Kollektiv "Las Tesis"

Kampf gegen Vergewaltiger findet weltweites Echo

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Der chilenische Protest gegen sexuelle Gewalt findet weltweit Nachahmer, wie hier in Köln.
Der chilenische Protest gegen sexualisierte Gewalt findet weltweit Nachahmerinnen, wie hier in Köln. © picture-alliance/NurPhoto/Ying Tang
Von Sophia Boddenberg  · 03.02.2020
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Die chilenische Performance des Kollektivs "Las Tesis" gegen sexualisierte Gewalt hat weltweit Aufmerksamkeit gefunden. Die mitwirkenden Frauen sind von ihrem Erfolg überrascht und setzen ihren Kampf gegen Straflosigkeit fort.
"Es war nicht meine Schuld, egal wo ich war, egal wie ich angezogen war. Der Vergewaltiger bist du!", rufen tausende Frauen in Santiago de Chile und zeigen mit verbundenen Augen und ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf einen imaginären Täter. Die Performance "Un Violador en tu camino" (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) hat sich in den letzten Monaten von Chile aus in der ganzen Welt ausgebreitet. Indigene Frauen in den Anden protestieren mit diesem Tanz gegen Gewalt genauso wie Studentinnen in Berlin.
Bei jedem Wort gehen die Frauen in die Knie und nehmen die Hände hinter den Kopf. In Chile ein Symbol für Polizeigewalt. "Dieser Teil ist daran angelehnt, dass die Frauen auf der Polizeiwache gezwungen werden, sich auszuziehen und Kniebeugen zu machen, um zu zeigen, dass sie nichts in der Scheide verstecken", sagt Francisca Echeverría. "Im letzten Teil wird die Hymne der Polizei zitiert: ‚Schlafe ruhig, unschuldiges Mädchen’. Das ist Ironie, sagt aber auch, ihr beschützt uns nicht, ihr seid Vergewaltiger, der Staat ist ein Vergewaltiger."

Feministische Theorie und Praxis

Die 29-Jährige nimmt mit ihren Freundinnen an der Performance teil und wundert sich nicht über die internationale Resonanz. "Die Machtstrukturen sind überall die gleichen", meint ihre Freundin Ignacia Navarrete. "Das vereint uns Frauen auf der ganzen Welt."
Die Initiatorinnen der Performance sind schon etwas überrascht von ihrem Erfolg. Dafne Valdés, Paula Cometa, Sibila Sotomayor und Lea Cáceres, alle Anfang 30, arbeiten seit April 2018 zusammen im Kollektiv "Las Tesis" und leben in der chilenischen Hafenstadt Valparaíso. Dort haben sie die Performance am 20. November 2019 mit etwa 40 Frauen zum ersten Mal aufgeführt. "Das Kollektiv ist aus der Motivation entstanden, feministische Theorie durch visuelle und performative Formate in die Praxis zu übertragen", sagt Paula Cometa. Sie ist Designerin und studiert gerade Geschichte auf Lehramt. Valdés und Sotomayor haben Schauspiel studiert und Cáceres ist Kostümdesignerin.
"Un Violador En Tu Camino" war ursprünglich Teil eines längeren Theaterstücks, das eigentlich im Oktober Premiere haben sollte. Grundlage ist eine längere Recherche über Vergewaltigung und Straffreiheit von Sexualstraftätern. Mit dem Theaterstück und der Performance wollen sie das Bild des Vergewaltigers als "ferngesteuertem Triebtäter" entzaubern, ihn in die Verantwortung nehmen und den Fokus auf die Opfer von Gewalt und Unterdrückung richten. Die italienische Feministin Silvia Federici und die argentinische Anthropologin Rita Segato haben die vier Frauen inspiriert.
"Segato kommt zu dem Schluss, dass ein Vergewaltiger aufgrund einer sozialen Struktur vergewaltigt", sagt Cometa. "So wird die Figur des Vergewaltigers als ein Subjekt, das seine sexuelle Lust befriedigen will, entmystifiziert. Die Vergewaltigung ist eine Strafe für das Opfer, das nicht der Norm entspricht. Das kann eine Frau sein, die einen Minirock trägt, aber auch ein homosexueller Mann, der aus der Norm fällt, und missbraucht wird."

Kampf gegen Straflosigkeit

Die Straflosigkeit der Sexualstraftäter in vielen Ländern der Welt, auch in Chile, empört die Frauen. Mit der Tanzperformance, die auf keiner der fast täglichen Demonstrationen in Chile fehlt, üben die Frauen beständigen Druck auf die Regierung aus, diesen eklatanten Missstand zu beseitigen. Die feministische Bewegung ist in den letzten Jahren in Chile immer stärker geworden.
Bei den Protesten gegen das neoliberale Wirtschaftssystem und die Regierung von Präsident Sebastián Piñera, die seit dem 18. Oktober das Land erfasst haben und immer noch anhalten, spielten Feministinnen von Anfang an eine wichtige Rolle. Dazu Cometa: "Dass die Frauen das Lied in einen Protestruf gegen die soziale Ungleichheit und die Gewalt gegen die Bevölkerung verwandeln würden, hat uns überrascht und wir finden es sehr bereichernd. Es handelt sich um eine kollektive Aktion, fernab von politischen Parteien."

Erschöpft vom Erfolg

Trotz ihrer internationalen Berühmtheit versuchen die vier Frauen ihren Alltag normal weiterzuleben. Sie erhalten seit Wochen täglich unzählige Anrufe und Presseanfragen. Sie sind deshalb auch erschöpft. Aus Argentinien wurden sie eingeladen, an einer Performance im Rahmen der Bewegung für eine Legalisierung des Abtreibungsrechts mitzuwirken. "Wir sind müde, beeindruckt und gleichzeitig zufrieden, dass unsere Arbeit so viel Anerkennung erhalten und so viele Personen erreicht hat", sagt Cometa. "Kunst ist für uns ein Mittel der Transformation und was passiert ist, hat das bestätigt. Das ist sehr erfüllend."
Im Kollektiv "Las Tesis" arbeiten sie im Moment weiter an dem Theaterstück, das in diesem Monat in Santiago und in Valparaíso zum ersten Mal aufgeführt werden soll. Sie haben es mit den Aufzeichnungen der Performance in anderen Ländern weiterentwickelt.
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