Zukunft der Demokratie

Die Konservativen spielen eine Schlüsselrolle

Markus Söder, CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident (l), steht mit Friedrich Merz,Vorsitzender der CDU, nach dessen Rede auf der Bühne.
Markus Söder (CSU) und Friedrich Merz (CDU) - den Konservativen kommt bei der Verteidigung der Demokratie eine Schlüsselrolle zu © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Michael Koß · 04.08.2023
Konservative und Demokratie, das sei ein Drama in vier Akten, meint Michael Koß. Im Umgang mit neuen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen machten sich schnell Ressentiments und Erkenntnisverweigerung breit - auch in Deutschland.
Wer die Zukunft der Demokratie analysieren will, muss über konservative Parteien sprechen. Rechtsradikalen Parteien gilt zwar ein Gutteil der medialen Aufmerksamkeit, allerdings regieren sie allerorten in Koalitionen, und zwar mit konservativen Mitte-Rechts-Parteien. In Ländern wie den USA wird das demokratische Rollback sogar gleich von Konservativen betrieben, die sich auf dem Weg nach Rechtsaußen befinden.
Konservative und Demokratie, das ist ein Drama in vier Akten. Im Mittelpunkt dieses Dramas steht der Umgang mit neuen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Obwohl die CDU im internationalen Vergleich eine demokratische Vorzeigepartei darstellt, verdeutlicht das Beispiel des Gebäudeenergiegesetztes (kurz: GEG), dass dieses Drama auch hierzulande bereits angelaufen ist.

Rhetorisch in der Bredouille

Den ersten Akt bildet allerorten das, was heute gern als „Polykrise“ bezeichnet wird, also im Fall des GEG das Zusammentreffen einer sicherheits- und wirtschaftspolitischen Krise mit dem Klimawandel. In einer solchen Situation versuchen Konservative das zu tun, was sie eben tun: den Status quo nebst den mit ihm verbundenen Privilegien zu bewahren – frei nach dem Motto „alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist“.
Aber in Polykrisen kommen Konservative rhetorisch schnell in die Bredouille. Die resultierende argumentative Klemme ist der zweite Akt des Dramas. Beispielsweise können im Klimawandel überkommene Privilegien nicht mehr dadurch gerechtfertigt werden, dass man durch ressourcenintensives Wirtschaften zusätzlichen Wohlstand schafft.
„Weiter so“-Argumente verfangen also ebenso wenig wie das altbewährte „Macht Euch die Erde untertan!“. Im Anthropozän ist die vermeintlich „natürliche“ Umwelt menschengemacht, das ist die Lehre der Erdsystemforschung.
Weil aber der Rekurs auf eine „natürliche“ Ordnung zur DNA von Konservativen gehört, erleiden diese eine epistemische, also erkenntnisbedingte, Kränkung: Neue Erkenntnisse laufen nicht nur den politischen Präferenzen der Konservativen diametral entgegen, sondern entwerten auch ihre Argumente.
Kommen Konservative zu der Einsicht, dass sie im politischen Diskurs mit ihren Argumenten keinen Stich mehr machen können, befinden wir uns im dritten Akt des Dramas. In dem werden Argumente durch Herabwürdigungen ersetzt.

Zurück zur inhaltlichen Auseinandersetzung

Konservative entwickeln Ressentiments, und Erkenntnisverweigerung macht sich breit. Deshalb ersetzen sie inhaltliche Argumente durch rhetorische Eskalation und unterstellen Reformern routinemäßig sinistre Motive.
In der Debatte um das GEG war beispielsweise von einer „Energie-Stasi“ die Rede. Wie die CDU den CO2-Ausstoß privater Haushalte senken wollte, blieb allerdings unklar.
Die Rede von einer „Energie-Stasi“ ist nur noch einen Schritt von Verschwörungstheorien entfernt. So können konservative Kränkungen die Zukunft der Demokratie bedrohen. Zusammengefasst lautet meine These deshalb, dass erkenntnisbedingte Kränkungen die Ursache für die Erosion demokratischer Normen in etablierten Demokratien darstellen.
Die bewusste Missachtung demokratischer Spielregeln ist dann der vierte Akt des Dramas, der sich exemplarisch in den USA beobachten lässt. Hier leugnen die Republikaner den Klimawandel und versuchen um jeden Preis, die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung zu zementieren, obwohl diese argumentativ nicht zu rechtfertigen ist.
So weit ist es in Deutschland wahrlich noch nicht. Aber die CDU sollte dringend zu einer selbstbewussten inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Regierung zurückfinden, wie sie Friedrich Merz vor Kurzem zumindest angekündigt hat. Unabhängig davon, dass diese Ankündigung fast zwei Jahre nach der Bundestagswahl merkwürdig spät kommt, wäre das eine wirklich schöne Aussicht.

Michael Koß ist Politikwissenschaftler an der Leuphana Universität Lüneburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Parteien-, Parlaments-, und Demokratieforschung. Zuletzt erschien "Demokratie ohne Mehrheit? Die Volksparteien von gestern und der Parlamentarismus von morgen" (dtv 2021).

© Hans Panichen
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