Kommt das Patriarchat zurück?
Noch vor kurzem galt es als schick, besonders flexibel, unabhängig und fit für die Globalisierung zu sein. Jetzt trompetet es in deutschen Feuilletons und Erweckungsbüchern von Peter Hahne bis Eva Hermann: Schluss mit der Emanzipation! Macht mehr Kinder statt Karriere! Eine bestechende Logik, die aber einen klitzekleinen Fehler hat: Nicht einmal ihre Protagonisten folgen ihr.
Es geht ein Gespenst um in Deutschland - ach was: in Europa und der Welt.
Es ist nicht der Kommunismus oder die Erlösung durch biodynamische Vollwertkost, nein, es ist das Patriarchat, die Männerherrschaft. Und die christlich-bürgerliche Familie seligen Angedenkens.
Es ist Mai 2006 und man kneift sich ins Ohrläppchen. Eben noch wurde die moderne Patchwork-Family gefeiert, die kreativen Großstadt-Singles, die kulturell aktive Schwulenszene und die coole Leitkultur der bourgeoisen Bohemiens, irgendwo zwischen Gerhard Schröder und Joschka Fischer, Yvonne Catterfeld und Harald Schmidt.
Die CDU verlor in den Städten, weil sie der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher trabte. Jede dritte Ehe wird geschieden, in Berlin, Hamburg und München besteht jeder zweite Haushalt aus einer Person. Hauptsache, man ist fit für die Globalisierung: Mobil und flexibel. Heute Delmenhorst, morgen New York.
Dann kam Peter Hahne. "Schluss mit lustig!" Seine Erweckungsfibel traf mitten ins Herz der Spaßgesellschaft: "Holt Gott zurück in die Politik", fordert der ZDF-Mann mit dem stechenden Mastino-Blick, einen "kompromisslos-radikalen, an der Bibel orientierten Lebensstil".
Da sagte manch einer noch: Na ja, ein verhinderter Pastor macht noch kein Patriarchat. Zu früh gefreut. Denn kurz darauf schlug die Feldtrompete des deutschen Feuilletons an: FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher nahm Geburtenrückgang, Rentenkrise, Wertezerfall und Alterungsprozess zusammen und konstatierte: Nur die Familie kann uns retten, die Wagenburg gegen das Weltchaos.
Und schon war die nächste Großdebatte geboren: Übers Kinderkriegen und die Rolle der Frau zwischen Beruf und Familie, über Karriere, Kitas und Elterngeld und das Aussterben der Deutschen. Leitfrage: Woran liegt's nur, dass die deutsche Akademikerin so geburtenschwach ist? Ursula von der Leyen hat’s doch auch hingekriegt.
Ein Amerikaner hatte derweil schon die Antwort parat: Es liegt am Patriarchat. Genauer: An seiner Abwesenheit. Kühl konstatiert der Bevölkerungswissenschaftler Philipp Longman: "Patriarchalisch geführte Familien haben einfach mehr Kinder". Das Patriarchat sei das überlegene, weil robustere Gesellschaftsmodell. Wir verstehen. Ein Blick in die arabisch-islamische Welt genügt. Da kommt Freude auf.
Und weil Amerikaner Sinn für Humor haben, fügt er an: Die Frau hat im Patriarchat leider nur noch die Wahl zwischen Hure, Nonne und Ehefrau. "Dann doch lieber Ehefrau", muss "Tagesschau"-Sprecherin und Talkmasterin Eva Herman gedacht haben und verfasste ihr flammendes Plädoyer gegen Emanzenkultur und weibliche Selbstverwirklichung. Zurück zum "Schöpfungsauftrag"! ruft sie ihren lebensweltlich überforderten Geschlechtsgenossinnen zu, die vielleicht gerade eine Präsentation ihrer Werbeagentur oder die Moderation der "Tagesthemen" vorbereiten.
Ab sofort sollen sie lieber die "Entweiblichung" stoppen, die "Gnade der schöpfungsgewollten Aufteilung" annehmen und die ihnen "von der Natur zugedachten Aufgaben" erfüllen.
