Kommunaler Arbeitgeberverband wirft ver.di Vertragsbruch vor

Moderation: Jörg Degenhardt |
Mannheims Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) hat die Dienstleitungsgewerkschaft ver.di aufgefordert, im Tarifstreit in Baden-Württemberg an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Widder ist der Verhandlungsführer des Kommunalen Arbeitgeberverbandes. Der SPD-Politiker warf ver.di indirekt Vertragsbruch vor. Er verwies auf den Tarifvertrag, den die Gewerkschaft erst vor wenigen Monaten unterschrieben habe. Darin habe sie auf Landesebene eine Öffnungsklausel akzeptiert, sagte Widder.
Degenhardt: Am Telefon haben wir jetzt den Oberbürgermeister von Mannheim, Gerhard Widder, Verhandlungsführer des kommunalen Arbeitgeberverbandes. Herr Widder, haben Sie schon mal überlegt, ob Sie die Müllabfuhr nicht auslagern, um von solchen Streiks künftig nicht mehr betroffen zu sein?

Widder: Das haben wir nicht überlegt, aber ich will Ihnen eine andere Antwort geben auf das, was Sie eben gesagt haben. Ver.di hat vor wenigen Monaten im Jahre 2005 einen Tarifvertrag unterschrieben, der ist am 1.10.2005 in Kraft getreten. In dem Tarifvertrag steht, dass im Tarifgebiet West sich die Tarifparteien auf landesbezirklicher Ebene, also in den Bundesländern, darauf einigen können, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden zu verlängern. Das, was ver.di unterschrieben hat, diese Öffnungsklausel wollen wir verhandeln, und jetzt erklärt ver.di, wer an 38,5 Stunden kratzt, bekommt Streik. Ich frage mich, wofür streikt eigentlich ver.di, wenn sie vorher unterschrieben haben, dass wir miteinander verhandeln können bis zu 40 Stunden.

Wir müssten uns allerdings einigen, aber dazu gehören die Tarifparteien an den Verhandlungstisch und nicht ein Streik, der die Bürgerinnen und Bürger in hohem Maße tagtäglich mit ganz erheblichen Problemen konfrontiert. Ich sage deshalb erneut, ver.di muss an den Verhandlungstisch, ver.di muss mit dem Thema mit uns verhandeln über das Thema, zu dem sie sich schriftlich im Vertrag bereit erklärt haben, und dieser Vertrag ist von ver.di unterschrieben. Also, man muss sich wirklich fragen, welche Verhältnismäßigkeit ver.di anlegt, wenn sie jetzt, wenn wir etwas nutzen wollen, was ver.di zugestanden hat, in den Streik treten. Das ist der Sachverhalt.

Degenhardt: Andererseits verweist ver.di auf den Widerspruch, einerseits fünf Millionen Arbeitslose, Sie kennen das Argument, andererseits verlängerte Arbeitszeiten bei Neueinstellungen. Wie passt das zusammen?

Widder: Herr Degenhardt, wir haben ver.di x-mal erklärt, und ver.di weiß das, ver.di lebt ja in unseren Städten und sieht die Situation. Wir müssen auf Grund der finanziellen Entwicklung - die Situation der Städte ist ja hinlänglich bekannt - Personalkosten reduzieren, da geht kein Weg daran vorbei, und das tun wir unabhängig von der Wochenarbeitszeit. Wir müssen es, weil die Mittel nicht mehr da sind.

Nun sagen wir aber, wenn wir Personalkosten reduzieren, dann hat es ja auch zur Folge, dass wir Dienstleistungen für die Bürgerschaft reduzieren müssen, und ehe wir das tun, müssen sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Grunde genommen faktisch unkündbar sind, denn wir haben noch nie betriebsbedingt entlassen, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich fragen lassen, ob sie denn nicht mit einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit mit dazu beitragen wollen, dass wir die Dienstleistungen für die Bürgerschaft unserer Städte nicht in dem Maße reduzieren müssten, wie es sonst erforderlich wäre.

Die Menschen in der so genannten privaten Wirtschaft - es gibt kommunale Wirtschaft bekanntermaßen und private -, die müssen sich mit dem Thema Arbeitszeit jeden Tag auseinandersetzen, und deren Arbeitsplätze sind längst nicht so sicher wie die im öffentlichen Dienst, und insofern ist es nicht unbillig zu fragen, ob man die Sicherheit, die man hat, nicht auch dadurch ein Stück dem Bürger gegenüber zum Ausdruck bringt, indem man bereit ist, auch etwas länger zu arbeiten.

Degenhardt: Wie wollen Sie denn die Gewerkschaftsseite wieder an den Verhandlungstisch bekommen? Wären vielleicht flexible Lösungen ein Ausweg aus dem Dilemma? Das hat der Baden-Württembergische Finanzminister Herr Stratthaus gestern hier bei uns im Programm vorgeschlagen, also dass man schaut, wie alt sind die Beschäftigten, was machen sie für Arbeit, und dass man dann erst entscheidet, wer länger arbeiten soll?

Widder: Herr Degenhardt, das Wichtigste ist jetzt zum Ersten, dass die Gewerkschaft das tut, was sie selbst unterschrieben hat, dass sie mit uns in konstruktive Verhandlungen eintritt, dass sie Bereitschaft zeigt, auch über 38,5 Stunden hinaus zu verhandeln. Wir sagen, das Ziel ist aus unserer Sicht 40, und man muss sich an den Tisch setzen, und am Tisch kann man über viele Dinge reden, aber zunächst einmal haben wir eine Vereinbarung im Tarifvertrag, und wir wollen, dass ver.di nicht mehr und nicht weniger tut, als dies einzulösen und mit uns in konstruktive Gespräche einzutreten über eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bis zu 40 Stunden. Das ist der ganz einfache Sachverhalt.

Degenhardt: Das klingt aber sehr kompromisslos, das heißt, Sie richten sich auf eine längere Streikzeit ein?

Widder: Was heißt kompromisslos? Wenn jemand nicht mehr und nicht weniger vom Partner verlangt, als dass er das tut, was er unterschrieben hat, was hat denn das mit kompromisslos zu tun? Ich kann doch nicht eine Vereinbarung treffen, anschließend erklären, wer diese auch noch in Anspruch nimmt, die Vereinbarung, die ich getroffen habe, der ist kompromisslos, mit dem rede ich nicht. Ja, wo leben wir denn eigentlich? Verhandelt wird am Verhandlungstisch. Wir sagen, wir sind bereit, das habe ich hier in Baden-Württemberg auch bei der letzten Verhandlungsrunde gesagt, wir stehen jederzeit zur Verfügung, und wir fordern ver.di auf, an den Verhandlungstisch zurückzukommen.