Kolonialzeit und Restitution

Tausende Gebeine in Berliner Museen

07:49 Minuten
Ein menschlicher Totenschädel, auf dessen Stirn die Ziffernfolge 5.4539 aufgetragen ist, liegt, von einem Glaskasten geschützt, auf einem Podest mit weißem Tischtuch.
Erbe der Kolonialzeit: Über 100 Jahre nach dem Genozid in Deutsch-Südwestafrika wurden Schädel der Opfer im August 2018 in einem Berliner Festakt an Namibia zurückgegeben. © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Isabelle Reimann im Gespräch mit Britta Bürger · 06.03.2022
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Knapp 6000 menschliche Überreste in Berliner Museen dokumentiert die Ethnologin Isabelle Reimann in einer aktuellen Studie. Viele davon seien während der Kolonialzeit geraubt worden. Ihre Erforschung und die Debatte um Rückgabe steht erst am Anfang.
Der Umgang mit dem kolonialen Erbe beschäftigt europäische und deutsche Museen. Neben Kunstgegenständen geht es dabei auch um sterbliche Überreste von Menschen aus den ehemaligen Kolonialgebieten.
Im Bestand verschiedener Berliner Museen hat die Ethnologin Isabelle Reimann von der Berliner Humboldt-Universität 5958 Schädel, Gebeine und weitere menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten ermittelt. Zahlreiche weitere habe sie im Rahmen ihres wissenschaftlichen Gutachtens noch gar nicht erfassen können, so Reimann.

Schädel, Knochen, Kehlkopf-Präparate

Viele der Objekte hätten ursprünglich in sogenannten "rassenanthropologischen Sammlungen" dazu gedient, "die menschliche Diversität zu beforschen" und anhand der beobachteten Unterschiede eine angebliche Hierarchie unterschiedlicher Menschentypen zu demonstrieren, erklärt die Ethnologin.
Inzwischen seien die meisten von ihnen im Depot des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eingelagert. Fündig wurde Reimann aber auch in zoologischen Sammlungen, an Kunsthochschulen und im Berliner Lautarchiv, zu dessen Bestand auch Kehlkopf-Präparate zählen.
Zahlreiche Sammlungsstücke seien in einem "Zeitraum der kolonialen Gewalt" in die Museen gelangt: "Viele Überreste wurden im Zuge von militärischen Aktionen geraubt", sagt Reimann. Dazu gehörten etwa Schädel von Hingerichteten, die "als Trophäen" aus den Kolonialgebieten mitgebracht worden seien.
Zudem hätten Wissenschaftler eigenhändig Tote aus Gräbern ausgehoben. Oft sei dies nachts geschehen, sagt Reimann, da den Beteiligten offenbar "sehr wohl bewusst war, dass es gegen die ethischen Vorstellungen vor Ort verstößt".

Mir ist keine Situation bekannt, wo diese menschlichen Überreste der Vorfahren wirklich unter einer informierten freiwilligen Zustimmung an die Sammlungen abgegeben worden sind.

Isabelle Reimann, Ethnologin

Die Herkunft der Sammlungsstücke zu klären, sei aufwendig, so Reimann. Auf den Schädeln selbst verzeichnete Inventarnummern lieferten Hinweise. Hinzu kämen schriftliche Dokumentationen und Publikationen in den Archiven. Auch in den Herkunftsländern der Gebeine und anderen Überreste sei durchaus bekannt, wo und wann zum Beispiel Grabschändungen stattgefunden hätten.

Nicht ohne Mitsprache der Nachfahren

Bei ihrer Recherche war Reimann auf die Auskunft der zwölf befragten Institutionen angewiesen. Voller Zugang zu den Dokumenten sei ihr nicht gewährt worden, erklärt sie. Auch hätten die Einrichtungen sich vorbehalten, selbst zu entschieden, was sie jeweils unter "kolonialem Kontext" verstehen. Nach der Veröffentlichung des Gutachtens hoffe sie, dass die Bestandsaufnahme fortgesetzt werde.
Vor allem hätte sie sich von Anfang an ein Beratungsgremium gewünscht, in dem auch Menschen vertreten sein sollten, "deren Vorfahren in diesen Sammlungen liegen". Das wäre ein wichtiger erster Schritt, sagt Reimann, um grundlegende Entscheidungen gemeinsam zu treffen.
(fka)

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