"Unternehmerlohn" ist das entscheidende Thema
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Viele Künstler und Kultureinrichtungen protestierten dagegen, dass auch sie von dem neuen Lockdown betroffen sind. Die Maßnahmen seien ungerecht, kommentiert der Musikjournalist Rainer Pöllmann. Aber wichtiger sei ein Konzept für die Zukunft.
#sangundklanglos, dieser Hashtag ist hintersinnig und bitter und doch auch widerspenstig. Denn die Stille war ja alles andere als sang- und klanglos. Es war ein starkes Signal – vor allem – aus der Musikwelt, ein Zeichen der Solidarität. Auch und gerade, weil die Stille spätestens seit John Cage ja nicht mehr die Abwesenheit von Sang und Klang bezeichnet, sondern selbst zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel avanciert ist. Wie man gestern Abend in großer Vielfalt und mit viel künstlerischer Fantasie sehen konnte. Mit nutzlosen Instrumenten, verklebten Mündern und Pudeln vor Toy Pianos. Mit Blicken, manchmal auch Reden, vor allem aber: mit Schweigen.
Und doch ist dieser stumme Protest auch ein ohnmächtiger Protest. Gegen die narzisstische Kränkung, dem "Freizeitbereich" zugeordnet worden zu sein. Gegen die (angeblich) mangelnde Wertschätzung durch "die Politik". Dabei haben die Politikerinnen und Politiker, bei der Kanzlerin angefangen, schnell ihren Fehler korrigiert, setzen seit Tagen schon "die Kunst" und "die Kultur" an die Spitze jener Bereiche des öffentlichen Lebens, die jetzt für vier Wochen geschlossen sind. Dem verwaltungstechnischen Begriff des "Freizeitbereichs" setzt die Kunst all das Pathos entgegen, zu dem sie fähig ist. Und auch in den hunderten von Bildern leerer Bühnen und stummer Menschen bei #sangundklanglos steckt jede Menge Pathos.
Ungerechte Maßnahmen
Respekt einzufordern, die Differenzierung zwischen einer Philharmonie und einem Fitness-Studio – das ist eine Aufgabe, vor die sich "die Kultur" immer wieder aufs Neue gestellt sieht. Und zu der sie alles Recht der Welt hat. Von Schließungen verschont zu werden, weil es sich ja um Kunst handele, damit begeben sich die Institutionen aber auf eher dünnes Eis.
Ja, die Maßnahmen sind ungerecht. Ja, die Maßnahmen treffen Bereiche, die selbst nicht als Superspreader bekannt geworden sind. Es handelt sich gewissermaßen um statistische Maßnahmen. 75 Prozent Reduzierung, das ist das Ziel, und der "Freizeit"-Bereich bietet sich dafür, nüchtern betrachtet, auch an. Die Bitterkeit kommt ja eher daher, dass der Menschen liebstes "Freizeit"-Vergnügen, das Shopping, so gar nicht eingeschränkt wird. Und trotzdem muss man der Kanzlerin Recht geben, wenn sie sagt, wer sich beklage, dass die falschen getroffen würden, müsse sagen, wem man stattdessen Beschränkungen auferlegen solle. Wollen wir wirklich eine Debatte darüber, dass Opernhäuser offen bleiben, aber Outlet-Center geschlossen werden?
Konkretes Konzept zum "Unternehmerlohn"
Und so ist der November nicht das eigentliche Problem. Staatlich getragene oder geförderte Institutionen, ob große oder kleine, werden auch noch diese vier Wochen durchstehen. Das Problem ist, dass für alle, die nicht in einer Institution arbeiten, für jede freiberufliche Sängerin, für jeden Bühnentechniker, für jede Geigerin, für jeden freien Musikschullehrer diese Situation schon seit acht Monaten anhält. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Und da hilft – das mag undankbar klingen angesichts recht großzügig dimensionierter Überbrückungshilfen – auch ein Ersatzeinkommen für den Monat November auf der Basis von 2019 nicht wirklich.
Viel wichtiger, als über die nächsten vier Wochen zu diskutieren, ist: In diesen vier Wochen – endlich – vom Bundeswirtschaftsminister ein wirklich konkretes Konzept zum so genannten "Unternehmerlohn" für Soloselbständige einzufordern. Das ist die wirkliche Systemfrage, hier entscheidet sich die Systemrelevanz der Kultur.