Kohleausstieg

CO2-Ausstoß muss deutlich teurer werden

Wasserdampfschwaden steigen aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes der Vattenfall AG in Jänschwalde. (Aufnahme von 2015)
Braunkohlekraftwerke wie dieses von Vattenfall sollen dem Klimschutz zuliebe komplett verschwinden. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Patrick Graichen im Gespräch mit Dieter Kassel · 23.11.2015
Deutschland klammert sich immer noch zu sehr an die Kohle, meint der Klima-Experte Patrick Graichen. Der Musterschüler in Sachen Energiewende werde deshalb das Zwei-Grad-Klimaziel verfehlen. Und: Der derzeitige CO2-Emissionspreis sei viel zu niedrig.
Der Klima-Experte Patrick Graichen fordert einen deutlich höheren Preis für CO2-Emissionen. Andernfalls werde sich der Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle weiter verzögern.
Im Deutschlandradio Kultur sagte der Direktor des Think Tanks Agora Energiewende, umweltfreundlichere Gaskraftwerke beispielsweise würden sich derzeit noch nicht rentieren, weil der Preis pro Tonne CO2 bei nur sieben bis acht Euro liege. "Man müsste entweder den Emissionshandel richtig reformieren, damit der Preis wieder auf die Größenordnung kommt, auf die er eigentlich kommen sollte – 40 Euro für die Tonne CO2 – oder wir brauchen eben ergänzende Maßnahmen wie einen Kohlekonsens für Deutschland."
Der Verbraucher wird die Kohle nicht vermissen
Gerade Deutschland, das sonst als beispielhaft in Sachen Energiewende gelte, erreiche deshalb nicht seine Klimaziele, weil es immer noch am umweltschädlichen Traditionsbrennstoff Kohle festhalte. Denn "Deutschland habe seinen Wohlstand nach dem 2. Weltkrieg auf der Kohle aufgebaut".
Ein Ausstieg aus der Kohle werde sich für den Verbraucher kaum bemerkbar machen, betonte Graichen, sondern nur für die Kraftwerksbetreiber. Anders sei dies, wenn auch auf andere fossile Brennstoffe wie Öl und Gas verzichtet werde – dann müsse in allen Bereichen des Lebens, vor allem im Verkehr, umgedacht werden. Doch der letzte Schritt, 100 Prozent erneuerbare Energie, solle erst bis 2050 vollzogen werden – dies sei genug Zeit, um den Verzicht realisieren zu können.
Verbindliche Treffen vereinbaren
Mit Blick auf die bevorstehende UN-Klimakonferenz in Paris sagte Graichen, es sei klar, dass die bestehenden Maßnahmen noch nicht ausreichten um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.
Wichtig sei eine verbindliche Einigung auf regelmäßige Treffen, um den Klimaschutzambitionen Nachdruck zu verleihen: "Da hoffe ich sehr, dass es auf einen fünfjährigen Zyklus hinausläuft, sodass wir uns im Jahr 2020 alle wiedersehen und noch eine Schippe drauflegen."

In unserer Sendung "Weltzeit" beleuchten wir in einer mehrteiligen Reihe seit dem 26. Oktober bis zum Klimagipfel in Paris immer montags von 18:30 bis 19 Uhr einen Aspekt des Klimawandels. Alle bisherigen Beiträge zum Thema können Sie hier nachlesen.


