Kommentar zum Start von "heute+"

Da ist noch mehr drin

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Der Moderator der Nachrichtensendung "heute +", Daniel Bröckerhoff, checkt im ZDF-Sendezentrum sein Smartphone. © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Von Steffen Grimberg · 01.06.2015
Die neue ZDF-Nachrichtensendung "heute+", die vor allem junge Leute im Internet ansprechen will, ist eher verhalten im Fernsehen gestartet. Eine Revolution sei "heute+" sicher nicht, doch die Sendung und ihr Online-Konzept hätten Potential, kommentiert Steffen Grimberg.
Wenn irgendein altbekannter Markenname mit dem Wörtchen "Plus" aufgehübscht wird, weckt das Erwartungen. Erwartungen, dass es da wohl mehr gibt. Bald dämmert dann allerdings auch die Erkenntnis, dass dieses mehr eher was mit Marketing zu tun hat. "heute +", die neue Variante der ZDF-Spätnachrichten, macht da keine Ausnahme. Immerhin: "heute +" ist anders.
Und das liegt weniger am zum Sendestart vor zwei Wochen inszenierten Mit-Krawatte-Ohne-Krawatte Schabernack von heute journal-Anchorman Claus Kleber und heute plus Moderator Daniel Bröckerhoff. Ja, Bröckerhoff und Eva Maria Lemke, die sich beide im Wochenrhythmus bei der Moderation abwechseln, treten kahl am Hals auf.
Es ist aber gar nicht die hier und da noch recht bemüht wirkende Lockerheit der beiden, die das Ganze ausmachen. Sondern die Andersartigkeit der Beiträge: Gut, die oft schnellen Schnitte, Wackelkameras und Farbeffekte sind nicht so wahnsinnig neu und machen auch nicht immer Sinn.
Das geht viel rasanter - Allerdings hat wohl niemand unter der Marke heute vom ZDF ernsthaft Webvideo-Ästhetik oder Buzzfeed-Wahnsinn erwartet. Hier ist und bleibt der öffentlich-rechtliche Geist vor. Außerdem stammen zu viele Beiträge noch aus ganz normalen ZDF Newsmaschine und sehen auch so aus. Mit Experten, die vor Bücherwänden referieren.
Der Sender braucht Mut zum langen Atem
Trotzdem wird an der arg in die Jahre gekommenen Nachrichtenmasche gekratzt. Vielleicht noch zu zaghaft. Aber plötzlich ist Ironie - anders als im "richtigen" Fernsehen - nicht verboten. Auslandskorrespondenten sprechen in Liveschalten ganz normal und nicht wie aufgezogen. Erklärfilme verdienen diesen Namen wirklich.
Und dann sind da diese kleinen, ganz besonderen Momente. Zum Beispiel, wenn ZDF-Reporter Martin Niessen seine Syrien-Fotos vorführt. Er hat sie vor Jahren während seines Studiums im Land aufgenommen. Für heute plus präsentiert er sie als sehr persönliche Diashow. Fragt sich, was aus den Menschen auf den Bildern wurde. Und das ist dann wirklich einmal neu, anders, subjektiv - und berührend.
Im Netz, und das ist der zweite große Pluspunkt an "heute +", sind alle Beiträge schon früher am Start. Ab 23:00 Uhr ist dort zu haben, was im "großen" ZDF erst später zu sehen sein wird. Das gibt den Machern die Chance, Reaktionen gleich in die Sendung einzubeziehen und selbstkritisch über sich selbst zu reflektieren - ebenfalls nicht gerade üblich im deutschen Fernsehen.
Eine Revolution ist "heute +" sicher nicht. Doch die Sendung und ihr Online-Konzept haben Potential. Da ist noch mehr drin. Jetzt braucht es Zeit für die Redaktion und Moderatoren, sich zu entwickeln. Mal sehen, ob der Sender hier den Mut zum langen Atem hat.
Steffen Grimberg ist Referent für den Grimme-Preis und den Bereich Mediendiskurs am Grimme-Institut in Marl.
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