Kommentar
In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hat fast jeder dritte Jungwähler für Slawomir Mentzen und seine Konfederacja gestimmt: eine rechtsextreme, populistische und europaskeptische Partei. © picture alliance / NurPhoto / Jaap Arriens
Rechtstrend in Polen: Was ist bloß mit den jungen Wählern los?!
04:39 Minuten

In Polen wird der Rechtsnationalist und EU-Skeptiker Karol Nawrocki neuer Staatspräsident. Das wird gerne auch als Sieg der Alten über die Jungen gelesen. Doch das stimmt so nicht. Etliche Jungwähler haben für rechtsextreme Positionen gestimmt.
Sie sind jung, bezeichnen sich als libertär und wollen eine radikal freie Marktwirtschaft. Sie wollen einfache und niedrige Steuern, billigen Wohnraum, totale Meinungsfreiheit und Kürzungen bei den Sozialausgaben, besonders für die in Polen lebenden Ukrainer. Sie sind Euroskeptiker, oft Nationalisten, und sie verbreiten Angst vor Menschen aus muslimischen Ländern. Stattdessen unterstützen sie die konservativen katholischen Werte und das traditionelle Familienmodell.
Die Rede ist von Jungwählern, die am vergangenen Sonntag in der Stichwahl Nawrocki ihre Stimme gegeben haben. Insgesamt machte das mehr als jeder Zweite der 18- bis 29-Jährigen. Die meisten von ihnen hätten lieber einen noch rechteren Präsidenten gehabt: In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 18. Mai hatte fast jeder dritte Jungwähler für die Konfederacja gestimmt, eine rechtsextreme, populistische und europaskeptische Partei, die mit fast 15 Prozent der Wählerstimmen auf dem dritten Platz landete.
Der Parteiführer der Konfederacja, der 38-jährige Ökonom Slawomir Mentzen, ist für viele der Jungen ein Guru. Er spricht ihre Sprache, benutzt ihre Argumente, kommuniziert über seinen eigenen Youtube-Kanal, kommt mit einem Roller zu Wahlveranstaltungen und lädt die Besucher danach auf ein Bier ein. Er ist einfach ein Typ, kein aufgeblasener Politiker. Und er will, was sie wollen: dichte Grenzen, eine durchsetzungsfähige Außenpolitik Polens, den Stopp linksliberaler ideologischer Tendenzen, die von Brüssel diktiert werden. Er will die Strafen abschaffen, die erhoben werden, wenn jemand totalitäre Systeme propagiert oder Hassreden schwingt.
Außerdem strebt er ein totales Abtreibungsverbot an und erkennt nur zwei Geschlechter an. Er verehrt Elon Musk und Donald Trump und will eine ähnliche Revolution des "gesunden Menschenverstandes" durchführen wie sie es in den Vereinigten Staaten tun. Schwer zu glauben, dass ausgerechnet diese Forderungen von Mentzen bei jungen Menschen Anklang finden. Aber sie lesen das Programm der Konfederacja selektiv, kennen manche Forderungen nicht, und sehen ideologische Fragen als zweitrangig an.
Bevor Mentzen auf der politischen Bühne erschien, haben junge Polen kaum oder gar nicht gewählt. Als sich Metzen vor einigen Jahren entschied, in die Politik zu gehen, und angekündigt hat, die Politik in Polen komplett umzukrempeln, wurden sie wach. Da wollte jemand die von der Bürgerplattform (PO) von Donald Tusk oder die von Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit Jahrzehnten die Politik gestalten, vertreiben. Das sprach sie an.
Bereits in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen gab es eine Beteiligung unter den Wählern zwischen 19 und 29 Jahren von fast 73 Prozent. Das war ein Rekord. Sie wählten ihn, weil er wie sie das verknöcherte politische System in Polen aufbrechen will.
Viele junge Wähler haben es satt, politisch, gesellschaftlich und kulturell korrekt zu sein. Sie bekämpfen das System als Ganzes, Individualismus ist für sie ein wichtiger Wert. Niemand soll ihnen sagen, wie sie leben sollen – und schon gar nicht die Europäische Union. Sie finden, dass Demokratie ihre Revolution verhindert, deshalb finden sie ihre radikale Haltung berechtigt. Und Sławomir Mentzen spiegelt ihre Unzufriedenheit und ihren Frust.
Die Entwicklung der Konfederacja zeigt, dass auch in der Politik der stete Tropfen den Stein höhlt. 2023 kam die Partei mit sieben Prozent in den Sejm. Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vor knapp drei Wochen bekam ihr Kandidat 14,8 Prozent. Das verheißt nichts Gutes für die Demokratie. Es ist aber ein Hinweis für die Regierenden: Wenn sie es nicht schaffen, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie ihr Wohl im Auge haben und nicht Parteiinteressen, wenn sie weiter von oben herab mit ihnen reden, dann werden Populisten wie Mentzen eine Ordnung schaffen, in der die meisten von uns nicht leben wollen.