Kommt auf die Schaukel!
"Spielraum" meint nicht nur einen konkreten Ort, an dem Kinder herumtollen, sondern auch einen gedanklichen Freiraum, in dem man ausprobieren und experimentieren kann. Genau solche Freiräume sucht und schafft die Kunst, wie die Ausstellung "Spielräume" im Lehmbruck Museum Duisburg zeigt. Darin werden verschiedene Arbeiten zum Thema "Spielen" präsentiert.
Vier Buben stehen da, dünne Ärmchen und große Köpfe, in bunt gestreiften Hemden und kurzen Hosen. Vor ihnen versinkt ein etwas größerer Junge im Boden, neben der glubschäugigen Truppe lehnt ein Fahrrad an der Wand. Mit einer Installation hat der Künstler Martin Honert eine eigene Kinderzeichnung plastisch umgesetzt, die Grenze zwischen naivem Spiel und erwachsenem Ernst aufgelöst. Dieser surreal träumerische Aspekt macht die Arbeit für die Duisburger Kuratorin Cornelia Brüninghaus zum Schlüsselwerk. Denn "Spielräume" wollen auch erobert, besetzt und gehalten werden. Und darauf verweist Honerts Titel "Bande", der zu dem pastellfarbenen Idyll der handbemalten Figuren nicht so recht zu passen scheint.
Brüninghaus: "Es gibt ja Banden von Kindern. Heute ist das vielleicht negativ besetzt. Aber eine Bande von Jungs, die Räuber und Gendarm spielen, das ist schon auch eine tolle Sache. Und da hat der Künstler auch so eine Art Traumvorstellung realisiert. "
Kein Traum, sondern unschuldige Realität war für es für Sophie Calle, wenn sie sich als Sechsjährige im Fahrstuhl des Pariser Elternhauses ihrer Kleider entledigt und nackt durch die Wohnung tollte. Später dann arbeitete die Fotokünstlerin als Stripteasetänzerin. Ob sie damit nur eine kindliche Marotte "kultivierte" bleibt fraglich: Der Auftritt im Nachtclub gehört nämlich zu jenem Doppel- und Rollenspiel mit angenommenen Identitäten, das Sophie Calle zusammen mit dem Schriftsteller Paul Auster quer durch Venedig, New York und andere Metropolen führte. Da wird der Salon ebenso zum Spielraum wie die Straße, zur Bühne eines stets gefährdeten Seelenlebens.
Spielplätze der Kinder hat Peter Friedl ins Visier genommen: 450 Fotos aus aller Welt huschen per DVD über zwei Leinwände – und im Vergleich ist nur alltägliche Tristesse auszumachen:
Brüninghaus: "Spielplätze von städtischen Institutionen für Kinder gebaut, egal ob in Südafrika oder in Brasilien, in Berlin oder in Hanoi, die sehen immer eher so aus, als ob man da nicht diesen Freiraum im Kopf erfahren kann oder diesen Spielraum, den wir auch mit dieser Ausstellung versuchen wollen auszuloten."
Denn um geistige Spielräume scheint es nun zu gehen, nachdem all jene Versprechen auf materielle Freiheiten verpufft sind, die noch vor kurzem im Überschwang von new economy und globalem Wirtschaftswunder gemacht wurden. Damals gingen viele das Leben sportlich an – und endeten wie der Ringer Mikael Ljungberg auf dem fleckig verrinnenden Ölporträt von Christian Hoischen: Die demonstrativ zur Schau getragene Kraft schwindet im Zerfall des Bildmaterials, der abblätternden Farben.
Am Ende sind fast alle zu kurz gekommen, wie in der Bildserie von Tracey Moffatt. Sie hebt auf Fotos von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften jeweils die Viertplazierten farbig hervor, zeigt Enttäuschung und Schmerz derjenigen, die ganz knapp am Sieg vorbeischrammten. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass die größte Bewegungsfreiheit des eigenen Ichs, der attraktivste Spielraum außerhalb des Körpers liegt. Dass Aufbruchstimmungen, wie die Kuratorin sich erinnert, oft sogar mit materieller Not einhergehen:
Brüninghaus: "Ich habe eigentlich noch in Trümmern gespielt Ende der vierziger Jahre. Es waren tolle Spielplätze, es waren Abenteuerspielplätze – die man dann später in den siebziger Jahren wieder entdeckt hat und extra müllig wieder hergerichtet hat, damit Kinder ihre Abenteuer erleben können. "
Das kindliche Abenteuer wird von Künstlern zur Performance verfeinert, etwa bei Takako Saito. In einer Hängematte hat die Fluxus-Veteranin jede Menge Pappwürfel aufgestapelt, die purzeln nacheinander herab und müssen vom Besucher mit einem flachen Helm zurückgeköpft werden, ohne dabei auf bereits am Boden liegende Würfel zu treten. Ein klassisches Spiel, wie es der Sozialphilosoph Arnold Gehlen beschrieben hat: Als geordnetes System möglicher Reaktionen, die in einem Netz von Verhaltensweisen organisiert werden – und das durch Improvisation, durch freie Ausnützung der Zufälle erst reizvoll wird.
