tagung "Kurz und gut" beschäftigt sich in Berlin mit der Frage, wie Geisteswissenschaftler heute kommunizieren sollten, um seriös zu bleiben. Einige Forscher suchen über Blogs, Twitter oder Science Slam mehr Kontakt zum Publikum und mischen sich in öffentliche Debatten ein. Aber die kurze Form der Präsentation in der Öffentlichkeit ist in Wissenschaftskreisen immer noch umstritten.

Diskurse vernetzen

"Es gibt keinen Grund, dass wir nicht zeitgenössische Medien nutzen – im Gegenteil", sagte der Archäologe Hauke Ziemssen im Deutschlandfunk. Er ist Mitorganisator der Konferenz "Kurz und gut" an der Akademie der Wissenschaften Berlin Brandenburg, die sich mit neuen Formen der Wissenschaftskommunikation befasst. Die neuen Medien ermöglichten es, bestimmte geisteswissenschaftliche Themen und Diskurse zu vernetzen. "Das ist ein Rückkoppelungsprozess."

Einmischen bei historischen Vergleichen

Als Beispiel für eine Debatte, in der er sich als Historiker und Archäologe habe einmischen wollen, nannte Ziemssen die seit zwei Jahren laufende Migrationsdiskussion. Dabei lasse sich beobachten, dass Themen aus der alten Geschichte oft undifferenziert in die Debatte eingebracht würden und sei teilweise erschreckend. So werde zum Vergleich häufig die sogenannte Völkerwanderung in einer Weise angeführt, als habe sie zum Ende des Römischen Reiches geführt.
"Die Barbaren, die Völker von außerhalb des Reiches, die das Reich erobern und zum Niedergang führen." Die Wanderung von Volksgruppen sei aus historischer Sicht nur ein Faktor gewesen, die zum Untergang führte. Die zerrüttete innere Struktur des Römischen Reiches werde häufig übersehen. "Wenn heute also gesagt wird, Wanderungen, wie sie heute stattfinden, würden über kürzer oder länger zur Zerstörung unserer Gesellschaften führen, dann ist das eine nicht nur unzulässige, sondern einfach schlichtweg historisch falsche Verkürzung", sagte Ziemssen. "Da müssen wir auch als Historiker eingreifen." Das könne auf Twitter geschehen, in dem man auf historische Erkenntnisse hinweise, aber auch mit kürzeren Vorträgen auf You Tube.

Das Interview im Wortlaut:

Warum Bücher schreiben, wenn es auch ein Blog sein kann? Wissenschaft hat inzwischen vielfältige Möglichkeiten, von sich Reden zu machen. Aber nicht für alle liegt die Würze in der Kürze. Auch in den Geisteswissenschaften stehen die neuen Vermittlungsformen in der Kritik. Forscher und Rezipienten fürchten um die seriöse Vermittlung von Inhalten.
Inwieweit solche Befürchtungen berechtigt sind und inwieweit neue Ausdrucksformen auch neue Chancen bieten, das bespreche ich jetzt weiter mit Hauke Ziemsen, der Archäologe ist Geschäftsführer des Exzellenzclusters Topoi an der Freien Universität Berlin und einer der Organisatoren von "Kurz und gut", so heißt die Tagung heute an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Herr Ziemssen, Sie retweeten auch schon mal gern eine Lach- und Sachgeschichte aus der "Sendung mit der Maus" über die Arbeitsweise von Archäologen. Ist das einem seriösen Wissenschaftler tatsächlich angemessen?
Ziemssen: Na ja, selbstverständlich. Es gibt keinen Grund, dass wir nicht moderne Medien, zeitgenössische Medien nutzen. Im Gegenteil. Wir verstehen uns als Wissenschaftler selbstverständlich als Teil dieser Gesellschaft. Wir wollen gern auch in den gesellschaftlichen Diskurs mit eingreifen. Und wir können und wollen natürlich nicht ignorieren die Form, in denen diese Gesellschaft kommuniziert.
Welty: Welchen Vorteil sehen Sie darin eben als Wissenschaftler, auch ein Medium wie Twitter zu benutzen?
Ziemssen: Der Vorteil der Vernetzung von Themen und Diskursen. In unseren Wissenschaften beschäftigen wir uns sehr oft mit Themen, die eng an dem dran sind, was die Gesellschaft im Moment macht. Das ist ein Rückkopplungsprozess. Wir haben also als Wissenschaftler, selbstverständlich sind unsere Fragestellungen auch abhängig davon, was gesellschaftlich diskutiert, debattiert wird.
Das wirkt sich auf Fragestellungen der Wissenschaft aus. Und umgekehrt können wir mit dem, was wir wissenschaftlich erforschen, auch wiederum den gesellschaftlichen Diskurs, ich sag mal ganz unbescheiden, bereichern. Wir können Dinge stärker differenzieren, die oftmals undifferenziert sonst nur in der öffentlichen Debatte dargestellt werden. Wir können historische Kontexte hinzufügen, die es sonst nicht unbedingt gibt.
Italien: Forum Romanum in Rom
Selbst die Geschichte des Alten Roms spielt heute in aktuellen politischen Debatte eine Rolle © picture alliance / Daniel Kalker

