Kollektives Vergessen der Katastrophen

26.08.2010
John Kenneth Galbraith zeigt in einer 400 Jahre umgreifenden Darstellung, wie die massenpsychologischen Mechanismen der Spekulation funktionieren und warum auf jede Euphorie zwangsläufig ein Absturz folgt.
Wer dieses dünne Büchlein gelesen hat, durchschaut die wahren Gründe für die jüngste Finanzkrise. John Kenneth Galbraith schreibt zwar kein einziges Wort über den letzten großen Absturz der Wirtschaft im Jahr 2008. Wie auch: Er starb 2006. Sein Essay über die großen Spekulationseuphorien der vergangenen 400 Jahre erschien in deutscher Übersetzung erstmals im Jahr 1992. Doch schildert der Harvard-Ökonom darin in einer solchen Klarheit das sich wiederholende Grundmuster spekulativer Übertreibungen, dass sich selbst dem unbedarften Leser Parallelen zur letzten großen Krise aufdrängen.

Galbraith geht davon aus, dass Menschen im Allgemeinen lernfähig sind. Auf einem Gebiet erweisen sie sich jedoch als Totalversager: auf finanziellem. Wenn es ums Geld geht, wollen sie ihre Lektionen einfach nicht lernen. Stets aufs Neue träumen sie von Reichtum, den sie sich zusammen spekulieren. Einige schaffen es sogar, wenn sie rechtzeitig vor dem Ende der Euphorie aussteigen. Für viele endet der Traum jedoch im finanziellen Ruin, weil sie die Risiken ignorierten. "Es gibt nur wenige Bereiche menschlichen Handelns, in denen die Geschichte so wenig zählt wie in der Welt des Geldes", schreibt Galbraith. Und dann arbeitet er heraus, warum das so ist.

Das kollektive Gedächtnis reiche bestenfalls 20 Jahre zurück. Dann betrete eine neue Generation die Bühne, alle vorherigen Katastrophen seien vergessen. Galbraith spaziert durch die Wirtschaftsgeschichte und beschreibt mit einem großen Reichtum an Details die Phasen wüster Spekulation von der Tulpenmanie der Jahre 1636/37 über den Südsee-Schwindel im frühen 18. Jahrhundert bis hin zu den Aktiencrashs der Jahre 1929 und 1987.

Während professionelle Anleger und kleine Sparer in Phasen der Euphorie daran glauben, es gebe eine finanzielle Innovation, die hohe Gewinne garantiert, tut Galbraith dies nicht. Er ist überzeugt, dass es in der Welt des Geldes keine wahren Neuerungen gibt. Bei allen vermeintlichen Neuheiten handele es sich letztlich nur um die Wiederauflage der einen oder anderen Form von Verschuldung. Damit hat er Recht. In der aktuellen Finanzkrise waren es so genannte strukturierte Wertpapiere, die in den Jahren zuvor als vermeintliche Innovation gefeiert wurden. Die Beteiligten waren von der fixen Idee beseelt, diese Mischung aus werthaltigen und faulen verbrieften Immobilienkrediten sei tatsächlich etwas Neues, mit dem sich prima Geld verdienen lasse. Doch auch in einer neuen Verpackung bleibt ein fauler Kredit wertlos. Wer sich vom Schein trügen ließ, konnte viel Geld verlieren.

Ein Büchlein, ebenso süffisant wie aufregend, weitsichtig und witzig. Es sollte jeder Generation aufs Neue zur Anschauung vorgelegt werden.

Besprochen von Uli Müller

John Kenneth Galbraith: Eine kurze Geschichte der Spekulation
Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Rhiel
Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2010
128 Seiten, 14,95 Euro
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