Aber vielleicht ist das schon Schnee von gestern – und viel größere Spielräume sind im rauschhaften Erlebnis verborgen, etwa in den Rhönrädern ähnlichen Gefährten von Mindaugas Tendziagolskis: Eingeklemmt in ein solches Rad – Motor und Fahrer zugleich – möchte der Litauer die Zeitgenossen am liebsten durch Parks und Fußgängerzonen, auch über die Straße schicken:
Brüninghaus: "Dieses Gefährliche ist ja genau das, was die Menschen beim Bungee-Jumping etwa suchen oder das Kreischen der Leute in der Achterbahn. Diese rauschhaften Zustände passieren ja auch auf Schaukeln: Bei dem "Bunny Lakes Garden" von Georgina Starr, wo Kindheit mit diesem Schaukelrhythmus verbunden wird. "
Die Video-Installation geht zurück auf Otto Premingers "Bunny Lake is missing", einen Spielfilm, in dem Mitte der Sechziger Aufsehen erregend die Entführung eines fünfjährigen Mädchens in all ihren grausamen Konsequenzen gezeigt wurde. Im Kino stand damals, wie zuvor auch auf der Theater- oder Opernbühne, einiges "auf dem Spiel", da vermengten sich springende Lust und tiefe Empfindsamkeit, lachende Wehmut und lebenssüchtige Todesbegeisterung. Und das wird in Duisburg nun mit Bildender Kunst nicht nur konzise und – dem Thema angemessen – in einer labyrinthisch verzweigten Enzyklopädie vorgeführt. Als kleine Kulturgeschichte des "Spielraums", wie ihn die Menschen der Moderne gestalten:
Brüninghaus: "Dass es erstaunlich ist, wie viele Künstler sich mit diesem Thema "Spiel" im weitesten Sinn und Kindheit beschäftigen, das auch metaphorisch einsetzen, ob es die Sportspiele sind oder ob es die Spielorte sind wie die Kinderzimmer oder die Spielplätze. Das alles wird derart hin und her gewendet, dass sie vom Unheimlichen bis zum Tödlichen, vom Lustigen bis zum Witzigen bis zum Satirischen reichen."
Service:
"Spielräume" im Wilhelm-Lehmbruck-Museum Duisburg, bis 4. September 2005.
Brüninghaus: "Es gibt ja Banden von Kindern. Heute ist das vielleicht negativ besetzt. Aber eine Bande von Jungs, die Räuber und Gendarm spielen, das ist schon auch eine tolle Sache. Und da hat der Künstler auch so eine Art Traumvorstellung realisiert. "
Kein Traum, sondern unschuldige Realität war für es für Sophie Calle, wenn sie sich als Sechsjährige im Fahrstuhl des Pariser Elternhauses ihrer Kleider entledigt und nackt durch die Wohnung tollte. Später dann arbeitete die Fotokünstlerin als Stripteasetänzerin. Ob sie damit nur eine kindliche Marotte "kultivierte" bleibt fraglich: Der Auftritt im Nachtclub gehört nämlich zu jenem Doppel- und Rollenspiel mit angenommenen Identitäten, das Sophie Calle zusammen mit dem Schriftsteller Paul Auster quer durch Venedig, New York und andere Metropolen führte. Da wird der Salon ebenso zum Spielraum wie die Straße, zur Bühne eines stets gefährdeten Seelenlebens.
Spielplätze der Kinder hat Peter Friedl ins Visier genommen: 450 Fotos aus aller Welt huschen per DVD über zwei Leinwände – und im Vergleich ist nur alltägliche Tristesse auszumachen:
Brüninghaus: "Spielplätze von städtischen Institutionen für Kinder gebaut, egal ob in Südafrika oder in Brasilien, in Berlin oder in Hanoi, die sehen immer eher so aus, als ob man da nicht diesen Freiraum im Kopf erfahren kann oder diesen Spielraum, den wir auch mit dieser Ausstellung versuchen wollen auszuloten."
