Kolumne: Dramatischer Betriebsausflug

Ab nach draußen!

Eine junge Frau praktiziert Hatha-Yoga und zeigt den Schulterstand (Sarvangasana, auch Kerze genannt).
Das Gute an Yoga: Man kann es auch draußen machen! © imago / Imagebroker
Von Laura Naumann · 05.05.2018
Unsere Kolumnistin hat endlich ein Hobby: Yoga. Nicht originell. Aber dafür man kann im Sommer auch im Park, an der frischen Luft den Kranich oder die Krähe machen. Das sieht für Außenstehende etwas merkwürdig aus - aber Hauptsache: draußen sein.
Seitdem der Sommer ausgebrochen ist, findet meine Yoga-Klasse immer draußen statt. Und draußen ist in diesem Fall keine fancy rooftop-Terrasse, sondern draußen, das bedeutet: im öffentlichen Raum. Da, wo auch andere Leute sind. Leute, die nicht unbedingt da sind, um auch Yoga zu machen. In Berlin haben wir ja, neben zahlreichen Parks und Wäldern, das Tempelhofer Feld, als eine Art kollektiven Garten für die Bürgerinnen und Bürger und Besucherinnen und Besucher der Stadt. Wo früher ein Flughafen war, kriegen heute richtig viele Menschen und Tiere Auslauf: Sie spazieren und joggen, ziehen auf Inline Skates und Rennrädern Bahnen, vorbei an Hundewiesen, Grillwiesen, Vogelschutzwiesen und Sportplätzen und der Container-Siedlung, in der Geflüchtete wohnen.

Yoga – bisschen einfallslos, aber wen stört's?

Auf den ehemaligen Rollfeldern wird gewindskated und gelongboarded und gestreetkitet, während andere Menschen Kinderwagen schieben und in kleinen selbstgebastelten Gemeinschaftsgärten Karotten anbauen. Hipster grillen neben Großfamilien, Feldlerchen brüten, Drachen steigen, Selfies werden gemacht. Und in dieser Art öffentlichem Raum geh‘ ich jetzt zum Yoga.
Leute, die diese Kolumne verfolgen, wissen: Ich habe lange ein Hobby gesucht. Jetzt hab' ich eins. Es heißt Yoga. Bisschen einfallslos, aber who cares. Umso aufregender jetzt eben das mit dem öffentlichen Raum. Letztes Jahr saß ich noch gern mit Freundinnen und Freunden und Bier im Park und habe Witze gemacht über Leute, die sich ernsthaft in einem Kreis angeordnet auf einer Wiese einfinden, die von allen Seiten einsehbar ist, um dort den Kranich zu üben. Und sich dabei zu entspannen. Aber letztes Jahr fand ich auch noch diese Nasenpiercings zum Anstecken peinlich.
Zwei junge Frauen und ihr Trainer machen am 22.02.2015 im Stadtpark Hain in Bamberg ein Workout in der Sonne.
Workout in der Sonne.© picture alliance / dpa / David Ebener

Man sitzt nebeneinander und tindert und küsst

Dieses Jahr ist alles anders. Dieses Jahr würde ich gern zum Jahr des öffentlichen Raums erklären, wenn ich darf. Denn ich glaube, es liegt etwas unglaublich Gutes darin, wenn Leute, die sich sonst nie treffen würden, ihre Körper nach draußen in einen Raum tragen, den alle gleichermaßen betreten dürfen ohne Eintritt zu bezahlen, und dort Dinge tun, die sie sonst unbeobachtet im Privaten tun würden. Alle sind da. Alle haben Körper. Alle Körper sehen unterschiedlich aus. Alle sprechen in unterschiedlichen Lautstärken und Tonlagen und Sprachen und haben unterschiedliche Vorlieben - für Aktivitäten, Kleidung oder ihre Begleitung. Und alle haben scheinbar Lust auf Freizeit.
Allein das zu sehen, macht mir Freude, in einer Welt, in der immer alle von der Arbeit kommen oder zur Arbeit müssen oder keine Arbeit haben oder zu viel Arbeit machen oder über nichts anderes reden können als die Arbeit. Aber jetzt scheint die Sonne und Leute sitzen nebeneinander und lesen Bücher, liegen auf Decken und tindern oder küssen sich. Kinder üben Laufen und fallen ins Gras, vereinzelte Männer machen Tai-Chi, ein Typ mit Diabolo-Sticks brüllt einer Gruppe von Menschen, wahrscheinlich seiner Familie, "Ihr sollt mir zugucken!" zu. Aber sie gucken nicht .

