Kollapsologie

Naht das Ende der Welt, wie wir sie kennen?

08:11 Minuten
Eine post-apokalyptische Szene zeigt einen Mann und einen Hund, die in Trümmern vor dem zerstörten Eifelturm stehen.
Wird die Welt im Jahr 2030 zusammenbrechen, wie es der Vordenker der Kollapsologie prognostiziert? © imago / agefotostock
Stephanie Rohde im Gespräch mit Sigrid Brinkmann |
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Jede Generation hat ihre eigenen Katastrophen. Doch sind vermehrte Waldbrände, Dürren und Überschwemmungen Vorzeichen für den nahenden Kollaps? Mit dieser Frage beschäftigen sich Kollapsologen und ihre Kritikerinnen im Berliner Brecht-Haus.
Abholzung im Regenwald und verheerende Waldbrände, Gletscherschmelzen und Überschwemmungen, Viren, die um die Welt gehen – jeden Tag gibt es Nachrichten, die das Gefühl aufkommen lassen, ein globaler Zusammenbruch des Ökosystems und der Zivilisation, wie wir sie kennen, rücke näher.
Das Literaturforum im Brecht-Haus hat dieses Denken aufgegriffen und zur Themenwoche "Nach der Ruhe vor dem Sturm. Über Katastrophismus, Kapitalozän und Kollapsologie" Kollapsologen und ihre Kritikerinnen zu Gesprächen eingeladen. Ziel, so die Verstalter, sei es, "produktive Unruhe" zu stiften.

In die "Existenzfalle" getappt

Die Journalistin Stephanie Rohde bestätigt nach dem Auftaktgespräch am Montag, sie sei durchaus "ein bisschen unruhig geworden, weil einfach viele Annahmen infrage gestellt wurden, zum Beispiel, dass wir mit der ökologischen Wende unseren Lebensstil doch irgendwie beibehalten können."
Rohde zitiert den eingeladenen Autor Vincent Mignerot, der zur Kollapsologie forsche und die Menschheit schon in der "Existenzfalle" sehe, mit drastischen Worten: "Die Bedingungen für einen Wandel sind inzwischen vorhanden, aber es ist zu spät, die Gesellschaft umzustrukturieren."
Der per Video zugeschaltete amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen habe sich auf der Veranstaltung als Kollapsologe geoutet. Mit Bezug auf seinen vor zwei Jahren erschienenen Essay "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?", habe er gefordert, Hoffnung neu zu denken und damit aufzuhören, Zwangsoptimismus zu heucheln. "Das kann man schon als produktive Unruhe bezeichnen", sagt Rohde.
Eins schaffe die Kollapsologie auf jeden Fall, meint die Journalistin. Sie wolle Menschen motivieren und fordere sie zum Handeln auf. Der Streit um einen möglichen Kollaps sei "fruchtbar".

Spiritualität als Lösung

Vier große Kritikpunkte sieht Stephanie Rohde jedoch an der Kollapsologie: So hätten deren Berechnungen einen großen spekulativen Teil. "Was früher prophezeit wurde, das wird heute einfach prognostiziert", erklärt sie. Man könne nicht so einfach sagen, dass die Welt bis 2030 kollabieren werde, wie es Pablo Servigne tue, Vordenker der Kollapsologie.
Zweitens seien die Prognosen zu undifferenziert. So werde ein komplexer Prozess als singuläres Ereignis des Kollapses dargestellt.
Zum Dritten sei der "Erzählrahmen problematisch". So würden Möglichkeiten als Gewissheiten dargestellt.
Viertens würde dem jetzigen Augenblick durch "eine gewisse Selbstüberhöhung" zu viel Bedeutung geschenkt, und es gebe eine "Geschichtsvergessenheit". "Wenn man zurückschaut, hat jede Generation irgendwie das Gefühl, wir sind hier vor der Apokalypse", sagt Rohde. So seien die großen Themen in den 1970er- und 80er-Jahren das Waldsterben gewesen oder die atomare Auslöschung.
Außerdem würden einige Vertreter die Spiritualität als Lösung anbieten. Auch das helfe dem Image der Kollapslogoie als ernst zu nehmende Wissenschaft nicht weiter.

Was ist Kollapsologie?
Die Journalistin Stephanie Rohde sagt, bei dem Begriff denke man an die apokalyptischen Erzählungen aus der Bibel und an Science-Fiction-Filme. "Aber es ist der Versuch, Science zu machen statt Science Fiction, also Wissenschaft." Es sei aber keine klar umrissene Disziplin.

Der Vordenker, der Franzose Pablo Servigne, ist Agraringenieur, weitere Forschende kämen aus den unterschiedlichsten Bereichen wie den Geowissenschaften, der Informatik oder Epidemiologie. Sie vereine, dass sie prophezeien, die Welt werde zusammenbrechen, im Fall von Servignes Prognose noch vor dem Jahr 2030.

Der australische Philosoph Toby Ord, der im englischen Oxford forscht, ein weiterer Protagonist der Kollapsologie, stelle jedoch eine andere Risikoanalyse auf, sagt Rohde. Der prognostiziere, natürlich werde nicht alles untergehen, aber das Risiko liege bei "eins zu sechs, dass die jetzigen Systeme nach und nach zusammenbrechen und wir dann auf niedrigen Niveau leben". Er sei optimistischer und schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen auf lange Sicht überleben, auf 50 Prozent.

Es gehe demnach in der Kollapsologie nicht nur um Pessimismus, sondern auch um optimistischere Ansätze, berichtet Rohde. So habe Ord den sogenannten "Effektiven Altruismus" mitbegründet und spende zehn Prozent seines Einkommens für wohltätige Zwecke.

(sbd)
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