Kollaps im Wellness-Hotel

Von Stephan Detjen, Chefredakteur Deutschlandfunk |
Kollaps im Wellness-Hotel: bei der Klausur am brandenburgischen Schwielowsee ist die SPD-Führung heute in sich zusammengebrochen. Das war kein vorgezogener Aufbruch in den Bundestagswahlkampf, kein auch nur halbwegs geordneter Übergang an der Parteispitze.
Schock und Überraschung – mit diesen Worten beschrieb Frank-Walter Steinmeier am Nachmittag den Zustand seiner Partei nach der Rücktrittsankündigung von Kurt Beck. Die Dramatik des Tages stand dem frisch gekürten Kanzlerkandidaten ins Gesicht geschrieben: Aschfahl und mit brüchiger Stimme trat der Mann an die Öffentlichkeit, der Angela Merkel in einem Jahr aus dem Kanzleramt verdrängen soll. Die Kraft, zu demonstrieren, dass er es auch will, muss Steinmeier offenkundig erst einmal wieder sammeln.

Der Außenminister hat diese Kanzlerkandidatur nicht errungen. Sie ist ihm von der bedrückenden Lage der Dinge in der SPD aufgedrängt worden. Erkennbar bemüht wurde in den letzten Wochen ein Bild inszeniert, das suggerieren soll, dass der Außenminister auch wirklich will, was er jetzt tun muss: Machtwillen zeigen, die Partei mobilisieren und in Bierzelten schwitzen. Steinmeier weiß genau, wie das geht. Er hat es in den vielen Jahren an der Seite Gerhard Schröders erlebt. Nur hat er sich selbst stets eine andere Rolle zugeschrieben. Er war der Adjudant, nicht Lehrling. Er war Konzept und Verstand, wo Schröder Macht und Instinkt war. Steinmeier war der Mann des Apparats, Schröder der Mann der Massen - wenn nicht in der Partei, dann doch auf den Straßen und Marktplätzen.

So wenig Steinmeier die Kanzlerkandidatur erstrebte, so wenig konnte ihn die Partei dazu bewegen. Zu gegensätzlich sind die widerstrebenden Kräfte in der SPD, zu vielfältig die Stimmen, die nicht zu einer geschlossen Willenbekundung zusammenfinden.

Minuten nach der Nominierungserklärung meldeten sich heute die ersten Parteilinken zu Wort und machten deutlich, dass der politische Kurs, für den Steinmeier wie Müntefering steht, nicht der ihre ist. Am offenen Richtungsstreit der Parteiflügel kann die heutige Notbremsung nichts ändern. Nicht trotz, sondern wegen der sich abzeichnenden Nominierung Steinmeiers haben erst vor wenigen Tagen 60 prominente SPD Politiker einmal mehr die Abkehr von der Agenda-Politik verlangt, die Steinmeier entworfen und Müntefering umgesetzt hat.

Kurt Beck ist an der inneren Zerrissenheit der SPD politisch gescheitert. Die Chance, das Aushalten der innerparteilichen Krise in politische Stärke umzuwandeln, hat Beck nicht genutzt. Ihm fehlte dazu die politische und soziale Verankerung im Berliner Machtzentrum. Der Parteiapparat ist ihm fremd geblieben. Am Ende brach ihm auch noch die Basis an der Heimat weg. Nach einer Wählerumfrage vom Ende der vergangenen Woche liegt die innerlich ausgelaugte und führungsschwache CDU in Rheinland-Pfalz mittlerweile zwei Prozentpunkte vor der SPD von Ministerpräsident Beck. Für den Parteivorsitzenden muss das noch entmutigender gewesen sein als die Aussicht, im Saarland von Lafontaine und der Linkspartei überholt zu werden. Als Beck die Tagung der Parteispitze heute Mittag vorzeitig und fluchtartig verlies, stand die Frage im Raum, ob ihn die traumatischen Erfahrungen der letzten Monate auch persönlich gebrochen haben.

Franz Müntefering kann die SPD im Augenblick nur in der gemeinsamen Erinnerung an ihre große Geschichte einen. In der vergangenen Woche hat er bei seiner Rückkehr auf die politische Bühne gezeigt, dass er dabei einen Ton anzuschlagen vermag, der die SPD auch daran erinnert, dass sie noch eine Seele hat.

Die nächste Herausforderung wird für Müntefering und Steinmeier sein, das waghalsige Links-Manöver der hessischen SPD mit Fassung zu ertragen. Mehr wird den beiden kaum bleiben. Dass sie die Annäherung an die Linkspartei ablehnen, haben beide längst deutlich zu erkennen gegeben. Ebenso deutlich hat Andrea Ypsilanti demonstriert, dass sie sich aus Berlin nicht beirren lassen wird. Gelingt ihr der Coup und verdrängt sie im Schulterschluss mit der Linken Roland Koch aus dem Amt des Ministerpräsidenten, wird das den Richtungskampf in der SPD noch einmal verstärken. Müntefering und Steinmeier können ihn dann allenfalls unterdrücken – spätestens am Tag nach der Bundestagswahl muss er wieder offen ausbrechen. Das Drama der Sozialdemokratie hat heute noch längst nicht seinen Höhepunkt erreicht.