Kommentar

An Staaten lässt sich schlecht rumerziehen

John Kerry, Außenminister der USA, hier in einer Aufnahme als Senator, August 2008
John Kerry, Außenminister der USA, hier in einer Aufnahme als Senator, August 2008 © picture-alliance/ dpa
Von Gesine Palmer · 03.08.2014
Der Westen als allmächtiger Weltenerzieher hat sich nach dem Kalten Krieg in einer Politik verirrt, die nicht funktionieren kann. Gesine Palmer betrachtet die Asymmetrie aktueller Konflikte aus philosophischer und psychoanalytischer Sicht.
Wenn wir gewusst hätten, was das Ende des Kalten Krieges der sogenannten Freien Welt antut, hätten wir es uns vielleicht noch einmal überlegt. Haben wir aber nicht. Außer ein paar Philosophen, Psychoanalytikern und anderen notorischen Schwarzsehern vielleicht.
Nach einigen Jahrzehnten von Wettrüsten und Wettlauf um die Ressourcen blieb die westliche Welt allein übrig. Kein Problem, dachten wir, im Gegenteil, endlich hat mal das Gute gesiegt, der freiheitliche, demokratische Rechtsstaat. Und wir, wir Guten, wir würden uns nach und nach die ehemaligen Feinde im Osten zu freundlichen Nachbarn umerziehen. An dieser Grundhaltung scheint sich nichts geändert zu haben.
Putins Verhalten war und ist „Fehlverhalten". Und was er bekommt, ist „Strafe". Damit er uns nicht länger „auf der Nase herum tanzt". Schon in der Kindererziehung ist eine solche Sprache nicht so gut. Übertragen auf die Welt der Politik offenbart sie, dass unsere Sanktionspolitik seit dem Ende des Kalten Krieges die Logik der Disziplinargesellschaft in die Außenpolitik trägt.
Und damit den Urgedanken der Herrschaft. - „Du musst dein Leben ändern". Wo das zur Außenpolitik wird, bricht der Dialog zusammen.
Wir wollen bekehren statt "Differenz" anzuerkennen
Nun hat es der Westen durchaus schwer. Er hat sich Maßstäbe gesetzt, die anderen Regimen völlig egal sind. Die spotten: Rechte der Einzelnen, was soll das sein? Bei uns zählen die noch. Und um unsere Ordnung, in der sie zählen, zu erhalten, müssen wir uns natürlich zur Wehr setzen, wenn wir angegriffen werden. Wir machen aber mehr. Wir wollen alle zu unserer Ordnung bekehren, statt das, was Jean-Francois Lyotard „Differenz" genannt hat, anzuerkennen.
Haben wir nicht außer Philosophen wie Michel Foucault und Gilles Deleuze und ihrer Kritik der Disziplinargesellschaft auch Psychoanalytiker wie etwa Donald Winnicott hervorgebracht, der – auch wenn er nur über zu erziehende Kleinkinder nachdachte – einmal gesagt hat: „Wenn wir die völlige Kontrolle über den anderen beanspruchen, wenn wir seine Identität und seinen Willen zerstören, dann gibt es niemanden mehr, der uns anerkennen könnte. Dann ist niemand mehr da, den wir begehren könnten. (...) Nur durch das Überleben des Anderen gelangt das Subjekt über die Sphäre von Unterwerfung und Vergeltung hinaus in die Sphäre gegenseitiger Achtung."
Wo das nicht geschieht, da kommt es zu unabschließbaren Kontrollprozessen. Die Regierungen unserer Schurkenstaaten, die wir kaputt sanktioniert haben, zeigen es glanzvoll: Sie sollen ihr Staatsvolk vertreten, nicht sich unterwerfen oder erziehen lassen. In verzweifelter Abwehr ihrer von außen verhängten infantilen Hilflosigkeit unterwerfen sie alle „inneren Feinde", da sie den äußeren nicht besiegen können.
Ähnliche Tendenzen sehen wir bei radikalislamischen Staaten und Verbänden. Wir mögen in vielen einzelnen Fällen gute Gründe für eine strikte Politik haben: Menschenrechtsverletzungen, Drohungen gegen andere Staaten usw. Aber die Asymmetrie der Konflikte zwischen dem allmächtigen Weltenerzieher und seinen gemaßregelten Zöglingen hat mittlerweile längst bei uns selbst eine infantile Seite der Kontroll- und Maßregelungspolitik an den Tag gebracht. Wir müssen unser Leben ändern.