Wir fassen zusammen: Der Geburtenrückgang in den hoch entwickelten Gesellschaften korrespondiert unmittelbar mit der Zunahme ihrer Entscheidungsfreiheiten. Emanzipation macht unfruchtbar. Deshalb muss ihr Einhalt geboten werden.
Eine bestechende Logik, die aber einen klitzekleinen Fehler hat: Nicht einmal ihre Protagonisten folgen ihr, weder der liberale Bürger Longman noch Eva Herman, die zuallerletzt ihre geliebte Fernsehpräsenz zugunsten des reinen häuslichen Familienglücks aufgeben würde. Longman selbst sagt, dass "wir in einer patriarchalischen Welt viele individuellen Freiheiten verlieren werden".
Eben. Und wer will das im Ernst? Und wofür eigentlich? So erinnert diese schicke Pseudoargumentation an champagnerselige Salonkommunisten, die allen anderen das Wasser proletarischer Gleichheit predigen.
Und noch etwas fällt auf: Dieselben Kreise, die vor kurzem noch nicht müde wurden, vor der dramatischen Überbevölkerung der Welt zu warnen, warnen jetzt vor dem Gegenteil - vor Bevölkerungsschwund und dem Aussterben der europäisch-westlicher Zivilisation. Und auch das Stichwort ist dasselbe: Angst.
Nach Bevölkerungsexplosion, Atomkrieg, Aids, Al-Qaida-Terror und dem Tod des Regenwalds heften sich die vagabundierenden Ängste nun auf das Ende von Volk und Vaterland. Überleben statt Freiheit? Zurück zur Stammeskultur? Rettet uns nur Häuptling springender Löwe?
Das Anpredigen gegen die komplizierte Wirklichkeit war immer schon ein ziemlich erfolgloses Unterfangen, egal, ob es von der Kirche kam oder von ideologischen Eiferern. Am Ende hat sich immer die Vielfalt gesellschaftlicher Diskussionen und Interessen durchgesetzt - jedenfalls in der Demokratie.
Reinhard Mohr, geboren 1955, schreibt für Spiegel Online. Zuvor war Mohr langjähriger Kulturredakteur des "SPIEGEL". Weiter journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Letzte Buchveröffentlichungen: "Das Deutschlandgefühl" und "Generation Z". Mohr lebt in Berlin-Mitte.
Es ist nicht der Kommunismus oder die Erlösung durch biodynamische Vollwertkost, nein, es ist das Patriarchat, die Männerherrschaft. Und die christlich-bürgerliche Familie seligen Angedenkens.
Es ist Mai 2006 und man kneift sich ins Ohrläppchen. Eben noch wurde die moderne Patchwork-Family gefeiert, die kreativen Großstadt-Singles, die kulturell aktive Schwulenszene und die coole Leitkultur der bourgeoisen Bohemiens, irgendwo zwischen Gerhard Schröder und Joschka Fischer, Yvonne Catterfeld und Harald Schmidt.
Die CDU verlor in den Städten, weil sie der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher trabte. Jede dritte Ehe wird geschieden, in Berlin, Hamburg und München besteht jeder zweite Haushalt aus einer Person. Hauptsache, man ist fit für die Globalisierung: Mobil und flexibel. Heute Delmenhorst, morgen New York.
Dann kam Peter Hahne. "Schluss mit lustig!" Seine Erweckungsfibel traf mitten ins Herz der Spaßgesellschaft: "Holt Gott zurück in die Politik", fordert der ZDF-Mann mit dem stechenden Mastino-Blick, einen "kompromisslos-radikalen, an der Bibel orientierten Lebensstil".
Da sagte manch einer noch: Na ja, ein verhinderter Pastor macht noch kein Patriarchat. Zu früh gefreut. Denn kurz darauf schlug die Feldtrompete des deutschen Feuilletons an: FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher nahm Geburtenrückgang, Rentenkrise, Wertezerfall und Alterungsprozess zusammen und konstatierte: Nur die Familie kann uns retten, die Wagenburg gegen das Weltchaos.
