Kommentar zur Lage in Gaza

Deutschland muss für humanitären Waffenstillstand eintreten

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Palästinenser sind zwischen den Trümmern nach israelischen Luftangriffen im südlichen Gazastreifen in der Stadt Rafah zu sehen.
Palästinenser stehen zwischen den Trümmern nach israelischen Luftangriffen in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen © IMAGO / Xinhua / Rizek Abdeljawad
Ein Kommentar von Khola Maryam Hübsch · 21.02.2024
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Deutschland schlägt inzwischen kritische Töne gegenüber der israelischen Kriegsführung an. Doch solange es sich nur um Worte handele und Taten eine andere Sprache sprechen, mache sich Deutschland unglaubwürdig, meint Publizistin Khola Maryam Hübsch.
„Eine humanitäre Katastrophe mit Ansage“ – mit diesen Worten warnte Außenministerin Annalena Baerbock vor einer Offensive der israelischen Armee auf Rafah. Ein wichtiger Appell, der auf die große Not der Palästinenser in Gaza aufmerksam machte. Doch kommt er nicht nur spät, es stellt sich auch die Frage, welcher Druck von Worten ausgehen kann, wenn Taten eine andere Sprache sprechen.

Deutschland hat die Rüstungsexporte nach Israel im Vergleich zu 2022 verzehnfacht und unterstützt den Krieg in Gaza militärisch und politisch. Unvergessen ist das Bekenntnis von Bundeskanzler Olaf Scholz, der Israel „volle Solidarität und jedwede Unterstützung“ versprochen hat: Ein Blankoscheck für eine ultranationalistische Regierung, aus deren Reihen extremistische Mitglieder eine Vertreibung der Palästinenser fordern.  

Israel kann sich der deutschen Unterstützung sicher sein

Auch wenn der Druck auf Israel angesichts der aggressiven Kriegsführung international wächst und Menschenrechtsorganisationen weltweit Alarm schlagen, kann sich Israel der deutschen Unterstützung sicher sein. Damit macht sich Deutschland zum Verbündeten eines Krieges, der in 130 Tagen 28.000 Menschen das Leben gekostet hat, davon die Hälfte Kinder.

Rechtfertigt das Selbstverteidigungsrecht Israels einen Militäreinsatz, der zwei Millionen Menschen zu Vertriebenen und über eine halbe Million zu Hungernden gemacht hat? Der dazu führt, dass unzähligen Kindern die Gliedmaßen ohne Anästhesie amputiert werden?

Entmenschlichungen und Absichtserklärungen

Ja, es ist eine humanitäre Katastrophe mit Ansage. Eine Ansage, die nicht erst vor der Offensive in Rafah verlautbart wurde. Am 9. Oktober sprach der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant in Bezug auf die Palästinenser von „menschlichen Tieren“, und erklärte, man werde dem entsprechend handeln. Und am 12. Oktober sagte Israels Präsident Isaac Herzog, nicht nur die Hamas, sondern die „ganze Nation“ sei mitverantwortlich und kündigte an, kämpfen zu wollen, „bis wir ihnen das Rückgrat brechen“.  Es sind genau diese Entmenschlichungen und Absichtserklärungen, die Südafrika in seinem Völkermord-Vorwurf vor dem Internationalen Gerichtshof als Zeugnisse anführt.


In Folge verpflichtete der Gerichtshof Israel dazu, die Zivilbevölkerung zu schützen. Angesichts der Militäroffensive in Rafah stellt sich die Frage, wie ernst Israel diese Forderung zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts nimmt. 

Wem muss die Solidarität Deutschlands gelten?

Die historische Verantwortung für den Holocaust hat Deutschland zum engen Bündnispartner Israels gemacht. Doch wem muss diese Solidarität gelten? Einer rechten Regierung, die radikale und gewalttätige Siedler unterstützt und eine Zwei-Staaten-Lösung kategorisch ablehnt? Die mit ihrer unverhältnismäßigen Kriegsführung auch das Leben der israelischen Geiseln gefährdet?

Oder der israelischen Bevölkerung, die in Frieden leben möchte?

„Der Kampf ums blanke Überleben in Gaza ist die Hölle“, sagte die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg. Wenn diese Erkenntnis nicht begleitet wird von einer Politik, die jenseits eindringlicher Worte auch nachhaltigen Druck auszuüben vermag, macht Deutschland sich unglaubwürdig. Wer das Leid in Gaza wortreich beklagt und gleichzeitig die Munition liefert, mit der es erzeugt wird, muss sich Doppelmoral vorwerfen lassen.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat zu Recht die Waffenlieferungen nach Israel in Frage gestellt. Die Hamas wird sich letztlich nicht mit Waffen vernichten lassen. Wenn Deutschland seiner historischen Verantwortung gerecht werden möchte, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, konsequent und nicht nur mit leeren Worten für einen humanitären Waffenstillstand einzutreten. Denn Frieden wächst auf dem Boden von Gerechtigkeit. Die katastrophalen Zustände in Gaza jedoch bilden den Nährboden für einen Hass, der Israel und den Frieden weltweit gefährdet.

Khola Maryam Hübsch ist Publizistin, Journalistin und Bloggerin. Die Tochter des deutschen Schriftstellers Hadayatullah Hübsch ist Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinschaft und engagiert sich seit Langem für den interreligiösen Dialog.

Khola Maryam Hübsch ist Publizistin, Journalistin und Bloggerin.
© Lea Weber
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