Automatisierung

Menschlicher Kontakt in der Öffentlichkeit - ein Auslaufmodell

Servierrotober bringt zwei gefüllte Teller in einem Restaurant
Die ersten Servierroboter kurven bereits durch Restaurants in Deutschland, sie bringen Essen an die Tische und fahren schmutziges Geschirr weg. © IMAGO / snowfieldphotography / D. Kerlekin
Von Adrian Lobe · 18.08.2023
Servierroboter in Restaurants, Pflegeroboter für Senioren, kassenlose Supermärkte – Alltagsbegegnungen drohen in der digitalisierten Welt verloren zu gehen. Bald könnten sie zum Luxus für Reiche werden, befürchtet Politikwissenschaftler Adrian Lobe.
Vor wenigen Monaten hat die Fast-Food-Kette McDonald’s in Texas ihre erste automatisierte Filiale eröffnet: Kunden können dort ihre Bestellung an einem Bildschirm oder auf ihrem mobilen Endgerät aufgeben, kurze Zeit später lassen sich Essen und Getränke in einer Durchreiche abholen.
In der Premiumvariante serviert der Roboterkellner den Big Mac sogar an den Tisch. Bezahlt wird kontaktlos per Kreditkarte oder Smartphone-App, menschliches Personal gibt es in der Filiale nicht mehr.
Auch in Deutschland kurven die ersten Servierroboter durch Restaurants, Cafés und Möbelhäuser, stellen den Gästen kühle Getränke und warme Speisen auf den Tisch und räumen das Geschirr ab. In der Gastronomie fehlt es allerorts an Personal, also muss der Roboter in die Bresche springen.
Roboter brauchen keine Pausen, fordern keine Lohnerhöhung und streiken nicht. Das Modell BellaBot gibt sogar ein emotionales Feedback, wenn man es streichelt. Auf dem Display erscheint dann eine katzenartige Mimik mit Augen, Mund und Schnurrbarthaaren.

Digitalisierte Dienstleistungen sind längst Alltag

Die Automatisierung des Dienstleistungsgewerbes ist schon seit Jahrzehnten im Gange. Das Zugticket zieht man am Fahrkartenautomaten oder löst es digital per Smartphone-App. Am Flughafen checkt man am Gepäckschalter selbst ein. Die moderne Dienstleistungsgesellschaft hat den Diener durch den Selbstbediener ersetzt.
Dass es heute keine Liftboys mehr gibt, die den Fahrstuhl ordern, mögen allenfalls Nostalgiker beklagen. Wer aber schon mal mit wenig Sprit im Auto hilflos an einem Tankautomaten stand, wird sich nach Zeiten zurücksehnen, in denen der Tankwart das Benzin einfüllte und man in der Telefonhotline noch einen Menschen an die Strippe bekam.
Tempi passati. In einer kontaktlosen, auf Effizienz getrimmten Dienstleistungsgesellschaft wird der Mensch immer mehr durch Maschinen ersetzt. Banken und Versicherungen setzen auf Chatbots, um automatisiert Kundenanfragen zu beantworten. Seniorenheime greifen auf Pflegeroboter zurück. Und Techkonzerne schaffen den Fahrer im Auto ab.
In den kassenlosen Supermärkten, die jetzt auch in Deutschland eröffnet werden, muss der Kunde schon gar nicht mehr mit Menschen interagieren. Man loggt sich einfach am Eingang per App ein. Während man im Geschäft von Hunderten Kameras verfolgt wird, registrieren Sensoren, welche Waren aus dem Regal genommen werden, sodass man die Filiale kommentarlos verlassen kann.

Menschliches Pflegepersonal nur noch für Privatpatienten?

Schon klar: Lange Schlangen an der Kasse nerven und mancher gestresste Kunde hätte nach Feierabend am liebsten einen menschenleeren Supermarkt für sich. Doch die Begegnung mit dem Kassierer bietet selbst mundfaulen Zeitgenossen Gelegenheit für einen kurzen Plausch und ist gerade für ältere, einsame Menschen oft die einzige Kontaktmöglichkeit.
In der kühlen Mensch-Maschine-Interaktion, die nur noch entpersonalisierte Bezahlvorgänge kennt, geht diese Empathie und damit auch das Zwischenmenschliche verloren. Wenn das Taxi künftig autonom fährt, fällt auch das Gespräch mit dem Fahrer weg. Der Mensch geht sich zunehmend aus dem Weg, weil er sich selbst wegrationalisiert und wegprogrammiert.
Die US-Journalistin Nellie Bowles hat einmal geschrieben, dass menschlicher Kontakt in einer automatisierten Welt zum Luxusgut werde. Wo der Privatpatient von einem Menschen umsorgt wird, muss der Kassenpatient mit einem Pflegeroboter vorliebnehmen. Roboter für die Armen, Menschen für die Reichen. Willkommen in der neuen Klassengesellschaft. Ob der Mensch am Ende Koch oder Kellner ist, muss sich aber erst noch weisen.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, u. a. „Die Zeit“, „NZZ“, „Süddeutsche Zeitung“. 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks „Surveillance Studies“ ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 2022 erschien bei C.H. Beck sein neues Buch „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren“.

Adrian Lobe
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