Krisenbewältigung

Mehr Optimismus wagen

Wirtschaftsminister Ludwig Erhard mit Glas (auf der Industriemesse in Hannover 1956)
Schon Ludwig Erhard wusste: Wenn man das Glas stets halb voll sieht, klappt's auch mit dem Wirtschaftswunder. © picture alliance / United Archives / Erich Andres
Ein Einwurf von Lukas Gedziorowski |
Krisen, Kriege, Katastrophen: Die Weltlage und die Wirtschaft geben viel Anlass für Pessimismus. Doch zu viel Schwarzmalerei kann auch schaden. Ein Plädoyer für eine dem Deutschen wesensfremde Tugend.
Machen wir uns nichts vor. Es sieht schlecht aus. Ich will nicht wieder von Kriegen, Klima und anderen Krisen anfangen, das tun wir ja oft genug ... Menschen sind nun mal Pessimisten, das liegt in den Genen, besonders in den deutschen. Denn die Deutschen stammen nicht vom Affen ab, sondern von Schopenhauer. Ihnen ist auf Erden ewig nichts recht, denn die ist bekanntlich: schlecht. Wer noch Belege braucht, lese weiter; wer nicht, kann die nächsten drei Absätze überspringen.
Wieder ist ein Klimagipfel ohne befriedigendes Ergebnis zu Ende gegangen. Derweil steigen die CO2-Emissionen weiter an, wie schon seit den letzten Klimagipfeln. Und solange Öl, Gas und Kohle Profite versprechen, wird sich daran auch nicht viel ändern. Besonders nicht mit Präsidenten wie Trump und Putin, deren Länder einen großen Teil dazu beitragen. Da bringt es auch nichts, mehr Rad zu fahren oder Stand-by-Lampen auszuschalten. Deswegen kann man weiter guten Gewissens mit dem SUV über deutsche Autobahnen heizen, sich drei Fernreisen pro Jahr gönnen und mehr Zeug kaufen, das man nicht braucht.

Weimarer Verhältnisse?

Der Krieg in der Ukraine sieht nach über 1000 Tagen auch nicht so aus, als wäre ein Ende absehbar, vor allem kein gutes für die Ukraine. Ganz zu schweigen vom Nahen Osten. All das schürt bei uns Deutschen die längst begrabenen Ängste vor dem Dritten Weltkrieg. Die Weltuntergangsuhr zeigt 90 Sekunden vor zwölf. Apokalypse – jetzt aber wirklich! Da kann man sich nur noch einen Bunker bauen, zum Prepper werden und sich selbst der nächste sein.
Und dann ist da noch unser liebstes Goldenes Kalb: die heimische Wirtschaft. Kein Tag, an dem man nicht daran erinnert wird, wie schlecht sie angeblich läuft und auch weiter laufen wird. Rezession, Inflation, Kündigungswellen, hohe Energiepreise und die Butter kostet sogar schon vier Euro! Auch politisch unsichere Zeiten: Hier der Aufstieg der Rechten, da eine Regierungskrise – also Zustände wie vor 100 Jahren in der Weimarer Republik? Ist die Geschichte dazu verdammt, sich zu wiederholen, wie es auch schon vor einem Jahrhundert eine Pandemie gab? Sollte man sich einfach auf die Katastrophe einstellen, als wäre sie unvermeidlich? Weit gefehlt.

Die Pest des Pessimismus

Pessimismus kann natürlich auch seinen Nutzen haben: Wer vom Schlimmsten ausgeht, kann nicht enttäuscht werden. Was wie Mut aussieht, der harten Wahrheit ins Auge zu sehen, ist in Wahrheit Feigheit und Bequemlichkeit, denn man riskiert scheinbar nichts mit so einer Einstellung. Außer, in Zynismus und Fatalismus zu verfallen. Diese Haltung wird oft zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Wer davon ausgeht, dass es schlechter wird, sorgt auch mit dafür, dass es schlechter wird.
Aber würden wir wirklich konsequent so denken, dann würde keiner von uns morgens aufstehen. Tun wir aber, jeden Tag. Seltsamerweise sind wir mit Blick auf unser eigenes Leben nämlich nicht so pessimistisch wie beim Rest der Welt und unterschätzen ständig Risiken, etwa an Krebs zu sterben. Selbst wenn wir ernste Probleme und Sorgen haben, selbst wenn wir krank sind und pleite – irgendwie machen wir dann doch weiter und früher oder später kommen wir meistens auch aus dem Loch. Denn auch darauf ist Verlass: Alles vergeht. Schmerzen und Leiden kommen und gehen wie Regenwetter.

Wirtschaft ist Psychologie

Wie unser Leben verläuft auch die Wirtschaft in Wellen. Die ist zu 50 Prozent Psychologie, soll mal Wirtschaftswunderkanzler Ludwig Erhard gesagt haben. Seitdem gilt es fast schon als Gemeinplatz. Ökonom Marcel Fratzscher bietet mehr: Für ihn sind es sogar 80 Prozent. „Die Stimmung ist deutlich schlechter als die Realität“, sagte der Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Ende Oktober. Statt Rezession bloß Stagnation, viele Dienstleistungsbereiche wachsen, viele Unternehmen erzielen satte Gewinne – auch in der Industrie –, dazu Rekordbeschäftigung. „Meine größte Sorge ist der Pessimismus, die mentale Situation, in der sich Deutschland befindet. Wenn kein Vertrauen, wenn keine Zukunftszuversicht da ist, dann investieren Unternehmen nicht und dann konsumieren auch die Bürgerinnen und Bürger nicht.“ Der Pessimismus sei im Augenblick so stark, dass er die Politik und Wirtschaft lähme.
Es geht nicht darum, sich alles schönzudenken. Nein, man kann nicht alle Probleme lösen, wenn man nur positiv denkt. Aber es wäre ein erster Schritt, aus den alten Denkmustern auszubrechen und nicht in erlernter Hilflosigkeit zu verharren. Negatives Denken führt zu schlechten Gefühlen und die können krank machen. Stresshormone können Schmerzen und Depressionen auslösen. Auch schlecht für die Volkswirtschaft.

Pessimismus mit eigenen Waffen schlagen

Doch die Weltuntergangspropheten schreien stets am lautesten und die Nachrichten und Social Media verzerren unsere Wahrnehmung so sehr, dass wir kaum noch die andere Seite sehen, was (auch in unserem Land!) gut läuft oder die Tatsache, dass jeden Tag weltweit unzählige Menschen an Lösungen arbeiten: für erneuerbare und alternative Energien, das Plastikproblem, das Artensterben, mehr soziale Gerechtigkeit und auch den Frieden.
Keiner von uns kann die Welt verändern, müssen wir auch nicht, dieser Anspruch lähmt ebenfalls. Aber oft hilft es schon, sich zu fragen: Was kann ich tun? Nicht fürs große Ganze, sondern im Kleinen, eins nach dem anderen. Keine Ärmel-und-Arsch-hoch-Mentalität, sondern mehr „Wir schaffen das“. Warum auch nicht? Die Voraussetzungen könnten schlechter sein. Deutschland ist immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir jammern also auf dritthöchstem Niveau. Und verloren hat nur, wer’s nicht mal versucht.
Der Pessimismus lässt sich oft schon mit seinen eigenen Waffen schlagen: Die schlimmsten Sorgen werden meist ohnehin nicht wahr. Doch was ist, wenn alles nichts hilft und man trotzdem scheitert? Dann hilft vielleicht eine Weisheit des großen Fußballphilosophen Christoph Daum: „Ich bin nicht gescheitert, ich bin gescheiter geworden.“
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