Kommentar zu Catcalling
Verbale sexuelle Belästigung, das sogenannte Catcalling, soll nach dem Willen der SPD unter Strafe gestellt werden © Getty Images / F.J. Jimenez
Vorsicht, keine Komplimente!
04:41 Minuten

Justizministerin Stefanie Hubig will gesetzlich gegen sogenanntes Catcalling vorgehen. Wie und wo lässt sich die Grenze ziehen - zwischen einem misslungenen Kompliment und einer unmoralischen oder gar strafbaren Belästigung? Fragt Arnd Pollmann.
„Es spricht für Sie, dass Sie eingeschaltet haben“, „Sie sehen toll aus heute“, „Sie haben es einfach drauf“ – Komplimente dienen der Beziehungspflege. Sie drücken Zuwendung und Wohlwollen aus. Aber wenn sich wildfremde Menschen Komplimente machen, wird schnell auch eine gewisse Irritation spürbar: Wir kennen uns doch gar nicht? Ist das ein Kompliment oder Anbiederei? Und wann ist die Grenze zur Aufdringlichkeit übertreten?
Nett gemeint oder unverschämt?
Wer Komplimente macht, konzentriert sich auf die angenehmen Seiten des Gegenübers; anders als bei Kritik. Komplimente sind freundlich formuliert, im Unterschied zu Beleidigungen. Sie sind insofern wohlwollend, als sich das Gegenüber daran erfreuen darf. Und läuft es gut, bewahren Komplimente den sogenannten Takt einer respektvollen Halbdistanz: Man kommt sich näher, aber doch nicht zu nah, weil dies den Verdacht wecken mag, die komplimentierende Person könne irgendetwas im Schilde führen.
Das ist der Unterschied zu Schmeicheleien, etwa in der Arbeitswelt: „Super Idee, Chef!“ oder „Ich bewundere Ihre innere Stärke und Entschlossenheit“. Hört sich an wie ein Kompliment, kommt häufig vor, aber die Absicht scheint instrumentell: Jemand will sein Gegenüber für sich einnehmen. Mit dieser Berechnung hört der Sprechakt auf, ein Kompliment zu sein.
Zudem verschwimmt oft die Grenze zu vergifteten Komplimenten: „Du bist echt hübsch, wenn du lächelst“, „Wow. Ich hätte nicht gedacht, dass du das schaffst“, „Total mutig von dir, so eine bunte Jacke zu tragen“: Nett gemeint oder schon unverschämt, jedenfalls verunglückt?
Kein Kompliment, sondern eine Belästigung
Damit sind wir bei einer methodischen Schwierigkeit angelangt: Wer bestimmt, ob ein Kompliment aufrichtig ist oder hinterlistig? Die Absicht des Senders oder das Befinden des Empfängers? Das Misstrauen veralbert zu werden, ist heute groß. Zugleich sorgt bisweilen für Verwirrung, dass man dasselbe Kompliment mal als willkommen, mal als lästig wertet, je nachdem, ob es von einer sympathischen oder einer unsympathischen Person kommt.
Damit aber aus einem Kompliment eine Belästigung wird, gar eine strafrechtlich relevante, wie aktuell unter dem Stichwort „Catcalling“ diskutiert, muss etwas Unangenehmes hinzutreten.
Zur Erinnerung: Komplimente fokussieren etwas Positives. Sie sind wohlwollend, freundlich, erfreulich. Und sie bleiben auf Halbdistanz. Gelegentlich mangelt es den Charmeuren des Alltags an all dem, vor allem aber an Respekt. Aus Komplimenten wird distanzlose Übergriffigkeit, wenn der Kontext unpassend ist und sich die Kommentierung unerwünscht aufdrängt: „Du sprichst aber gut Deutsch“, „Mit deinem Aussehen hast du es sicher leicht im Leben" oder „Geiler Arsch“.
Besonders in sexuell konnotierten Fällen fremder Begegnungen wird die taktvolle Halbdistanz in eine als bedrohlich empfundene Nähe aufgelöst. Dominanzgebaren. Es geht nicht länger darum, die Person zu erfreuen. Sie soll eingeschüchtert und herabgesetzt werden. Auch wenn es hinterher heißt: „War doch nett gemeint!“ Dies mag strafrechtlich nicht leicht zu regeln sein. Um Komplimente jedoch handelt es sich nicht.
Unsicherheit beim Flirten und missglückte Komplimente
Und trotzdem sollte man die Frage, was man noch sagen darf, nicht einfach als lächerlich abtun. Weil Komplimente etwas Schönes sind, kann man besorgt sein, dass Flirten zum Topfschlagen im Minenfeld wird; dass berufliche Zusammenarbeit krampfhaft und humorlos verkümmert; dass man für ein nett gemeintes Kompliment tatsächlich ins Visier von Meldestellen oder Strafrecht geraten könnte.
Was für eine Welt wäre das ohne solche Sätze wie: „Du bringst mich immer zum Lachen“ oder (unter Philosophinnen und Philosophen sehr beliebt) „Du bist der Einzige, der mich wirklich versteht“?
Vermutlich wäre dies eine trostlose Welt – ganz ohne die Resilienz, dass ein Kompliment eben auch mal schiefgehen kann. Übrigens: Vielen Dank fürs Lesen. Ich bewundere Ihren Scharfsinn und Ihre Auffassungsgabe.