Plädoyer für Kommunalpolitik

"Die Königsdisziplin der Politik"

Das Rathaus von Waldheim in Sachsen
Das Rathaus als Arbeitsplatz: Viele junge Bürgermeister sind laut einer Umfrage mit ihrem Job unzufrieden. Dabei ist Kommunalpolitiker eigentlich ihr Traumjob. © picture alliance / Shotshop / Birgit Seifert
Es gibt zu wenige Menschen in Deutschland, die für kommunale Ämter, insbesondere Ehrenämter, kandidieren. Diejenigen, die es tun, wollen davon nicht lassen – trotz klammer Kassen oder persönlicher Anfeindungen. Was treibt sie an?
Es ist wieder so weit: Am 26. Mai werden in Thüringen neue Kreistage, Stadträte und Gemeinderäte gewählt. Am 9. Juni folgen parallel zur Europawahl auch in vielen anderen Bundesländern Kommunalwahlen. Dabei wird immer schwieriger, Menschen zu finden, die sich als Bürgermeister oder Stadt- und Gemeinderäte aufstellen lassen wollen.
Rund 200.000 Kommunalpolitiker sind in Deutschland ehrenamtlich tätig und erhalten nur eine Aufwandsentschädigung für das Ausüben ihres Amtes, und das bei einem Pensum von zehn bis zu 50 Stunden pro Woche. Doch wer einmal Blut geleckt hat, möchte weitermachen. Was heißt es überhaupt, Kommunalpolitik zu machen? Und was ist das Schöne daran?

Schattenseite: Hass und Anfeindungen auch gegen Kommunalpolitiker

Hass, Anfeindungen oder Bedrohungen gegen sich und ihre Familien - viele Bürgermeisterinnen und Lokalpolitiker haben das schon erlebt. Dirk Neubauer, parteiloser Landrat des Landkreises Mittelsachsen, berichtet von Autokorsi am Wochenende nicht weit von seinem Haus entfernt. In Gesprächen mit der Polizei geht es auch darum, ob es noch sicher ist, wenn er als Landrat selbst am Steuer sitzt.
Ramona Schumann (SPD) ist seit zehn Jahren Bürgermeisterin in Pattensen in Niedersachsen. Tätliche Angriffe hat sie noch nicht erlebt, dafür aber Anfeindungen und verbale Gewalt. Kolleginnen und Kollegen aus ihrem Netzwerk haben auch schon von Drohnen-Überflügen über ihrem Haus oder abgeschnittenen Schweineköpfen vor der Haustür berichtet.

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Im Wahlkampf gelten inzwischen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen. Der queere Stadtrat Jonas Löschau (Grüne) aus Bautzen erzählt, dass Wahlkampfstände nur noch zu dritt betreut werden. Plakate klebe man nur noch zu fünft und zu Zeiten, wenn auf den Straßen viel los ist. Gleichzeitig schöpft er Hoffnung: Denn die bundesweiten Demos gegen Rechts haben einen Aufschwung der Zivilgesellschaft in Bautzen bewirkt: „Endlich ist die schläfrige Mitte aufgewacht“.

Kommunalpolitik ist abwechslungsreich

Was viele Kommunalpolitiker an ihrem Job begeistert, ist die Vielfalt der Aufgaben und Bereiche. So erlebt es Lena Weber, die seit fünf Jahren Bürgermeisterin von Hermeskeil ist, einem 8.000-Einwohner-Ort in der Nähe von Trier. Wenn sie morgens ins Rathaus geht, weiß sie nie, wie ihr Tag aussehen wird. Was sie weiß, ist, dass immer irgendwas ansteht.
So geht es auch Ramona Schumann in Pattensen. Morgens geht es vielleicht um die Wirtschaftsförderung ihres 15.000-Einwohner-Ortes und endet abends beim Städtepartnerschaftskomitee mit der französischen Partnerstadt. Dazwischen liegen Themen wie Prozess- und Projektmanagement oder Energiethemen. Das Bunte, Abwechslungsreiche gefällt ihr, sie lernt jeden Tag etwas Neues, sagt Schumann, die nach einer Wiederwahl bereits seit zehn Jahren im Amt ist.