Und schon war die nächste Großdebatte geboren: Übers Kinderkriegen und die Rolle der Frau zwischen Beruf und Familie, über Karriere, Kitas und Elterngeld und das Aussterben der Deutschen. Leitfrage: Woran liegt's nur, dass die deutsche Akademikerin so geburtenschwach ist? Ursula von der Leyen hat’s doch auch hingekriegt.
Ein Amerikaner hatte derweil schon die Antwort parat: Es liegt am Patriarchat. Genauer: An seiner Abwesenheit. Kühl konstatiert der Bevölkerungswissenschaftler Philipp Longman: "Patriarchalisch geführte Familien haben einfach mehr Kinder". Das Patriarchat sei das überlegene, weil robustere Gesellschaftsmodell. Wir verstehen. Ein Blick in die arabisch-islamische Welt genügt. Da kommt Freude auf.
Und weil Amerikaner Sinn für Humor haben, fügt er an: Die Frau hat im Patriarchat leider nur noch die Wahl zwischen Hure, Nonne und Ehefrau. "Dann doch lieber Ehefrau", muss "Tagesschau"-Sprecherin und Talkmasterin Eva Herman gedacht haben und verfasste ihr flammendes Plädoyer gegen Emanzenkultur und weibliche Selbstverwirklichung. Zurück zum "Schöpfungsauftrag"! ruft sie ihren lebensweltlich überforderten Geschlechtsgenossinnen zu, die vielleicht gerade eine Präsentation ihrer Werbeagentur oder die Moderation der "Tagesthemen" vorbereiten.
Ab sofort sollen sie lieber die "Entweiblichung" stoppen, die "Gnade der schöpfungsgewollten Aufteilung" annehmen und die ihnen "von der Natur zugedachten Aufgaben" erfüllen.
Wir fassen zusammen: Der Geburtenrückgang in den hoch entwickelten Gesellschaften korrespondiert unmittelbar mit der Zunahme ihrer Entscheidungsfreiheiten. Emanzipation macht unfruchtbar. Deshalb muss ihr Einhalt geboten werden.
Eine bestechende Logik, die aber einen klitzekleinen Fehler hat: Nicht einmal ihre Protagonisten folgen ihr, weder der liberale Bürger Longman noch Eva Herman, die zuallerletzt ihre geliebte Fernsehpräsenz zugunsten des reinen häuslichen Familienglücks aufgeben würde. Longman selbst sagt, dass "wir in einer patriarchalischen Welt viele individuellen Freiheiten verlieren werden".
Eben. Und wer will das im Ernst? Und wofür eigentlich? So erinnert diese schicke Pseudoargumentation an champagnerselige Salonkommunisten, die allen anderen das Wasser proletarischer Gleichheit predigen.
Und noch etwas fällt auf: Dieselben Kreise, die vor kurzem noch nicht müde wurden, vor der dramatischen Überbevölkerung der Welt zu warnen, warnen jetzt vor dem Gegenteil - vor Bevölkerungsschwund und dem Aussterben der europäisch-westlicher Zivilisation. Und auch das Stichwort ist dasselbe: Angst.
Nach Bevölkerungsexplosion, Atomkrieg, Aids, Al-Qaida-Terror und dem Tod des Regenwalds heften sich die vagabundierenden Ängste nun auf das Ende von Volk und Vaterland. Überleben statt Freiheit? Zurück zur Stammeskultur? Rettet uns nur Häuptling springender Löwe?
Das Anpredigen gegen die komplizierte Wirklichkeit war immer schon ein ziemlich erfolgloses Unterfangen, egal, ob es von der Kirche kam oder von ideologischen Eiferern. Am Ende hat sich immer die Vielfalt gesellschaftlicher Diskussionen und Interessen durchgesetzt - jedenfalls in der Demokratie.
Reinhard Mohr, geboren 1955, schreibt für Spiegel Online. Zuvor war Mohr langjähriger Kulturredakteur des "SPIEGEL". Weiter journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Letzte Buchveröffentlichungen: "Das Deutschlandgefühl" und "Generation Z". Mohr lebt in Berlin-Mitte.