Kommunen

Was tun gegen Abwanderung, Armut, Abschwung?

Eine Radfahrerin rollt am Montag (08.02.2010) auf dem Marbachweg in Frankfurt am Main an einem Schlagloch vorbei.
Armer Osten - reicher Westen? Heute finden sich viele Schlaglöcher im Westen der Republik © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Der Sozialwissenschaftler Reinhart Aehnelt im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Von der wirtschaftlichen Erholung profitieren nicht alle Städte und Kommunen in Deutschland gleichermaßen. Das soziale Gefälle wächst. Kommunen brauchten eine strukturelle Entlastung, sagt der Sozialwissenschaftler Reinhart Aehnelt.
Liane von Billerbeck: Armer Osten, reicher Westen? Das gilt vielleicht für die privaten Vermögen, nicht aber für die Städte, denn nach dem Ende der DDR, da ruckelte mancher Westler naserümpfend durch den Osten, heute sind die Schlaglöcher aber auch im Westen zu sehen und auch Industrieruinen, die sieht man jetzt dort. Und Städte wie Erfurt oder Leipzig, die gelten als Aufsteiger, mit mancher Ruhrgebietsstadt indes geht es bergab, Stuttgart und München, die liegen schon länger auf der Sonnenseite, Bremen indes liegt ganz oben, wenn auch in der Armutsstatistik. Auf- und Abschwung also, bloß unter umgekehrten Vorzeichen.
Fest steht: Das soziale Gefälle wird größer. Grund genug für den heutigen Deutschen Städtetag in Dresden, sich damit zu befassen. Und für uns am Telefon ist jetzt Reinhart Aehnelt, der Sozialwissenschaftler forscht am Berliner Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik. Er macht Fallstudien unter anderem für die Europäische Union und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, das auch auf dem heute beginnenden Städtetag in Dresden vertreten ist.
Herr Aehnelt, schönen guten Morgen!
Reinhard Aehnelt: Ja, schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Das soziale Gefälle wird immer größer, zwischen Süd und Nord, zwischen München und Bremen. Woher kommen sie, die Unterschiede?
Aehnelt: Na, die Unterschiede haben ja enorme historische Ursachen in Deutschland. Sie hatten ja nach dem Krieg die Wanderung der Industrie nach Süden aus den ehemaligen östlichen Landesteilen, dann haben Sie natürlich große Strukturumbrüche in Deutschland, die wir zu verkraften hatten, Sie denken da nur an die Ruhrindustrie und auch an die Werftenkrise, und da hat es natürlich ganze Landstriche sehr stark gebeutelt.
Traditionell sind die reicheren Städte im Süden
von Billerbeck: Sind denn eigentlich die großen Städte auch die reichsten, oder wie ist der städtische Reichtum verteilt?
Aehnelt: Na, der ist auch sehr unterschiedlich verteilt. Sie haben es ja schon gesagt, wir haben die traditionellen reicheren Städte und Regionen eben eher im Süden des Landes, aber man kann eben heute auch generell nicht sagen, Großstadt gleich reiche Stadt. Sie haben auch im Ruhrgebiet sehr viele Großstädte, die unter enormen Strukturanpassungsschwierigkeiten zu leiden haben. Sie haben es selber schon gesagt, Bremen, zwar eine eher kleinere Stadt, kleineres Land, ist noch nicht wieder richtig auf einen Wachstumspfad gebracht.
Also die Situation ist sehr unterschiedlich. Und was Sie ja auch erwähnt haben: Selbst einige Städte, Leipzig, Dresden, Jena, Erfurt, die haben sich auch in den neuen Ländern jetzt sehr gut entwickelt, andere haben da noch immer sehr große Probleme.
von Billerbeck: Nun gab es ja Aussagen von der Bundesagentur für Arbeit, dass inzwischen jeder vierte Hartz-IV-Empfänger, ich glaube, 2,39 Millionen Menschen sind das, länger als vier Jahre auf Hartz-IV angewiesen ist. Das ist ja kein Pappenstiel für die Städte, die dafür aufkommen müssen.
Aehnelt: Ja, das ist ohnehin immer das große strukturelle Problem. Im Moment haben wir zwar eine Situation, da geht es der Bundesrepublik ja wirtschaftlich relativ gut, das heißt, die große Arbeitslosigkeit als solche ist jetzt ja auch abgeschmolzen. Das macht sich natürlich auch bemerkbar bei den Hartz-IV-Empfängern, bei den Langzeitarbeitslosen.
