Kohlendioxid gegen Schädlinge

Mit Treibhausgas gegen den Hunger

Ein Weizenfeld wird in East Lothian in Schottland gegen die Sonne aufgenommen.
Nicht verkommen lassen: Was an Getreide verrottet, könnte die Hungernden der Welt sättigen. © imago / Westend61
Von Udo Pollmer · 16.10.2015
Das Treibhausgas Kohlendioxid hat einen schlechten Ruf. Dabei hilft der Stoff, Schädlinge zu bekämpfen - und unsere Ernährung zu sichern, sagt der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Er meint: Nur moderne Technologien helfen, den weltweiten Hunger zu bekämpfen.
Wenn der Landwirt im Herbst seine Ernte in die Scheuer fährt, nährt er damit nicht nur Menschen, sondern auch Lagerschädlinge: Mäuse, Ratten, Tauben, Motten und Käfer. Viele Lebensmittel wie Fisch oder Früchte sind zudem leicht verderblich. Experten schätzen die Nachernteverluste insgesamt auf weltweit 1,3 Milliarden Tonnen, das wäre ein Drittel der gesamten Weltproduktion.
Allein beim Getreide verrottet ein Vielfaches dessen, was nach den Angaben der FAO, der Welternährungsorganisation erforderlich wäre, um die Hungernden dieser Welt zu sättigen. Das Problem ist beileibe nicht auf Entwicklungsländer beschränkt, für Deutschland beziffert das Agrarministerium die Nachernteverluste beim Weizen auf jährlich 800.000 Tonnen. Bei Kartoffeln sind es über 500.000 Tonnen und bei Äpfeln liegen die Verluste bei 100.000 Tonnen.
Deshalb entscheiden nicht nur die Ernten darüber, ob wir alle satt werden, sondern gleichermaßen Technologien zum Schutz der Erntegüter, zur Haltbarmachung, zur Konservierung. Der Ruf nach "unbehandelter", nach "naturbelassener" Nahrung bedeutet höhere Verluste. Dank der Überproduktion durch moderne Technik können wir uns das leisten.
Kohlendioxid tötet Motten und Käfer ab
Auch die Lagertechnik wird besser. Vorbildlich ist die Nutzung von Kohlendioxid. Damit lassen sich nicht nur Bier oder Limo konservieren, sondern auch Getreide, Trockenfrüchte und Nüsse entwesen. Für die Entwesung – also die Abtötung aller Schädlinge, wie Dörrobstmotten, Kornkäfer oder Schadnager - wurden früher potente Gifte verwendet. Sehr beliebt war Phosphin – ein tödliches Gas. Dazu wurden einmal jährlich Lagerhäuser oder Mühlen rundum abgedichtet, die Fensterritzen und Türrahmen verklebt. Nach der Begasung wurde ein paar Tage gelüftet, wenn die Luft wieder rein war, konnten die Mitarbeiter die Anlagen wieder betreten. Im Produkt sind Rückstände unvermeidbar, wenn auch nur in Spuren.
Kohlendioxid löst allmählich Giftgase wie Phosphin, Methylbromid oder Blausäure ab. Das Lebensmittel kommt in eine Druckkammer, das CO2 verdrängt den Luftsauerstoff, Insekten und Nager ersticken; beim Entspannen des Drucks platzen die Zellen, sodass auch die Eier der Motten und Käfer absterben. Danach kommt das Korn in die Reinigung, die toten Insekten werden mit Käfersieben entfernt. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde Getreide, das zu laufen begann, flugs zu Müsliflocken zerquetscht, um nicht den Biostatus zu verlieren.
Für die Lebensmittelwirtschaft ist Kohlendioxid ein Glücksfall. Viele Produkte wie Brot erfordern eine Gärung. Dabei erzeugt die Hefe aus Stärke beziehungsweise Zucker auch CO2 – so kommen seit jeher die Blasen in Brötchen, Käse und Bier. Allein beim Bierbrauen entweichen pro Hektoliter 3,5 Kilogramm CO2. Bei einer jährlichen Inlandsproduktion von knapp 100 Millionen Hektolitern eine erkleckliche Menge.
Auch in Treibhäusern unverzichtbar
Mengenmäßig bedeutsamer als die flüchtige Gärungskohlensäure ist die Quellkohlensäure. Allein in der Eifel werden jährlich 40 Millionen Tonnen Kohlendioxid gefördert. Doch um den enormen Bedarf zu decken wird auch das Kohlendioxid benötigt, das in großen Mengen als Nebenprodukt chemischer Synthesen anfällt, beispielsweise bei der Herstellung von Stickstoffdünger, von Wasserstoffgas als alternativer Treibstoff oder für Getränkeflaschen aus PET.
Unverzichtbar ist CO2 in Treibhäusern. Das aber kommt nicht aus Bierkellern, der Eifel oder Chemiefabriken, sondern aus Gasbrennern. Da Pflanzen ihre Biomasse aus Kohlendioxid und Wasser aufbauen, sinkt im Treibhaus der Kohlendioxidgehalt rasant. Deshalb muss dieses Düngemittel kontinuierlich eingespeist werden. Dreht der Gemüsebauer den Gasbrenner stärker auf, steigen die Erträge. Manche Kulturen schützt der Wuchsstoff sogar vor Pilzbefall. Am meisten profitieren von den Brenner-Abgasen Tomaten, Gurken und Erdbeeren.
Das verpönte "Treibhausgas" Kohlendioxid hilft, unsere Ernährung zu sichern. Wir brauchen es zum Vorratsschutz und als Dünger. Dank des Treibhäuser-Gases CO2 ist das Angebot an frischen Tomaten und Beeren auch im Winter ziemlich appetitlich. Mahlzeit!
Literatur:
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