Kommentar

Mit Begriffen irritieren

Buchstaben einer alten Schreibmaschine.
Buchstaben einer alten Schreibmaschine. © imago/McPHOTO
Harald Stübing · 27.09.2015
Sprache ermöglicht die verwegendsten intellektuellen Schöpfungen ebenso wie hemmungsloses Gequassel und das dümmste Geschwätz. Wie sie sich zwischen diesen beiden Polen bewegt, gerade auch in der Zeit moderner digitaler Kommunikation, damit beschäftigt sich unser philosophischer Wochenkommentar.
Seitdem die Philosophie im antiken Griechenland erfunden wurde, versuchte sie die Unterschiede zu denken, die den Mythos vom Logos, die Meinung vom Wissen, das Wahrsagen vom bloßen Gerede trennen. Da diese Differenzen sich nie eindeutig markieren und festschreiben lassen, müssen sie immer wieder neu und anders artikuliert werden. Hatte Platon die käuflichen Reden der Sophisten bekämpft, so kritisierte der Aufklärer Kant das "Vernünfteln", wenn man vom richtigen Gebrauch der Vernunft abwich.
Zu einem eigenständigen Problem der Philosophie wurde Sprache aber erst im letzten Jahrhundert. Wittgenstein begann, die Verwendungsweisen der Umgangssprache zu untersuchen, während Heideggers Seinsdenken in die Nähe der Dichtung führte. Jedes Philosophieren entwickelt einen besonderen Stil, in dem sich die Mannigfaltigkeit der Sprache, ihre Wandlungsfähigkeit zeigt.
Verwunderlich ist es nicht, dass mit der Allgegenwart von Internet und Smartphone sich die Rede- und Schreibweisen radikal verändern. Verfügbarkeit und schnelles Reagieren werden zum Diktat. Die sofortige Erregung über alles und jeden erlaubt nur noch distanzlose Zustimmung. So wird Konformismus zum beherrschenden Signum der Zeit. War Schrift einst auch ein Instrument der Disziplinierung, um das vage Gedachte geduldig ins klar Formulierte zu übersetzen, wird heute hemmungslos in die Tasten geklimpert. Selbst in offiziellen Schreiben kann man mittlerweile lesen, wie Grammatik und Orthographie zuschanden geschrieben werden. Das sei alles nicht so wichtig, man kommuniziere eben, teile sich mit und irgendwie sei es schon zu verstehen. Die Klagen über den Sprachzerfall sind berechtigt und auch ein wenig nostalgisch.
Technik-Vokabeln erweitern den Wortschatz
An Wortbildungen und sprachlichen Wendungen fehlt es nicht, die in den letzten Jahren in den Gebrauch eingesickert sind. Schon all die Vokabeln, die aus der Technik kommen, haben den Wortschatz erweitert. Aber es wäre eine Täuschung, in ihnen das Schöpferische in der Sprache erkennen zu wollen, weil sie alle reibungslos in die alltägliche Kommunikation eingelassen sind. Im Gegensatz zum Schöpferischen ist die Kommunikation immer auf Anschlüsse angewiesen, sonst bricht sie zusammen.
Zeit seines Lebens beharrte der französische Philosoph Gilles Deleuze darauf, dass die Philosophie keine kommunikative, sondern eine schöpferische Tätigkeit ist. Für ihn hat sie "eine Funktion, die vollkommen aktuell bleibt: Begriffe schaffen". Ein Begriff ist nicht einfach eine Wortbildung, weil er sich auf vielfältige Weise mit einem Problem verbindet. Immer entdeckt man in ihm etwas Seltenes, das aufmerken und denken lässt. Philosophie hat keine Macht, aber sie kann für Irritationen und Unterbrechungen sorgen, so dass es zu neuen Verteilungen des Schöpferischen und des Kommunikativen in der Sprache kommt. Ein Begriff, sagte Deleuze einmal, "ist das, was das Denken darin hindert, eine einfache Meinung, eine Ansicht, eine Diskussion, ein Geschwätz zu sein". Anders formuliert: Philosophie ist der unablässige Einspruch und Widerstand gegen die Tendenz, es sich zu einfach zu machen.
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