Kommentar zur Gaza-Offensive

Nach dem Drehbuch der Terroristen

Israelische Militärfahrzeuge fahren nahe der Grenze zwischen Israel und Gaza.
Militärfahrzeuge nahe der Grenze zu Gaza: Israel hat eine massive Bodenoffensive angekündigt. © picture alliance / Xinhua News Agency / JINI
Ein Standpunkt von Max Paul Friedman · 17.10.2023
Ein militärischer Sieg Israels in Gaza könnte zum politischen Sieg der Hamas werden, befürchtet der Historiker Max Paul Friedman - denn zivile Opfer stärkten allein den radikal-islamistischen Terrorismus. Das sei genau das, was die Hamas wolle.
Am Tag des schlimmsten Massakers an Juden seit der Ermordung meiner Verwandten in Europa durch die Nazis habe ich geweint.
Am nächsten Tag machte ich mir Sorgen, dass Israel – wie so oft – mit einer Eskalation zur „Wiederherstellung der Abschreckung“ reagieren würde. Es geht dabei nicht um das biblische Prinzip „Auge um Auge und Zahn um Zahn“, sondern um eine sorgfältig konzipierte Politik zum Schutz der nationalen Sicherheit. Aber es ist eine falsche Politik.

Der berechtigte Zorn trifft Unschuldige

Im Jahr 2006 feuerten Hisbollah-Kämpfer einige ihrer 15.000 Raketen auf Nordisrael ab, übertraten die Grenze, töteten drei israelische Soldaten und entführten zwei von deren Kameraden. Israel marschierte umgehend in den Libanon ein und bombardierte die Vororte von Beirut. Mehr als hundert Israelis starben und mehr als tausend Libanesen. Einige Beobachter fragten: Heißt das nicht zehn Augen für ein Auge, zehn Zähne für einen Zahn?
Jetzt sehen wir, wie der berechtigte Zorn der Israelis über die Ermordung von mehr als tausend Unschuldigen, vom Baby bis zur Großmutter, mit einem schweren Angriff auf die Bevölkerung in Gaza beantwortet wird, die das Verhältnis von zehn zu eins bei den Opferzahlen durchaus übersteigen könnte.

Terroristen wollen Vergeltung provozieren

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht ist keine Formel, nach der es für jeden toten Israeli einen toten Libanesen oder Palästinenser geben sollte. Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass man nicht mehr Gewalt als nötig anwenden darf, um seine Ziele zu erreichen.
Die große Zahl der von israelischen Streitkräften getöteten Zivilisten ist unverhältnismäßig - nicht mit Blick auf die Zahl der israelischen Opfer des Terrors, sondern mit Blick auf Israels legitimes Ziel der Selbstverteidigung. Denn die Verwüstung und die hohe Zahl an Toten machen die antiisraelischen Argumente der Hamas glaubwürdiger für die vielen Zivilisten, die von den weitreichenden Angriffen Israels betroffen sind.
Terroristen wollen Vergeltungsmaßnahmen provozieren. Sie töten, damit der Staat eine kollektive Bestrafung durchführt, und sehen sich damit in ihrer Sichtweise bestätigt. Der von meinem Präsidenten genehmigte Angriff auf Gaza könnte einige Geiseln befreien und einige Hamas-Führer töten. Doch ein militärischer Sieg Israels in Gaza könnte zum politischen Sieg der Hamas werden.

Aus Wut in die falsche Richtung geschossen

Am 11. September 2001 sah ich, wie in New York die Twin Towers einstürzten. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken an all die Menschen, die erdrückt wurden unter den Trümmern des Wahrzeichens der Stadt, in der meine Eltern geboren wurden.
Am nächsten Tag begann ich mir Sorgen zu machen, dass wir in unserer Wut in die falsche Richtung schießen würden. Die Vereinigten Staaten marschierten bald darauf in zwei Länder ein, die nicht für den 11. September verantwortlich waren, es gab wahllose Bombenangriffe, Folter an Gefangenen, und all die weiteren wohlbekannten Nachwirkungen. Letztlich hat all das den Zulauf und die Begeisterung für den radikal-islamistischen Terrorismus weltweit verstärkt.
Ihren Kriegsverbrechen mit unseren Kriegsverbrechen zu begegnen, ist nicht nur unmoralisch, es ist auch nicht zielführend, weil es genau das tut, was die Terroristen wollen. Israels Freunde sollten helfen, einen Weg zu finden, der Israels Sicherheit besser gewährleistet.

Max Paul Friedman ist Professor für Geschichte und internationale Beziehungen an der American University in Washington.

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