Aber wir haben ja gesehen: Es gibt einen großen, einen breiten Sockel von Langzeitarbeitslosen, der nicht so leicht wieder zu integrieren ist in den Arbeitsmarkt. Und das fällt natürlich letztlich den Kommunen auf die Füße. Und wir haben die Situation, über die die Kommunen sich ja nun schon seit langer Zeit beklagen, dass seit Mitte der 90er-Jahre die Spanne oder die Schere zwischen Investitionen einerseits und Sozialausgaben andererseits enorm auseinandergeht.
Das heißt, die Investitionen bleiben liegen, weil einfach die Pflichtausgaben, die Sozialausgaben geleistet werden müssen. Und das belastet eben die kommunalen Haushalte strukturell, sodass sie kaum noch Handlungsspielräume haben.
Strukturelle Entlastung der Kommunen ist notwendig
von Billerbeck: Welche Rezepte gibt es denn dagegen?
Aehnelt: Na, richtige Rezepte gibt es keine. Das Grundrezept ist natürlich immer eine florierende, eine gute Wirtschaft, die eben auch Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Aber es müsste eben strukturell eine Entlastung der Kommunen her, die einfach bestimmte Aufgaben gleichmäßiger auf Länder und Bund verteilt. Aber das ist natürlich ein sehr schwieriges Thema.
von Billerbeck: Gerade Kommunen, die nicht so eine prosperierende Wirtschaft haben, die leiden ja unter den drei As, also Abwanderung, Alterung, Abschwung. Was kann man dagegen tun?
Aehnelt: Ja, das Wichtige ist natürlich, eine gute Ansiedlungspolitik zu betreiben. Das ist natürlich ein sehr komplexes Thema, das werden wir jetzt auch nicht in wenigen Minuten abhandeln können. Es gehört auch eine gute Kommunalpolitik im weitesten Sinne dazu. Es gibt einfach Kommunen, ich kenne das aus meiner eigenen Praxis, da hat man den Eindruck: Hier weht einfach ein frischer Wind, hier weiß sozusagen auch ein Bürgertum, wo es hinwill, die Zivilgesellschaft ist da wirklich gut aufgestellt.
Es gibt andere Kommunen, da wird alles zerredet, jemand hat eine gute Idee und zehn fallen darüber her, um sie totzureden, da kommt nichts vom Fleck. Also, wir haben auch Städte erlebt, wo es dann in der Administration einen Wechsel gab und dann ging es wirklich viel besser bergauf. Also, es sind auch oft Persönlichkeiten, die da eine wichtige Rolle spielen.
Erfolgsfaktor Zuwanderung?
von Billerbeck: Das Thema Zuwanderung wird ja auch immer gebracht und es wird gesagt, je mehr Zuwanderung, desto besser, Deutschland braucht es bei unserer demografischen Lage. Aber nun wissen wir gerade aus kleineren Städten, dass es da auch große Vorbehalte gibt.
Aehnelt: Na ja, das ist ja international, historisch und überall zu sehen, dass es Vorbehalte gegen Fremde gibt. Das liegt vielleicht auch ein Stück weit im Wesen des Menschen. Aber ich denke, wir sind natürlich als ein demografisch rückläufiges Land wirklich darauf angewiesen. Man kann natürlich die Flüchtlingsproblematik jetzt nicht unter Nutzenaspekten diskutieren, aber längerfristig wird uns das natürlich nützen.
Aber solche Erwägungen stellen ja Bürger nicht an, die sich da vielleicht gruseln und sagen: Was wird jetzt hier passieren in unserer kleinen Stadt? Wir kennen die alle nicht, die sind auf Unterstützung angewiesen, dürfen nicht arbeiten, natürlich werden die versuchen, sich irgendwie über Wasser zu halten, und dann müssen sie ja irgendwie vielleicht kriminell werden. Das sind die Bedenken, die die Bürger haben, und da nützt nur ein geduldiges und transparentes und offenes Verfahren, dass man sie rechtzeitig informiert, Beispiele nennt, ihnen auch sagt, wer kommt da eigentlich, was sind das für Menschen, was haben die für Schicksale hinter sich, sodass da auch eben mehr Verständnis wächst.
von Billerbeck: Arme Städte, reiche Städte – Einschätzungen des Sozialwissenschaftlers Reinhard Aehnelt am heutigen in Dresden tagenden Deutschen Städtetag. Ich danke Ihnen!
Aehnelt: Ja, ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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