Leute, die den Kranich machen, sehen bescheuert aus

Unterschiedlichste Tunes aus unterschiedlich farbigen Boomboxen vermischen sich mit Vogelgezwitscher und Wind und Echos von Leuten, die sich darüber unterhalten, was sie später kochen wollen, oder wie scheiße sich Brudi wieder benommen hat, oder bei welcher Filiale man eigentlich abheben kann, wenn man zur GLS-Bank wechselt, und bilden den Soundtrack zu unseren Sonnengrüßen, in den ich mich reinentspanne.
Ein Liebespaar genießt bei Temperaturen um 22 Grad Celsius im Lustgarten in Berlin die warmen Strahlen der Frühlingssonne.
Man kann Sonne, Park und Wiese natürlich auch ohne Sport genießen.© dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Später im Rad seh‘ ich über Kopf Jugendliche eine Choreo tanzen und zwei ältere Ladies einen Paartanz üben. Manchmal kommt jemand und fragt nach Leergut, oder ob wir Bock auf Federball haben oder ob wir der Selbstverteidigungskurs sind. Und klar, ein paar Leute laufen auch vorbei und machen Witze über die Kraniche, wie ich letztes Jahr. Warum auch nicht - sieht ja auch wirklich bescheuert aus. Aber who cares? Irgendwie auch beruhigend, zu merken, dass andere Leute ebenfalls bescheuert aussehen, wenn sie versuchen, auf ihren Händen zu stehen und dabei umkippen. Oder sich gern über andere lustig machen.

Man kann auch draußen im Netz surfen

Ich bin in einer Siedlung aufgewachsen. Mit Hecken und Zäunen und Rolläden – Hauptsache, die Nachbarn können einem nicht auf den Teller glotzen, wenn man in der Hollywood-Schaukel sitzt. Ich hab nie so richtig verstanden, was so schlimm daran ist, wenn die Nachbarn sehen, was es zum Abendbrot gibt. Ist es nicht viel schlimmer, dass wir meistens nie sehen, was es bei anderen zum Abendbrot gibt? Und ob die auch so pedantisch mit dem Abwasch sind? Und ob die an den gleichen Stellen bei der Tagesschau fluchen? Sondern, dass wir in unseren Kleinfamilien zuhause vorm Fernseher hocken, wo wir uns schön einig sind und denken, wie's bei uns ist, so muss es sein. Und wenn dann mal Besuch kommt, und der den Nudelsalat ganz anders macht, ist das schon eine scheinbar unüberbrückbare Differenz?

Vielleicht kommt man sogar ins Gespräch

Deswegen: Ab nach draußen! Man kann dort auch im Internet sein. Die meisten Dinge, die man dringend braucht, passen in einen Rucksack und eine Toilette findet man auch überall, wenn man nett fragt. Zeit verbringen im öffentlichen Raum mit anderen, die auch Zeit verbringen. Und wenn man sich dann langweilt oder überraschenderweise richtig gut drauf ist, kommt man vielleicht sogar ins Gespräch, und findet raus, wie's Leuten so geht, die man sonst nie getroffen hätte, weil sie einen anderen Arbeitsweg haben oder nicht im Theater arbeiten. Meine geheime Theorie ist ja: Einfach alle sehen bescheuert aus, wenn sie versuchen, auf ihren Händen zu stehen und alle haben Angst, ausgelacht zu werden.
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