Neue Forschungsergebnisse

Welty: Was bedeutet das für Ihren Forschungsschwerpunkt, für die Kulturgeschichte des Römischen Reichs und für die Architektur der Spätantike? Wo setzen Sie da an und wo können Sie da koppeln, was Sie erforschen, und was die gesellschaftliche Debatte ausmacht?
Ziemssen: Ich kann mit einem Beispiel einfach mal beginnen, das ist das Beispiel der großen Debatte, die im Moment ja läuft, seit mindestens zwei Jahren und eigentlich auch schon länger, zum Thema Migration, Wanderung. Das ist ein Thema, das uns als Archäologen, Altertumswissenschaftler, Altgeschichtler lange schon beschäftigt, und das aber jetzt auch eine gewisse Konjunktur in unseren Fächern tatsächlich hat und zu dem es auch ganz wesentliche neue Forschungsergebnisse gibt.
Und wenn man beobachtet, wie zum Beispiel Debatten, Themen aus der alten Geschichte oft undifferenziert verwendet werden in dieser Debatte, in der modernen gesellschaftlichen Debatte zu Migration, ist es teilweise schon erschreckend, und dann möchte ich mir als Historiker oder Archäologe schon das Recht herausnehmen, dort mit größerer Differenzierung auch mit einzugreifen.
Ein Bespiel dafür ist die Darstellung der sogenannten Völkerwanderung, das heißt dieses Endes des Römischen Reiches, das oftmals assoziiert wird mit dem Barbarensturm. Die Barbaren, die Völker von außerhalb des Reiches, die das Reich erobern und zum Niedergang führen. Das ist so natürlich – ich sag natürlich, aber oftmals eben doch auch nicht natürlich, wird das nicht so gesehen –, es ist nicht so, so einfach zu sehen.
Die Völkerwanderung, die Wanderungen von Volksgruppen waren ein Faktor, aber eben auch nur einer in einer ganzen Vielzahl von Faktoren. Ein ganz wesentlicher Faktor, der aber eben oft nicht gesehen wird, war die innere Struktur, die zerrüttete innere Struktur des Römischen Reiches selbst. Und wenn heute also gesagt wird, Wanderungen, wie sie heute stattfinden, werden über kürzer oder länger zur Zerstörung unserer Gesellschaften führen, dann ist das eine nicht nur unzulässige, sondern einfach schlichtweg auch historisch falsche Verkürzung. Das heißt, da müssen wir auch als Historiker eingreifen, und wir versuchen eben auch, das zu tun.

Themen vernetzen

Welty: Sie sprechen von Differenzierung. Jetzt kann man ja in 140 Zeichen, um bei diesem Beispiel zu bleiben, nicht das niederschreiben, was auf 140 Seiten passt. Bleiben da Inhalte nicht doch zwangsläufig auf der Strecke?
Ziemssen: Wenn man den Anspruch hätte, in 140 Zeichen diesen gesamten Inhalt rüberzubringen, dann würden sie natürlich auf der Strecke bleiben. Den Anspruch können wir nicht haben. Es geht auch zum einen nicht nur um Twitter. Es gibt natürlich viele andere Formen, die mehr als 140, jetzt 280 Zeichen ja auch, bieten. Die reichen von kürzeren Vorträgen über YouTube-Videos, über Science-Slams und so weiter.
Aber selbst mit Twitter kann man etwas ganz Wesentliches machen: Man kann nämlich Debatten, Themen miteinander vernetzen. Das heißt, ich kann, wenn ein solches Thema beispielsweise aufploppt, ein Thema wie die Rolle der Wanderungsbewegungen am Ende des Römischen Reichs, kann ich darauf reagieren auf Twitter und kann wiederum schlicht und einfach einen Link setzen, kann einen kurzen Kommentar setzen, der weiterführt.
Ich kann darauf hinweisen, dass es hier eine differenzierte wissenschaftliche Diskussion gibt, die man beachten sollte. Das ist dann nicht der vollständige Inhalt, aber es ist ein erster Schritt, und es vernetzt Diskurse miteinander, die sonst unverbunden nebeneinanderher laufen würden, den wissenschaftlichen und den gesellschaftlichen.

Kurze Vorträge

Welty: Wenn Wissenschaft auch in dieser kurzen Form funktioniert, bedeutet das im Umkehrschluss, dass vieles auch überflüssig ist, was so geschrieben und veröffentlicht wird?
Ziemssen: Überflüssig ist –
Welty: Ist ein böses Wort, ich gebe es zu.
Ziemssen: Ist ein böses Wort, das auch natürlich nicht gerechtfertigt ist insofern, als wir ja nicht mit der kurzen Form, die wir gerade jetzt hier im Zusammenhang gesellschaftlicher Diskurse einsetzen wollen, dass wir damit nicht die differenzierte, auch langfristige wissenschaftliche Arbeit, detailgenaue wissenschaftliche Arbeit ersetzen wollen und können.
Das heißt, es gibt immer den Zwang dazu, dass es ganz genaue Studien gibt, dass es Arbeiten gibt mit langen Kataloganhängen, die also im Detail sich angucken, wie genau die Zeugnisse beispielsweise der Zeit des ausgehenden Römischen Reichs aussehen. Das ist die Basis. Das muss immer weiter auch passieren. Die Form, wie wir darüber reden, gerade wenn wir in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang gehen und mit mehr Leuten als nur unseren Fachkolleginnen und -kollegen reden wollen, diese Frage ist eine andere, und da, denke ich, kann man schon durchaus mehr Kürze walten lassen, als es oftmals passiert.
Welty: "Kurz und gut" – wie gehen Sie mit dieser Anforderung, mit diesem Motto heute auf der Tagung um? Kein Redebeitrag länger als zwei Minuten?
Ziemssen: Wir versuchen tatsächlich, kurze Vorträge durchzuführen, und wir wollen enden mit fünf kurzen und guten Thesen zu diesem Thema Kommunikation in den Geisteswissenschaften, um wirklich noch einmal so ein bisschen zusammenzuführen, auch eine Diskussionsbasis zu legen für weitere Tagungen, eventuell für weitere Auseinandersetzungen mit dem Thema.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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