Kommentar zum Referendum in der Türkei

    Die Türkei und ihr Alleinherrscher

    Eine Anhängerin des türkischen Staatschefs Erdogan zeigt das sogenannte Rabia-Zeichen.
    Gewonnen: Begeisterte Anhängerin des türkischen Staatschefs Erdogan © AFP / Bulent Kilic
    Von Sabine Adler · 16.04.2017
    In der Türkei hat die Wahlkommission Erdogan zum Sieger erklärt, die Opposition will das aber nicht akzeptieren. Unsere Korrespondentin Sabine Adler resümiert die politische Entwicklung des Landes - und bewundert den Mut der Nein-Sager.
    Kann man einem Mann freiwillig grenzenlose Macht verleihen, dem auf seinem Weg an die Spitze schon jetzt fast jedes Mittel recht war? Der von "seinem" Volk spricht, das er nur als Masse, nicht aber als individuelle Bürger sieht?
    Gute 51 Prozent der Wähler konnten dies. Einige wenige, weil sie Erdogan viel zu verdanken haben: die Nähe zur Macht, Einfluss, Staatsaufträge, sie sind wie er steinreich geworden in den Jahren seiner Herrschaft, die als charismatischer Bürgermeister Anfang der 1990er-Jahre begann.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kommt in einem Wahllokal in Istanbul aus einer Wahlkabine.
    Auch Präsident Recep Tayyip Erdogan gab beim Verfassungsreferendum seine Stimme ab© dpa / AP / Lefteris Pitarakis
    Andere, Millionen Menschen taten dem türkischen Präsidenten den Gefallen, seinem Herzensanliegen zuzustimmen, weil er ihnen einen bescheidenen, früher aber undenkbaren Wohlstand bescherte. Er ließ Sozialwohnungen bauen, sorgte für eine bezahlbare Krankenversicherung. Deswegen unterstützen sie Erdogan vorbehaltlos, hinterfragen nicht, was er im Schilde führt. Er erklärt die Welt so, dass sie ihn verstehen.

    Edogan denkt nur in den Kategorien Freund oder Feind

    Die anderen, die mehr nachdenken, würdigen, dass Erdogan es war, der Geheimverhandlungen mit der Terror-Organisation PKK führte, um endlich Frieden zu schaffen nach einem jahrzehntelangen Kampf mit vielen toten Armee- und Polizeiangehörigen sowie Zivilisten. Die Kurden waren dankbar für diesen mutigen, für alle Präsidenten und Premierminister bis dahin undenkbaren Schritt.
    Vor allem für die, die nicht von einer sozialistischen säkularen Gesellschaft träumten, wurde Erdogan und seine AKP wählbar. Sind sie doch selbst so konservativ, religiös wie er. Doch Erdogan selbst stoppte den Friedensprozess, möglich, dass ihn das kurdische Wählerstimmen kostete.
    Jubelnde Türken stehen mit Bengalos vor dem Hauptquartier der regierenden AKP in Ankara und feiern die Zustimmung für das Verfassungsreferendum
    Feiernde AKP-Anhänger in Ankara© dpa
    Vermutlich hat aber niemand in dem Lager der Ja-Sager die Verfassungsvorschläge mal von einer anderen Seite aus betrachtet. Sich für einen Moment vorzustellen, dass die Verfassung nicht auf ihr Idol Erdogan zugeschneidert wird, sondern auf jemanden, der ihnen bei weitem nicht so nahe steht. Den sie vielleicht sogar hassen. Dann wäre es ihnen wohl eher aufgefallen, dass einer, der schon jetzt nicht verantwortungsbewusst mit seiner Macht umgeht, doch wenigstens gebremst werden müsste, um nicht noch mehr Schaden anzurichten.
    Würden sie dann nicht überlegen, wie sie ihn stoppen könnten?
    Wenn er immerzu die Nation spaltet, jeden zum Feind, gar zum Terroristen erklärt, der nicht seiner Meinung ist. Der ausländische Partner, ob in der NATO oder EU, beschimpft und beleidigt, und damit das Ende jeder Zusammenarbeit riskiert.

    Die Nein-Sager fürchten nun Strafe

    Diejenigen, die Nein-Sager, hatten es da in gewisser Weise leichter. Sie brauchen diesen Perspektivwechsel nicht, denn sie wissen schon, dass mit der veränderten Verfassung nur fortgesetzt wird, was bereits längst im Gange ist: Das sich Erdogan über Gesetze hinwegsetzt, zum Beispiel Menschen ohne Gerichtsprozess ins Gefängnis wirft, Firmen enteignet, Universitäten, Institutionen auf bloßen Verdacht hin schließt und damit Zehntausende ohne Lohn und Brot lässt, Menschen als Terroristen bezeichnet, ohne das Gerichte dies nachgewiesen haben, der Wahlkampf im Ausland betreibt und damit nicht nur die Gastgeber aufs Unflätigste beleidigt, sondern auch gegen ein eigenes türkisches Gesetz verstößt, das solche Kundgebungen außerhalb der Türkei verbietet. Der auf Steuerzahlerkosten Werbung für sich macht.
    Eine Teilnehmerin einer Wahlparty der Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Republikanische Volkspartei) weint am 16.04.2017 im Theater 28 in Berlin, während Hochrechnungen auf eine Leinwand projiziert werden.
    Erdogans Gegner sind geschockt: Eine Anhängerin der türkischen Oppositionspartei CHP kann ihre Trauer über den Ausgang des Referendums nicht verbergen© picture alliance / dpa / Sebastian Willnow
    Für diese Bürger ist das Referendum mehr vom Falschen. Ihr Mut, heute mit Nein zu stimmen, ist bewundernswert. Denn sie sind zu Wahllokalen gegangen, die von einem massiven Polizeiaufgebot umlagert waren, Sicherheitskräften, die nach dem versuchten Putsch im Juli vorigen Jahres 130.000 Menschen zu Hause oder auf der Arbeit abholten. Viele hatten Angst, sich freiwillig noch einmal in deren Nähe zu begeben. Kein Referendum sollte im Ausnahmezustand stattfinden.
    Die Gegner sorgen sich nun, als solche erkannt und bestraft zu werden. Denn Erdogans Weg ist längst nicht zu Ende. Und doch riskierten sie es, ihr Land vor dem folgenreichen Schritt in die falschen Richtung zu bewahren, denn sie wussten: Auf diesem einmal eingeschlagenen Pfad umzukehren, wird nach der heutigen Abstimmung noch viel schwieriger.

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan darf sich als Sieger fühlen. Nach dem vorläufigen von der Wahlkommission verkündeten Ergebnis gab es mit 51,3 Prozent der Stimmen eine knappe Mehrheit beim Referendum. Die türkische Opposition will die Niederlage aber nicht akzeptieren – sie kritisierte Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und kündigte Einspruch an. Wie vorher schon vermutet, überwogen in Städten wie Istanbul und Ankara die Nein-Stimmen. In Deutschland hingegen votierten rund zwei Drittel der wahlberechtigten Türken für die von Erdogan gewünschten Änderungen im politischen System. Der Präsident kann nun seine ohnehin große Machtfülle ausweiten. Vor Anhängern in Istanbul sagte er bereits, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Agenda setzen zu wollen. (ahe)

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