Kommentar

Die Tyrannei des Glücklichseins

Per Mertesacker schreit sein Glück in den Himmel von Berlin
Glück: ein flüchtiger Moment. Per Mertesacker schreit sein Glück nach dem WM-Sieg der Deutschen Fußball-Elf in den Himmel von Berlin. © picture-alliance / dpa / Daniel Naupold
Von Katharina Döbler |
Glücklich sein, das will jeder. Doch kann auch dieses Bestreben in Stress ausarten, wenn Glück als Kategorie des Erfolgs verstanden wird, meint Katharina Döbler.
Berlin hält sich immer noch für sexy und ist nicht mehr ganz so arm, und die Berliner sind optimistische, glückliche Leute – zu ungefähr 60 Prozent. Schön und gut. Aber eine solche Studie wirft doch einige grundsätzliche Frage auf. Vor ungefähr zwölf Jahren waren es noch die Einwohner von Osnabrück, die als die glücklichsten der Republik galten; spätere Erhebungen für den sogenannten deutschen Glücksatlas verorteten das Epizentrum des Glücks im Speckgürtel von Hamburg, wo das eher wohlhabende Volk wohnt. Wie, fragt man sich zwangsläufig, wurde das ermittelt? Was haben diese Forscher gefragt, um den Glücksindex festzustellen? Wollten sie das Einkommen wissen? Wollten sie das Ausmaß der Zufriedenheit auf einer Skala von eins bis zehn quantifiziert haben? Haben sie sich nach der Gesundheit erkundigt? Nach der Qualität des Schlafs? Nach der Häufigkeit von Sex? Und von Orgasmen? Interessierten sie sich für das Gedeihen des Rasens und der Kinder? Hieß es am Ende einfach: Kreuzen Sie an, wie glücklich Sie sind: Sehr, mittel, ein bisschen, kaum, gar nicht, weiß nicht?
Individuelles Glück ist zum sozialen Imperativ geworden
Derartige Studien zielen im Grunde darauf ab, die Zusammensetzung des Glücks empirisch zu ergründen; sie versuchen, hinreichende Bedingungen für Glück zu definieren. Mit einem handfesten Ergebnis könnte man am Ende, gemäß den utilitaristischen Ideen aus dem 18. Jahrhundert, der größtmöglichen Zahl von Menschen das größtmögliche Glück verschaffen – indem man es irgendwie in großen Mengen politisch, sozial oder auf Wellnesswochenenden herstellt. Diese naive Utopie spukt immer noch in den Köpfen der Glücksforscher. Aber nicht nur dort: Der ganze Wahnsinn der Selbstoptimierung wurzelt in der Vorstellung von der Herstellbarkeit des Glücks. Und mit ihr ist individuelles Glück zum sozialen Imperativ geworden. Jede und jeder kann, soll, muss glücklich sein. Wer es nicht ist, ist ein Versager. Glück wird hier missverstanden als Kategorie des Erfolgs.
Der Franzose Pascal Bruckner hat das in seinem vor über zehn Jahren erschienenen Buch "Verdammt zum Glück. Der Fluch der Moderne" sehr detailliert untersucht – und brach am Ende eine Lanze für das Recht des Individuums auf Unglück. Doch der Tyrannei des Glücksbegriffs liegt der Wunsch eines jeden Individuums, glücklich zu sein, zugrunde. Was es nun aber wirklich ist, dieses Glück, weiß niemand.
Die Religionen verlagern es in einen jenseitigen Ort, wo es als absoluter und unteilbarer Zustand unendlich fortdauert – etwas, das für einen lebenden Menschen weder erträglich noch auch nur vorstellbar wäre.
Ein flüchtiges Gefühl, das im Moment aufleuchtet und wieder verschwindet
Diesseitige Konzepte des Glücks existieren ungefähr so viele, wie es philosophische Schulen gibt. In der antiken Philosophie steht Glück meistens in Zusammenhang mit Harmonie; es ist ein Zustand, der durch Erkenntnis, Einsicht und Haltung erreicht, zumindest angestrebt werden kann. Epiktet und die anderen Stoiker erklärten, dass es für diesen Zustand wesentlich sei, das hinzunehmen und nicht weiter zu beachten, was außerhalb unserer Macht steht. Diese äußerst lebenspraktische Erkenntnis ist heute Teil das Mantras der Anonymen Alkoholiker.
Für Individuen aber ist Glück auch ein intimes, flüchtiges Gefühl, das im Leben nur in Momenten aufleuchtet und wieder verschwindet.
"Das Glück wohnt nicht im Besitze und nicht im Golde, das Glücksgefühl ist in der Seele zu Hause", sagte Demokrit vor 2400 Jahren. Aber nicht einmal auf diese so einfach klingende Aussage hat sich die Menschheit bis heute einigen können.