Chats vom Springer-Chef

Privates wird zum Skandalfutter für Medien

Mathias döpfner im Porträt
Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns, formulierte in internen Nachrichten teils radikale Ansichten. Susanne Gaschke empört sich über deren Veröffentlichung. © imago / Chris Emil Janßen
Ein Kommentar von Susanne Gaschke · 27.04.2023
Springer-Chef Döpfner diffamierte in internen Chats unter anderem "Ossis". Dass "Die Zeit" die mutmaßlich an Ex-"Bild"-Chef Reichelt gerichteten Texte veröffentlichte, findet Susanne Gaschke gefährlich: Die Autorin sieht ein Ende der Privatsphäre.
Die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" hat eine gefährliche Tür in die Zukunft aufgestoßen, als sie am 13. April viele private Textnachrichten des Axel-Springer-Vorstands Matthias Döpfner veröffentlichte.
Man kann Döpfners Ansichten über Ostdeutsche oder seinen verlagsinternen Lobbyismus für die FDP unmöglich finden, aber darum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, dass es bisher in Deutschland einen einigermaßen stabilen Konsens gab, auch noch so spannendes Skandalfutter in seriösen Medien nicht zu benutzen, wenn die Betroffenen sich nurmehr privat geäußert hatten.
Prominentestes Beispiel: Noch 2018 wurden innerfamiliäre Facebook-Nachrichten des damaligen Grünen-Vorsitzenden und heutigen Vizekanzlers Robert Habeck nicht veröffentlicht, obwohl ein Schüler-Hacker sie kurzzeitig online gestellt hatte – und obwohl bei mehreren Verlagen bis heute Screenshots davon existieren.

Döpfner schrieb vertraulich an Kollegen

Vor fünf Jahren galt in Deutschland noch die Übereinkunft, dass man im Freundeskreis anders reden darf als auf der Bühne. Manche argumentieren nun, Döpfners Nachrichten seien doch an einen Mitarbeiter gerichtet und also gar nicht privat, sondern offiziell gewesen.
Wer so denkt, verkennt, dass man sich auch unter Kollegen vertraulich äußern kann – und dass die allermeisten Menschen das auch tun.
Natürlich lag schon immer ein gewisses Risiko darin, sich einem anderen schriftlich zu offenbaren, aber man konnte wenigstens ansatzweise auf den Anstand vernünftiger Medien vertrauen, sich nicht für Verrats- und Rachekampagnen einspannen zu lassen. Journalisten werden künftig noch mehr als bisher aufpassen müssen, dass sie nicht instrumentalisiert werden.

Die bürgerlich-liberale "Zeit" öffnet die Schleusen

Denn seit ausgerechnet die bürgerlich-liberale "Zeit" sich für die Veröffentlichung entschieden hat, sind die Schleusen geöffnet: Irgendeinen übergeordneten moralischen Grund, irgendein kühn konstruiertes öffentliches Interesse wird man in Zukunft immer finden, wenn man mit Kompromat Quote oder Auflage machen will.
Und das heißt: Wir alle werden uns fortan in der digitalen Kommunikation verstellen müssen. Wir werden permanent so „sprechen“, beziehungsweise schreiben müssen, wie es als politisch korrekt gilt – also ohne Ironie, ohne Sarkasmus, ohne Zorn, Witz, Ungerechtigkeit.
Es gibt Leute, die nicht begreifen, was das bedeutet: Wer nichts zu verbergen habe, sagen sie, der müsse doch das Licht der Öffentlichkeit nicht scheuen. Dabei verkennen sie in fundamentaler Weise das Wesen der Privatsphäre.

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„Ein wirkliches Freiheitsgefühl besteht darin, einen Winkel deines Lebens zu haben, der dir ganz allein gehört,“, schreibt der amerikanische Autor Cory Doctorow in seinem Roman „Little Brother“: Darin kritisiert er aufs Schärfste die Überwachungsgelüste der US-Behörden nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Nackt in einer gläsernen Toilettenkabine

Doctorow hat ein drastisches Bild parat: Es sei keineswegs unmoralisch, nackt zu sein – und ebenso wenig sei es verwerflich, auf die Toilette zu gehen. Gleichwohl würden die allermeisten Zeitgenossen es vorziehen, nicht nackt in einer gläsernen Toilettenkabine auf dem Times Square zu defäkieren.
„Es geht nicht darum, dass du etwas Schlimmes tust, es geht darum, dass du etwas Privates tust“, schreibt Doctorow: „Es geht darum, dass dein Leben dir gehört.“
Für die bürgerliche Gesellschaft war die Privatsphäre, frei von staatlicher oder sonstiger Einflussnahme, ein konstitutives Element. Es scheint so, als müssten wir uns endgültig auf post-bürgerliche Zeiten einrichten.

Susanne Gaschke ist eine deutsche Journalistin, Publizistin und Autorin. Von 1997 bis 2012 war sie Redakteurin der Wochenzeitung "Die Zeit". Von 2012 bis 2022 war sie für "Die Welt" und die "Welt am Sonntag" tätig. Seit 2022 schreibt sie für die "Neue Zürcher Zeitung". Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher.

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