Expats in Berlin

Und wann lernt ihr Deutsch?

Ein Barista bereitet einen Kaffee mit Latte Art zu.
Muster in den Milchschaum malen können, aber Kaffeebestellungen nur auf Englisch verstehen: Die gebürtige US-Amerikanerin Gayle Tufts ärgert sich über Expats in Berlin, die kein Deutsch lernen. © Unsplash / Brent Gorwin
Gedanken von Gayle Tufts |
Wer in Berlins Szenevierteln ins Café geht, kann nicht immer auf Deutsch bestellen: Der Barista oder die Kellnerin spricht mitunter nur Englisch. Die gebürtige US-Amerikanerin Gayle Tufts ist von ihren Landsleuten genervt – und neidisch.
Ich lebe jetzt seit 32 Jahren fest in Berlin. Ich weiß, man hört es nicht mehr - aber ich bin gebürtige Amerikanerin. Zur Feier dieses Jubiläums radelte ich in mein Lieblingscafé in meinem alten Kiez in Kreuzberg und bestellte ein Stück Kuchen und einen großen Milchkaffee. Der junge, gerade aus Brooklyn importierte Kellner guckte mich verwirrt an und sagte auf Englisch: „I don’t understand you.“
Ich war perplex über meine Reaktion, denn eine Stimme in meinem Kopf (die verstörend wie Jens Spahn klang) schrie: Learn fucking Deutsch! When did I get so intolerant? Bin ich nicht nur deutsch geworden, sondern auch eine AfD-wählende Deutschland-for-the-Deutschen-, Schlager-loving Reichsbürgerin?

Bin ich jetzt Jens Spahn? Oder bloß neidisch?

Im Grunde genommen war ich neidisch. Es ist extremely bemerkbar, wie viel Englisch heutzutage in the Hauptstadt gesprochen wird - was mich vor 32 Jahren wahnsinnig glücklich gemacht hätte! Damals kannte ich nur die rudimentären deutschen Worte, die jede Amerikanerin kennt: Gesundheit, Doppelgänger, Schadenfreude, Kindergarten, Blitzkrieg – das war’s!
Nach zuvor 13 Jahren in New York war Berlin für mich eine wohltuende Oase der Stille. 1978-1991 war Manhattan ein Non-Stop-Information-Overkill: Wir hatten einen Präsidenten Ronald Reagan, eine Crack-Epidemie, cocaine, Hip-Hop, den Golfkrieg, einen Serienkiller namens „Son of Sam“, excentric artists wie Keith Haring, Punk, MTV und AIDS. Ich war etwas fertig und ausgebrannt, als ich nach Berlin zog.

Die Mühe, eine neue Sprache zu lernen

Nach dem Chaos of the Trump-Regierung kann ich die Erschöpfungszustände der jungen geflüchteten Amerikaner gut verstehen. Wer hat die Energie, eine neue Sprache zu lernen? Ich hatte noch mühsam probiert, Deutsch zu lernen mit der Hilfe von Zeitungen und Zeitschriften: Ich fing an mit der "Bravo" und arbeitete mich langsam hoch, über die "Gala" und die "Apotheken Umschau" bis zum "Tagesspiegel".
Damals gab es kein World Wide Web, keine New-York-Times-App on my phone, keine Streamingdienste, kaum Filme in der englischen Originalversion. Es war alles Deutsch, all the time. Es war ein neuer Anfang 24/7.
Heute gibt es Englisch fast überall und dazu noch Google-Übersetzer und iTranslate. Aber sie können the Besonderheit eines Milchkaffees nicht wirklich übersetzen – am liebsten in einer Schale (OK, ich bin alt, ich möchte ihn aus einer Schale trinken, with a gedruckte Zeitung dazu, in einem Zeitungshalter aus Holz ...). Milchkaffee – eine duftende Mischung aus frischem Filterkaffee, schaumiger Milch und der faszinierenden Einzigartigkeit einer ganz neuen Welt.
Ich wollte meinen Kellner umarmen und ihm Mut geben: Fang einfach an, lern so viel, wie du kannst, probiere alles aus, schmeiß die Sprachen zusammen, hab keine Angst – die Mischung macht’s! Ich fühlte mich bestätigt und glücklich, als ich im Café an der Kasse ein Schild sah: „We accept Sofortüberweisung“.

Gayle Tufts ist eine deutsch-amerikanische Entertainerin, Autorin, Sängerin, Kommentatorin und „Germany’s best-known American“ (Stern). Sie lebt seit 1991 in ihrer Wahlheimat Berlin.

Gayle Tufts bei der Premiere des Theaterstücks 'Rosige Aussicht' in der Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater. Berlin, 04.12.2022
© picture alliance / Geisler-Fotopress / Anita Bugge
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