Kommentar nach 100 Tagen Trump

Der schleichende Beginn eines totalitären Regimes

04:49 Minuten
Inmitten von Demonstranten, die am Foley Square in New York gegen die Politik von Donald Trump in Bezug auf Zölle, Arbeitnehmerrechte und Bürgerrechte protestieren, ist ein Gemälde oder Kunstwerk mit den Figuren von Elon Musk und Trump zu sehen.
Nach 100 Tagen Amtszeit gehen Menschen in New York am 1. Mai gegen US-Präsident Donald Trump auf die Straße: Sie protestieren unter anderem gegen Zölle. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Brian Branch Price
Gedanken von Harald Welzer |
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Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus sorgt Donald Trump mit Dekreten weltweit für Aufsehen und Irritation. Was wie Chaos wirkt, folgt einer Strategie: Der US-Präsident zwingt die Welt in den Krisenmodus – und seine Kritiker zur Unterwerfung.
Seit etwas mehr als 100 Tagen ist Donald Trump wieder amerikanischer Präsident, und in dieser Zeit hat er hunderte Dekrete, Anordnungen und Maßnahmen ins Land und in die Welt geschickt.
Schon nur die Spektakulärsten davon aufzuzählen, fällt schwer: die Deportation von Gefangenen nach El Salvador, die Entlassung tausender Staatsdiener, die Schließung von Organisationen wie USAID, die Austritte aus dem internationalen Klimaabkommen wie aus der Weltgesundheitsorganisation, die Annexionswünsche in Sachen Grönland oder Kanada.
Dazu die abenteuerlich scheinende Wirtschaftspolitik, die mit der Verhängung und Rücknahme von Zöllen die globalen Investoren nervös macht. Das alles scheint teilweise absurd inkonsequent, chaotisch und, wie in Kommentaren immer wieder gesagt wird, irre, verrückt, wirr und irrational. Aber ist das so?

Strategisch geplantes Chaos

Einen Effekt jedenfalls erzielen Trump und seine Gefolgsleute schon mal ganz eindeutig: nämlich die ganze Welt in einen Modus des Reagierens zu bringen. Alle starren auf die jeweils allerneueste Maßnahme und alle sind okkupiert von der Frage, wie man damit am besten umgehen soll. Dabei warten sie mit eingezogenem Kopf schon auf das, was wohl als Nächstes kommen mag, und die Zugzwänge – man denke nur an die extrem kostspielige Aufrüstung Europas – sind gewaltig.
Strategisch ist das schon mal eine beeindruckende Leistung – so vielen internationalen Politikerinnen und Politikern und allen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Zeit und den Horizont des Handelns zu diktieren, ihnen kaum Luft zum Atemholen zu lassen.
Ein weiterer Aspekt dieser unaufhörlichen Kaskade von Aktionen ist es, der Trump-Regierung den Charakter einer Bewegung zu verleihen – kein Tag vergeht ohne Neuigkeiten, ohne Angriffe auf scheinbare Gegner, ohne selbst erklärte Erfolge.
Alle totalitären Regime der Geschichte inszenierten besonders zu Anfang ihrer Herrschaft dieses Bild von höchster Dynamik und politischer Bewegung – um ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner zu beeindrucken und in die Defensive zu zwingen, aber auch um große Teile der Gesellschaft in diese Bewegung hineinzuziehen.
Denn der psychologische Druck, der etwa in den Universitäten auf all jene ausgeübt wird, denen Forschungsgelder gestrichen, Institute geschlossen und internationales Wirken blockiert wird, die ihre Jobs verlieren oder ihre Qualifikation nicht abschließen können – dieser Druck übersetzt sich für die, die noch nicht betroffen sind, in Anpassung und Gehorsam.

Wegschauen ist einfacher

Und wir wissen es besonders aus der deutschen Geschichte: Es fühlt sich psychologisch viel angenehmer an, die Haltung und Meinung der Mächtigen zu übernehmen, als sich von ihnen gezwungen und unterdrückt zu fühlen. So wirkt die Maßnahmenkaskade nicht nur bedrohlich, sondern auch als Einladung zum Mitmachen.
So erklärt sich auch der bislang fast vollständig ausbleibende Protest, der heute viel schwächer ausfällt als zu Beginn von Trumps erster Amtszeit. Wer kann, duckt sich weg und schaut, dass er selbst mit heiler Haut und sicherem Job davonkommt. Wer es sich leisten kann, wandert aus. Wer nicht, passt sich an. Oder findet, nicht zu vergessen, super, was da vorgeht: Immerhin haben mehr als die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner gewählt, was da jetzt geschieht.

Radikale Entdemokratisierung

Sozialpsychologisch betrachtet ist es also alles andere als irre oder wirr, was das Trump-Regime da macht. Was von außen als verrückt erscheint, ist eine Machttechnik, die funktioniert – nach innen wie nach außen.
Schließlich geht es Trump und seinen libertären Gefolgsleuten um eine radikale Entstaatlichung und Entdemokratisierung: Dazu gehört die Schwächung und Schließung von Institutionen, Behörden und die Verletzung des Rechts. In Summe sehen wir also nach 100 Tagen die Durchführung eines Programms, das höchst erfolgreich sein könnte.
Dieses Regime macht den Staat zum Instrument seiner Interessen. Für uns sieht das seltsam aus, es ist es aber leider nicht – es ist brandgefährlich.

Der Soziologe Harald Welzer (* 1958) ist Honorarprofessor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg sowie Mitbegründer und Direktor der Stiftung "Futurzwei". Mit Diana Kinnert sendet er auf PHOENIX den wöchentlichen Podcast "Denken mit Kinnert und Welzer".

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