Meinung

Demokraten - auf zur Europawahl!

04:47 Minuten
Faggen im Europäischen Parlament in Straßburg.
An die Urnen: Bisherige Nichtwähler und Erstwähler müssen proeuropäische Parteien wählen, fordert Politologe Claus Leggewie. © picture alliance / Daniel Kalker
Ein Kommentar von Claus Leggewie · 06.03.2024
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Bei der diesjährigen Europawahl sei es mehr denn je entscheidend, dass Demokraten ihr Wahlrecht auch nutzen. Damit verhinderten sie einen Erfolg derjenigen, deren Ziel die Abschaffung der EU ist, kommentiert der Politologe Claus Leggewie.
In den kommenden drei Monaten wird man Sie wiederholt auffordern, doch bitte an den Europawahlen teilzunehmen. Ich werde das jetzt auch tun, wohl wissend, dass auch politisch Interessierte, die ihre Stimme bei Bundes- und Landtagswahlen abgeben, den Termin am 9. Juni eher schwänzen mögen.
Einrichtungen der EU und der politischen Bildung kommen nur schwerfällig aus dem Quark und wiederholen bloß ihre Proargumente von 1979 bis 2019. Seitdem wird nämlich ein Parlament gewählt, dessen Befugnisse sich inzwischen stark ausgeweitet haben.

Ein Drittel der Abgeordneten befürwortet EU-Abbau oder Abschaffung

Dass es machtlos sei, kann man also nicht mehr behaupten, aber den Ton geben Parteien an, denen es zu mächtig geworden ist. Mindestens ein Drittel der Abgeordneten im Europäischen Parlament möchte die Europäische Union zurückbauen oder ganz abschaffen, wie der deutsche AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah.
Die Partei des ungarischen Premiers Viktor Orbán blockiert jeden solidarischen Akt der Mehrheit, nimmt aber gerne die Brüsseler Moneten an, um ihre korrupten Netzwerke daheim zu bedienen. Und selbst die rechtsradikalen Fraktionen, denen Orbáns Partei demnächst beitreten will, bohren die Brüsseler Fleischtöpfe gerne an.

Umfragen sehen Zugewinne für Ultrarechte

Im nächsten Parlament werden die Ultrarechten allen aktuellen Umfragen zufolge in den meisten Ländern Zugewinne machen. Das setzt die Europäische Volkspartei unter Druck, die einmal mit den Ultrarechten umweltfreundliche Maßnahmen niedergestimmt hat, und schwächt die linke Mitte weiter. Mit der rechten Mehrheit wären die Klimaziele unerreichbar und der Green New Deal tot.
Auch die überwiegend rechtsradikale AfD wird Nichtwähler animieren, am 9. Juni ihren Frust über die Bundesregierung und ihren Verdruss über die EU abzuladen. Dagegen muss sich eine größere Zahl der bisherigen Nichtwähler plus die Erstwähler (dieses Mal ab 16 Jahren) zur Abgabe der Stimme für proeuropäische Parteien entschließen.
Ohne diese Mehrheit könnte die EU-Kommission Direktion für Direktion in die Hände der Europagegner fallen. Nicht vergessen darf man dabei, dass die Eurorechten Wladimir Putins Pudel sind, der EU-Staaten offen bedroht.
Man kann nun also erneut alle Vorteile der EU aufzählen – vom zollfreien Warenaustausch über den ungehinderten Reiseverkehr und kostengünstige Erasmus-Studien bis zum roamingfreien Telefonieren. Das sind echte Errungenschaften, die auch Nationalisten gerne in Anspruch nehmen; sie werden aber als Selbstverständlichkeit betrachtet und meist unter den gängigen Vorurteilen begraben, die EU sei ein bürokratisches Monster, verantwortlich wahlweise für den Siegeszug links-grüner Klima-Ideologen oder neoliberaler Zerstörung, für zu offene oder zu geschlossene Grenzen.
Auf die pure Nützlichkeit der EU hinzuweisen und bloß defensiv gegen Ultrarechts zu mobilisieren, reicht nicht mehr aus. Europa hat sich zu lange als Wirtschaftsgigant präsentiert, der auf der Welle der Globalisierung surft und sich um eine gefährlich verschobene Geopolitik nicht zu kümmern braucht.

Demokratie verteidigen und wertschätzen!

Die Aggression Russlands und der auch ohne die Wiederwahl Donald Trumps anstehende Rückzug Amerikas, ebenso der Hass von Islamisten auf unseren angeblich gottlosen und verweiblichten Kontinent und die Allianz von autokratischen Regimen weltweit, - all dies ruft dazu auf, über Wohlstandswerte hinaus die Werte Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu verteidigen und die Demokratie als Herrschafts- und Lebensform wertzuschätzen.
In den Anfängen der Europäischen Gemeinschaften hieß es einmal, ihr heimlicher Geburtshelfer sei Josef Stalin gewesen. Der Massenmörder Wladimir Putin darf nicht ihr Totengräber werden. Also: Demokraten auf, am 9. Juni zu den Wahlurnen!

Claus Leggewie ist Ludwig-Börne-Professor an der Universität Gießen und leitet dort das Panel on Planetary Thinking. Als freier Autor schreibt er für in- und ausländische Tages- und Wochenzeitungen und den Hörfunk.

Portraitaufnahme des Politologen Claus Leggewie
© Georg Lukas
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