Kommentar zu Staatsgeheimnissen

Der Präsident, der Fürst sein will

05:00 Minuten
Präsident Trump verlässt den Raum einer Pressekonferenz, nur noch der Hinterkopf ist zu sehen.
Trump halte persönliche Geheimnisse für Staatsgeheimnisse - und handle so wie ein Alleinherrscher, kommentiert Eva Marlene Hausteiner. © Getty / Drew Angerer
Von Eva Marlene Hausteiner  · 06.10.2019
Audio herunterladen
Ein Whistleblower hat Donald Trumps Telefonate mit seinem ukrainischen Amtskollegen öffentlich gemacht. Und damit Staatsgeheimnisse verraten, sagen Trumps Verteidiger. Aber wie legitim sind solche Geheimnisse in Demokratien?
Spätestens seit Edward Snowden sind Whistleblower unsere neuen Heldinnen und Helden: Sie demaskieren Machtmissbrauch und Korruption, rütteln eine träge Öffentlichkeit wach und riskieren dafür viel. Neuere Überwachungstechniken haben die Nachfrage nach solchen Heldentaten erhöht, und nicht umsonst haben Parlamente in Europa und den USA Gesetze verabschiedet, die gefahrfreie Enthüllungen ermöglichen sollen.

Trump handelt wie ein absolutistischer Herrscher

Für Donald Trump freilich ist der Whistleblower, der die Absprachen mit dem ukrainischen Präsidenten öffentlich gemacht hat, kein Vorbild. Er oder sie ist ein Verräter – und zwar, weil er oder sie ausplaudert, was geheim bleiben müsse, Gesetze hin oder her. Der Präsident argumentiert wie ein alleinherrschender Fürst, der selbst bestimmt, was dem Auge der Öffentlichkeit entzogen wird.
Auf Tacitus, vor allem aber auf Niccolò Machiavelli (1459-1527) geht die Idee zurück, es gebe schutzwürdige Staatsgeheimnisse - arcana imperii –, also: eine Sphäre des Regierungshandelns, die geheim bleibt und deren Umfang der Machthaber selbst bestimmt. Nach dieser Logik handelt Trump, wenn im Weißen Haus kurzerhand entschieden wird, welche Telefonaufzeichnungen in den Top-Secret-Tresor kommen – nicht etwa weil sie dem Land, sondern weil sie der Person des Präsidenten schaden könnten.

Demokratische Staatsgeheimnisse sind öffentlich

So stellen wir uns den demokratischen Rechtsstaat natürlich nicht vor: In ihm dürfen Staatsgeheimnisse, so das Ideal, nur mit Erlaubnis der Öffentlichkeit existieren. Völlige Transparenz lautet der Imperativ: Staatsgeheimnisse sind öffentliche Geheimnisse, denen Überprüfung und Rechenschaft abverlangt werden.
Eva Marlene Hausteiner 
Eva Marlene Hausteiner arbeitet am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn.© David Elmes
Daraus aber ergibt sich ein ambivalenter Effekt: Die breite demokratische Öffentlichkeit weiß, dass es von ihr autorisierte Geheimnisse der Staatsgewalt gibt, sie weiß aber im Normalfall nicht, worin diese bestehen und entscheidet auch nicht, wie umfassend diese Staatsgeheimnisse sind.

Nährboden für Verschwörungstheorien

Diese Dynamik hat Jacques Derrida als "Geheimniseffekt" bezeichnet – in einer Gesellschaft, die die Normen von Öffentlichkeit und Transparenz hochhält, wissen alle von der Existenz grundlegender Geheimnisse und streben permanent nach Enthüllung, und nur wenige wissen, worum sich diese Geheimnisse überhaupt ranken.
Das ist der Nährboden, auf dem Verschwörungstheorien wuchern. Der Verdacht, dass die Eliten Geheimnisse aus Eigennutz pflegen und sich gegenseitig schützen, erodiert das Vertrauen in Eliten, Institutionen, und natürlich in die Geheimtätigkeit der Politik. Jede Whistleblower-Heldentat scheint nur zu bestätigen, dass man den geheimniskrämerischen Machthabern die Macht nie hätte anvertrauen sollen.

Bei Machtungleichheit regiert Misstrauen

Ist das also die Alternative: Unheilvolle Geheimpolitik oder demokratische Transparenz? So essentiell die Arbeit vieler Whistleblower ist: Eine solche Sichtweise unterschätzt die Potentiale demokratischer Politik, nährt die Illusion unbegrenzter Transparenz – und korrodiert damit angekratztes Vertrauen weiter. Worauf aber Derrida in seiner Rede vom Geheimniseffekt hinaus wollte, ist, dass unter Bedingungen von Machtungleichheit letztlich das Misstrauen regiert.
Die völlige Abschaffung des Staatsgeheimnisses und totale Transparenz sind, solange es Staatsapparate gibt, unrealistisch – aber die Herstellung von mehr Machtgleichheit ist es nicht. Worauf es also ankommt, ist erstens die demokratische Einbindung und Rechenschaft jener, die unser aller Staatsgeheimnisse hüten – und zwar nicht erst, wenn es zum Skandal kommt.

Wann ist Geheimhaltung legitim?

Das kann in besserer Kontrolle der Geheimdienste durch den Bundestag bestehen oder notfalls eben in einem Impeachment-Verfahren gegen den Präsidenten, der Fürst sein will. Aber zweitens bedürfen moderne Demokratien auch und vor allem einer Debatte darüber, was eigentlich sinnvolle Geheimbereiche sind - und für welche Belange wir Geheimhaltung demokratisch legitimieren wollen.

Eva Marlene Hausteiner arbeitet am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Internationale Politische Theorie, Föderalismus, Demokratietheorie, Imperien und Imperialismus und Politische Ikonographie.

Mehr zum Thema