Denn um geistige Spielräume scheint es nun zu gehen, nachdem all jene Versprechen auf materielle Freiheiten verpufft sind, die noch vor kurzem im Überschwang von new economy und globalem Wirtschaftswunder gemacht wurden. Damals gingen viele das Leben sportlich an – und endeten wie der Ringer Mikael Ljungberg auf dem fleckig verrinnenden Ölporträt von Christian Hoischen: Die demonstrativ zur Schau getragene Kraft schwindet im Zerfall des Bildmaterials, der abblätternden Farben.
Am Ende sind fast alle zu kurz gekommen, wie in der Bildserie von Tracey Moffatt. Sie hebt auf Fotos von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften jeweils die Viertplazierten farbig hervor, zeigt Enttäuschung und Schmerz derjenigen, die ganz knapp am Sieg vorbeischrammten. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass die größte Bewegungsfreiheit des eigenen Ichs, der attraktivste Spielraum außerhalb des Körpers liegt. Dass Aufbruchstimmungen, wie die Kuratorin sich erinnert, oft sogar mit materieller Not einhergehen:
Brüninghaus: "Ich habe eigentlich noch in Trümmern gespielt Ende der vierziger Jahre. Es waren tolle Spielplätze, es waren Abenteuerspielplätze – die man dann später in den siebziger Jahren wieder entdeckt hat und extra müllig wieder hergerichtet hat, damit Kinder ihre Abenteuer erleben können. "
Das kindliche Abenteuer wird von Künstlern zur Performance verfeinert, etwa bei Takako Saito. In einer Hängematte hat die Fluxus-Veteranin jede Menge Pappwürfel aufgestapelt, die purzeln nacheinander herab und müssen vom Besucher mit einem flachen Helm zurückgeköpft werden, ohne dabei auf bereits am Boden liegende Würfel zu treten. Ein klassisches Spiel, wie es der Sozialphilosoph Arnold Gehlen beschrieben hat: Als geordnetes System möglicher Reaktionen, die in einem Netz von Verhaltensweisen organisiert werden – und das durch Improvisation, durch freie Ausnützung der Zufälle erst reizvoll wird.
Aber vielleicht ist das schon Schnee von gestern – und viel größere Spielräume sind im rauschhaften Erlebnis verborgen, etwa in den Rhönrädern ähnlichen Gefährten von Mindaugas Tendziagolskis: Eingeklemmt in ein solches Rad – Motor und Fahrer zugleich – möchte der Litauer die Zeitgenossen am liebsten durch Parks und Fußgängerzonen, auch über die Straße schicken:
Brüninghaus: "Dieses Gefährliche ist ja genau das, was die Menschen beim Bungee-Jumping etwa suchen oder das Kreischen der Leute in der Achterbahn. Diese rauschhaften Zustände passieren ja auch auf Schaukeln: Bei dem "Bunny Lakes Garden" von Georgina Starr, wo Kindheit mit diesem Schaukelrhythmus verbunden wird. "
Die Video-Installation geht zurück auf Otto Premingers "Bunny Lake is missing", einen Spielfilm, in dem Mitte der Sechziger Aufsehen erregend die Entführung eines fünfjährigen Mädchens in all ihren grausamen Konsequenzen gezeigt wurde. Im Kino stand damals, wie zuvor auch auf der Theater- oder Opernbühne, einiges "auf dem Spiel", da vermengten sich springende Lust und tiefe Empfindsamkeit, lachende Wehmut und lebenssüchtige Todesbegeisterung. Und das wird in Duisburg nun mit Bildender Kunst nicht nur konzise und – dem Thema angemessen – in einer labyrinthisch verzweigten Enzyklopädie vorgeführt. Als kleine Kulturgeschichte des "Spielraums", wie ihn die Menschen der Moderne gestalten:
Brüninghaus: "Dass es erstaunlich ist, wie viele Künstler sich mit diesem Thema "Spiel" im weitesten Sinn und Kindheit beschäftigen, das auch metaphorisch einsetzen, ob es die Sportspiele sind oder ob es die Spielorte sind wie die Kinderzimmer oder die Spielplätze. Das alles wird derart hin und her gewendet, dass sie vom Unheimlichen bis zum Tödlichen, vom Lustigen bis zum Witzigen bis zum Satirischen reichen."
Service:
"Spielräume" im Wilhelm-Lehmbruck-Museum Duisburg, bis 4. September 2005.