Kommunalpolitik ist nah bei den Menschen

Anders als in der Bundes- oder Landespolitik ist die politische Arbeit in den Kommunen direkter und handfester. Kommunen müssten immer mehr Aufgaben schultern, sagt Dominik Brasch, Bürgermeister in Bad Soden-Salmünster in Hessen, der für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde. Gesetze werden auf Bundes- oder Landesebene verabschiedet und müssen dann in den Kommunen umgesetzt werden. Viele Kommunen wünschen sich darum eine bessere Kommunikation und weniger Bürokratie, „damit wir vor Ort schnell handeln können“, so Brasch. Sei es bei der Unterbringung von Geflüchteten oder beim Anspruch auf Ganztags-Kitaplätze.
In der Zwischenzeit finden Kommunalpolitikerinnen eigene kreative Lösungen, so wie Isabel Fezer, seit 2010 Bürgermeisterin von Stuttgart und seit fast 30 Jahren Kommunalpolitikerin. Zwar besteht der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, doch in Stuttgart fehlt es an qualifiziertem Kita-Personal.
Isabel Fezer geht das Problem an, indem sie die Nähe zu den Betroffenen sucht: „Wir gehen mit den Eltern ins Gespräch und finden heraus, was genau sie brauchen. Es gibt viele Eltern, die brauchen keine Acht-Stunden-Betreuung pro Tag für ihr zweijähriges Kind, sondern nur einen Halbtagsplatz beispielsweise und würden gerne später aufstocken.“ Ziel sei es, Verlässlichkeit sicherzustellen, statt einfach die Öffnungszeiten einzuschränken.
Wie wichtig es ist, den Menschen zuzuhören, weiß auch Dirk Neubauer. Der parteilose Landrat des Landkreises Mittelsachsen kam als Quereinsteiger in die Kommunalpolitik – zuerst 2013, als er für das Amt des Bürgermeisters im sächsischen Augustusburg kandidierte. Eigentlich wollte er sich den Wählern vorstellen, kam aber vor lauter Zuhören gar nicht dazu. „Es gab einen wahnsinnigen Kommunikationsstau“, erinnert er sich. Bürgerbeteiligung ist für ihn zentral. In seinem Landkreis hat er einen „Energietisch“ ins Leben gerufen, um Befürworter und Gegner zu einem „vernünftigen Diskurs“ zusammenzubringen. Denn, so Neubauer, „das Thema erneuerbare Energien ist hier ein Kriegsschauplatz.“

Kommunalpolitik heißt gestalten

In der Gemeinde Wiesenburg Mark in Brandenburg sollte nach dem Willen der Landesregierung eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete entstehen – gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger. Marco Beckendorf (Die Linke), Bürgermeister seit 2015, schaffte es, daraus ein Re-Vitalisierungsprojekt zu machen und damit die Unterstützung der Einwohner zu bekommen. Ein lange brachliegendes Betriebsgelände in der Ortsmitte wurde zum Co-Working Space für geflüchtete Journalisten. Eine Win-win-Situation, denn die Dorfgemeinschaft darf die neuen Räume mitnutzen.
Der Wunsch, mitzugestalten, motiviert auch Aram Badr. Der 30-jährige gebürtige Syrer tritt für die SPD im Magdeburger Stadtteil Neue Neustadt an. Die neue Neustadt gilt als sozialer Brennpunkt. Aram Badr verweist auf das Studiokino Moritzhof, ein kulturelles Zentrum des Stadtteils und auf die sauberen Parkbänke – die sind das Ergebnis eines gemeinsamen Antrags von SPD, CDU und Grünen im Stadtrat. „Das zeigt: Nur gemeinsam können wir verändern.“
Stolz auf Geleistetes schwingt bei Joachim Teschke mit, dem Kämmerer von Bargteheide in Schleswig Holstein. Durch gute Zusammenarbeit von Politik und Verwaltung ist es dem Ort in Schleswig-Holstein gelungen, sämtliche Schulden abzubauen. Teschke erinnert sich, dass zunächst noch Schulden gemacht wurden - für Investitionen, die sich nach vier bis sechs Jahren rentieren, wie der Bau von Kindertagesstätten oder die Installation von Photovoltaik-Anlagen. Auch Investoren von Bauprojekten würden finanziell in die Pflicht genommen. Auf diese Weise ist die Gemeinde seit 17 Jahren schuldenfrei.
Landrat Dirk Neubauer möchte den Menschen Mut machen. Bei einem Besuch im sächsischen Freiberg erinnert er daran, was man in 30 Jahren geschafft habe. „Diese Stadt ist wunderschön geworden.“ Er wünscht sich, dass die Menschen mehr vertrauen auf sich und das, was sie geschafft haben.

Bürgermeisterin: "Wir machen Politik direkt am Gartenzaun"

Jeder, der sich engagiert und einbringt, ob in der Nachbarschaft, im Verein oder im Elternbeirat in der Schule, ist in diesem Moment ein Kommunalpolitiker, findet die Bürgermeisterin aus Pattensen.
„Die Kommunalpolitik, und jetzt rede ich auch für unsere Ehrenamtlichen, ist die Königsdisziplin der Politik." Hier fängt Politik an, "direkt am Gartenzaun", sagt Ramona Schumann. Das unmittelbare Lebensumfeld mitgestalten zu können sei ein „unfassbar wichtiges Gut in diesem Land. Das sollten wir uns auf keinen Fall nehmen lassen.“

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