Gefälschte Markenkleidung

Die Rache der Prolls

Strassenhaendler warten am 2015 in Venedig (Italien) nahe des Markusplatz (Piazza San Marco) auf Kundschaft fuer ihre Taschen.
Louis Vuitton, Chanel und Co.: Gefälsche Taschen © picture alliance / dpa Themendienst / Andrea Warnecke
Ein Kommentar von Şeyda Kurt · 27.07.2023
Früher nannte man es Understatement, heute ist die Rede von "Quiet Luxury". Schick ist nicht mehr, sein Geld offen zur Schau zu stellen, sondern sich in Zurückhaltung zu üben. Die Journalistin und Autorin Şeyda Kurt kann sich dafür wenig begeistern.
Wanderschuhe von Louis Vuitton, Unterhosen von Prada oder ganz klassisch die Handtasche von Gucci - in Alanya, auf dem Straßenmarkt, gibt es sie alle. Gefälscht, günstig und in ausgefallenen Variationen. Sie ziehen mich gleichsam magisch an.
Doch manchmal sehe ich in der U-Bahn die Blicke an meiner riesigen, goldfarbenen – und offensichtlich gefälschten – Chanel-Bag aus Plastik haften. Ich meine dann zu beobachten, wie sich die Neugierde der Mitreisenden allmählich in Abscheu verwandelt, sobald sie die Fälschung erahnen. Mein Verdacht: Die Vorstellung, dass sich ein Mensch unverhohlen Luxus erschleichen will, der ihm eigentlich nicht zusteht, ekelt sie an.

Häufig ähnliche Produktionsbedingungen

Gefälschte Markenklamotten sind meiner Erfahrung nach gerade bei einer Gesellschaftsschicht unbeliebt, die gern in Nike-Radlerhosen zum Yoga eilt. Sie verdienen gut und leisten sich lieber das Original. Aber warum eigentlich?
Manche argumentieren mit der Qualität der Ware. Andere bemängeln die intransparenten Arbeits- und Produktionsbedingungen, unter denen gefälschte Markenkleidung auf den Touri-Märkten landet.
Diese sind tatsächlich katastrophal. Außerdem sind es oftmals arme, illegalisierte oder von institutionellem Rassismus betroffene Menschen, die die Waren bis tief in die Nacht für einen Niedriglohn verkaufen, in Alanya, der Türkei, etwa meist kurdische Saisonarbeiter*innen.
Doch zwischen den Produktionsbedingungen teurer, also originaler Markenkleidung, und billiger Massenware gibt es selten große Unterschiede. NGOs wie Clean Cloth Campaign berichten immer wieder, dass viele Designermarken, beispielsweise Hugo Boss, in denselben Fabriken im globalen Süden produzieren lassen wie billige Handelsketten.
Nein, ich glaube, wer bei gefälschten Markenklamotten die Nase rümpft, stößt sich an mehr als den miesen Arbeitsbedingungen.

Verborgener Statuskonsum soll Kultiviertheit signalisieren

Schauspieler*innen wie Gwyneth Paltrow üben sich in Hollywood neuerdings in "Quiet Luxury": Grau- und Beigetöne, keine Markenlogos, sondern Reichtum, der nur ersichtlich für eine ausgewählte Minderheit ist, die die subtilen Codes lesen kann.
Verborgener Statuskonsum soll Geschmack und Kultiviertheit signalisieren. Authentizität als Währung. Oder mit anderen Worten: „Sauteuer, aber trotzdem langweilig“ liegt im Trend.
Ein T-Shirt, auf dem in rosa Pailletten „Chanel“ prangt, ist hingegen die laute wie höhnische Absage an "Quiet Luxury"; an eine Normalität, die nur die Kehrseite der längst bekannten Medaille ist. Und zwar: Das Vermögen und den eigenen Wert sichtbar auf der Haut zu tragen.
Gefälschte Markenkleidung ist die Rache der Prolls. Und die ist widersprüchlich: Einerseits gibt sie zu, sich der Magie der Marken nicht entziehen zu können. Gleichzeitig entlarvt gefälschte Massenware den ideologischen Kern des Designerkults: Markenklamotten sind schlicht Stoffe mit Gebrauchswert, die durch Assoziationen eine besondere Macht erhalten. Die Ware als Fetisch, um es mit Marx auszudrücken.

Auch Designerware ist menschgemacht

Während Designerware normalerweise wie von Zauberhand auf den Verkaufstischen steriler Boutiquen zu landen scheint, sind die Märkte mit ihren Kopien laut und chaotisch. Die Stoffe kehren in den Alltag zurück, sie sind entmystifiziert. Es wird gefeilscht. Der Tausch von Geld und Ware bleibt keine abstrakte Transaktion, sondern wird konkret, fast aufdringlich.
Genauso drängt sich hier auf, was oft in Vergessenheit gerät: Auch Designerware ist menschgemacht. Eine Kopie – bei gutem Handwerk – kaum vom vermeintlich qualitativeren Original zu unterscheiden.
Hierin gründet vielleicht die Abscheu, die eigentlich eine Angst ist: Dass gefälschte Markenkleidung entlarvt, dass Kategorien wie original und gefälscht oder wertvoll und wertlos, die dem Selbst und dem eigenen Konsum so viel Bedeutung verschaffen sollen, vor allem eins sind: Quite Bullshit.

Şeyda Kurt studierte Philosophie und Romanistik sowie Kulturjournalismus in Köln, Bordeaux und Berlin. Als freie Journalistin schreibt sie unter anderem für den Zeit Verlag und war Kolumnist*in beim Theaterfeuilleton nachtkritik.de. Im April 2021 erschien ihr Sachbuchbestseller „Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist“, in dem sie Liebesnormen im Kraftfeld von Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat untersucht. 2023 ist Kurts zweites Sachbuch erschienen: „Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls“.

Die Journalistin und Buchautorin Şeyda Kurt, (c)Thomas Spies
© Thomas Spies
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