Kolonialismus und Flucht

Von Dirk Fuhrig |
Landschaften und Menschen spielen in den Werken von Jürgen Eisenacher eine große Rolle. Der 44-Jährige setzt dabei auch die mittlerweile so alltäglich gewordenen Flüchtlingskatastrophen in seinen Bildern und Zeichnungen mit der kolonialen Vergangenheit in Bezug. Nun sind Teile aus seinem "Afrika"-Zyklus in der "Galerie Lörcher" in Berlin-Schöneberg zu sehen.
Jürgen Eisenachers Werke sind gut versteckt. Zumindest gut verstaut.

"Ich habe zwei Wände eingebaut. Hinter diesen Wänden befinden sich die Regale für meine Bilder, auch für die großformatigen Bilder ..."

Sein Atelier hat er seit kurzem im beschaulichen Berlin-Rixdorf – beileibe nicht das, was man sich unter Berliner Künstler-Milieu vorstellt. Von seinem Fenster aus blickt Jürgen Eisenacher auf eine pittoreske Barock-Kapelle - eher kleinstädtisch und kleinbürgerlich wirkt die Gegend.

Dafür kann man in dem Viertel günstig große Räume mieten. Die braucht der 44 Jahre alte, schlanke Maler mit dem Dreitagebart. Denn viele seiner Arbeiten sind - ganz schön groß. 1,50 auf 2 Meter.

Oft sind seine Zeichnungen und Ölbilder so ausladend, dass er sie mit weit ausgebreiteten Armen gerade so durch den Raum tragen kann.

""Es ist der körperliche Einsatz, dass man wirklich mit dem ganzen Körper vor der Leinwand steht und dort agiert. Ich bin permanent in Bewegung, ich glaube, ich laufe täglich zwei Kilometer, weil ich ständig auf und ab laufe, vor und zurück."

Beim Herumlaufen – und beim Malen natürlich - hört der in Frankfurt am Main geborene Künstler fast immer Musik: Johann Sebastian Bach, Eric Satie, John Cage.

Jürgen Eisenacher holt eines seiner für ihn wichtigsten Bilder hinter der Wand hervor, trägt es durch das Atelier, hängt es an zwei Nägel. Eine Bleistiftzeichnung: Drei Menschen, offensichtlich aus Afrika, ängstlich zusammengedrängt in einem Schlauchboot auf hoher See. Angst und Verzweiflung stehen den Menschen ins Gesicht geschrieben, das Meer scheint sie jeden Moment verschlucken zu wollen.

"Diese ganze Beschäftigung mit Afrika fing an, als ich zu einer Ausstellung im Frankfurter Kunstverein eingeladen war über die UNO und ich n der FAZ auf ein Foto gestoßen bin über Migranten, die gerade von Afrika nach Europa kommen und an der Küste aufgegriffen werden. Das war die Initialzündung.

Dann habe ich versucht, die Geschichte von rückwärts aufzurollen.. Dann kommt man nicht daran vorbei, über Kolonialpolitik nachzudenken, über Rassismus, über Sklaverei. Und von daher umfasst meine Arbeit die letzten 500 Jahre europäische Geschichte und afrikanische Geschichte und die Verbindungen, die es da gibt."

"Afrikaner im Boot" heißt eine ganze Serie von Arbeiten, in denen sich Jürgen Eisenacher mit Menschen in Entwicklungsländern beschäftigt. Sklaven in Ketten, ein "Händler" mit wallender Allonge-Perücke, in der lauter kleine Köpfe von Afrikanern zu stecken scheinen – der Künstler illustriert nicht die Aktualität, sondern lässt die Flüchtlingsproblematik unserer Tage in Motiven aus der Geschichte des Kolonialismus aufscheinen.

In mehreren Schubladen hat Jürgen Eisenacher eine ganze Sammlung von Fotos und Postkarten zusammen getragen, die aus einer Zeit stammen, als man Menschen aus Afrika in Europa wie Tiere im Zoo präsentierte.

"... also hier sind die Arbeiten, die African Nudes ..."

"Es geht in meinen Arbeiten tatsächlich immer um den fremden Blick von hier nach Afrika., Das ist ein sehr subjektiver Blick, ein westlicher Blick ..."

Gelernt zu malen hat er zu einer Zeit, als das als hoffnungslos altmodisch verschrien war. Anfang der 90er-Jahre machte man Videokunst oder baute Installationen. Aber Jürgen Eisenacher wollte immer nur das: malen

Dass er sein malerisches Handwerk perfekt beherrscht, ist unverkennbar. Seine Bilder sind äußerst ungewöhnlich. Weil sie so offen politisch, so untergründig bedrohlich und doch so poetisch sind.

Einsamkeit, Verlassenheit – bei seinen Ölarbeiten ist auch farblich die Grundstimmung eher gedämpft: Grün- und Brauntöne, dunkles Gelb. Aber: Die Düsternis bricht er, indem er Elemente von Komik, Karikatur oder Verfremdung einführt.

"Ein wesentliches Problem bei der Beschäftigung mit diesem Thema ist, dass ich es vermeiden wollte, Betroffenheitskunst zu machen ... Ich habe versucht, mit den Stereotypen zu arbeiten ... die man auch in Comics sieht bis heute in der Werbung, und ich arbeite mit dem Stereotyp des Schwarzen mit den großen Augen und den dicken Lippen, dieser Verunglimpfung."

Eine Auswahl von Jürgen Eisenachers Afrika-Bildern ist jetzt in der neu gegründeten "Galerie Gilla Lörcher" zu sehen. Die Galeristin hat Jürgen Eisenacher erst vor wenigen Wochen kennen gelernt, ihn in seinem Rixdorfer Atelier besucht – und war sofort begeistert. Die Ausstellung ist Jürgen Eisenachers erste größere Einzel-Präsentation in Berlin.

Seit fünf Jahren lebt der Maler jetzt in der Hauptstadt – wo er zwei Nächte pro Woche hinter dem Tresen des "Luxus" steht. er ist Miteigentümer dieser Bar im Stadtteil Prenzlauer Berg. Zum einen verdient er dort einen Teil seines Geldes – zum anderen hat sich die Bar in den vergangenen Jahren zu einem auch ihn selbst inspirierenden Treffpunkt für Künstler entwickelt.

Zum Malen braucht er allerdings Ruhe. Da ist das bodenständige Rixdorf genau die richtige Umgebung. Meint Jürgen Eisenacher und verstaut seine großen Formate wieder hinter der Wand.