Lesen Sie hier das gesamte Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wenn in genau einer Woche der Weltklimagipfel in Paris beginnt, dann wollen die Staats- und Regierungschefs der beteiligten Länder von Anfang an dabei sein. Barack Obama und seine Amtskollegen aus China und Indien haben das bereits fest versprochen, Wladimir Putin und Angela Merkel werden wohl auch gleich am Montag kommen, und sie wollen alle damit demonstrieren, wie wichtig ihnen diese Veranstaltung ist und wie wichtig es ihnen ist, dabei ein konkretes Ergebnis zu erzielen. Wie wichtig das Ganze uns ist im Deutschlandradio Kultur, das zeigen wir, indem wir jetzt schon die ganze Woche davor fast täglich darüber berichten und sprechen. Wir wollen heute über eine Welt ohne Kohle reden, und zwar mit dem Mann, der einen der wichtigsten deutschen Thinktanks zum Thema Energiepolitik leitet, Agora Energiewende heißt dieses Denk- und Politiklabor, wie es sich selber nennt, und sein Direktor ist Patrick Graichen. Schönen guten Morgen, Herr Graichen!
Patrick Graichen: Guten Morgen!
Kassel: In Paris wird es unter anderem um die Abschaffung von Subventionen für Kohle und auch Gas und Erdöl gehen. Wie wichtig ist denn dieser Aspekt für den Kohleausstieg?
Graichen: Der ist in vielen Ländern sehr wichtig, weil es dort nach wie vor auch direkte Subventionen an die Kohle gibt. Bei uns ist das nicht ganz so der Fall, weil wir keine direkten Kohlesubventionen mehr geben, 2018 wird das letzte Steinkohlebergwerk geschlossen, und dann ist es bei uns mit den direkten Geldern an die Kohle vorbei.
Kassel: Nun droht aber doch Deutschland sein Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent zu verringern im Vergleich zu 1990, Deutschland droht doch dieses Ziel zu verfehlen. Welche Rolle spielt denn dabei das Festhalten an der Kohle?
Das Land des Energiewandels strauchelt
Graichen: Eine sehr große, denn Kohle ist der klimaschädlichste Energieträger, den wir im Stromsystem haben, und nach wie vor kommt mehr als 40 Prozent des Stroms, den wir produzieren, aus der Kohle, und dadurch haben wir so hohe CO2-Emissionen.
Kassel: Aber wie kann es denn kommen, dass das im Land des Energiewandels immer noch so ist?
Graichen: Das hat ein bisschen was damit zu tun, dass wir eine starke Kohletradition haben und dass uns deswegen auch der Kohleabschied schwer fällt. Nicht zuletzt würde ich mal sagen, wir haben ja unseren Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Kohle aufgebaut. Und es hat natürlich was damit zu tun, dass, weil wir im Moment den Klimaschadstoffausstoß nicht mit einer Schadstoffsteuer oder mit einem Preis im Emissionshandel ernsthaft belegen, die Kohle im Moment am Strommarkt sehr günstig dasteht.
Kassel: Ist das nicht auch ein Fehler sozusagen, was die Gesetzeslage angeht? Denn wenn wir sehen, wenn schon Energie gewonnen wird aus fossilen Brennstoffen, da sind sich alle einig, dann ist das noch am wenigsten umweltschädlich, wenn es in modernen Gaskraftwerken geschieht. Und da haben wir in Deutschland doch erst gesehen, wie eines der modernsten in Bayern wieder abgeschaltet wurde, weil es sich nicht rentiert hat. Da läuft doch wohl irgendwas falsch?
Graichen: Ja, da läuft was falsch, und zwar, weil der Emissionshandel, den wir in Europa geschaffen haben, das ja genau eigentlich ändern soll, nämlich indem er einen Preis auf CO2 setzt, soll er die CO2-ärmeren Kraftwerke bevorzugen. Aber der Preis ist so niedrig, nämlich sieben bis acht Euro die Tonne CO2, dass es eben keinen Unterschied macht. Man müsste entweder den Emissionshandel jetzt richtig reformieren, damit der Preis wieder auf die Größenordnung kommt, in die er eigentlich sollte, 40 Euro die Tonne CO2 etwa, oder wir brauchen eben ergänzende Maßnahmen wie einen Kohlekonsens für Deutschland.
Kassel: Aber das mit dem Kohlekonsens ist schwierig, Sie haben es ja schon am Rande angesprochen, Herr Graichen. Wir haben diese Kohletradition in Deutschland, und wann immer die Politik in Richtung Kohleausstieg gehen will, gibt es Proteste der Gewerkschaften und auch der Bundesländer, in denen die Kohle noch eine große Rolle spielt, was auch Arbeitsplätze angeht. Wie kann man denn da Überzeugungsarbeit leisten?
Graichen: Ich denke schon, der globale Trend ist ja klar: Es geht um einen Abschied aus der Kohle. Und die Klimawissenschaftler sagen uns ja, wenn wir das Zweigradziel, das auch in Paris wieder beschlossen werden wird, erreichen wollen, dann müssen 80 Prozent der Kohle unter der Erde bleiben. Und diese Diskussion müssen wir jetzt eben auch in Deutschland führen. Auch bei uns muss die Braunkohle zu großen Teilen unter der Erde bleiben. Aber wir können das ja auch in einem langfristigen Zeitplan gemeinsam vereinbaren, ähnlich, wie wir das beim Atomausstieg gemacht haben. Wenn man das 20, 25 Jahre im Vorfeld weiß, dann gibt das natürlich auch wieder Planungssicherheit für alle Beteiligten.
Dass Kohle keine Zukunft hat, ist keine neue Erkenntnis
Kassel: Na gut. Aber zwei Dinge dazu: Zum einen, das ist ja keine neue Erkenntnis, dass die Kohle keine Zukunft hat, das habe ich in den frühen Achtzigern schon in der Schule gelernt. Und zweitens, wenn wir das jetzt so in aller Ruhe und gemächlich machen, dann werden wir doch die Klimaschutzziele wahrscheinlich nicht erreichen?
Graichen: Es ist so, dass wir tatsächlich einen Übergangszeitraum von 20 Jahren für Deutschland durchaus annehmen können. Das ist im Einklang mit unseren Klimaschutzzielen. Aber eben nicht länger. Und im Moment planen alle Kraftwerksbetreiber mit durchaus längeren Zeiträumen, in denen sie noch die Kohle nutzen wollen.
Kassel: Wie sähe denn eine Welt ohne Kohle aus? Es kommt ja immer wieder die Frage, wenn wir ohne Kohle und vielleicht dann auch ohne Gas und Öl auskommen – was ist denn, wenn wir 100 Prozent erneuerbare Energien haben, was ist denn, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint dann?
Graichen: In einer Welt von 80 Prozent Erneuerbaren würden wir dann die Gaskraftwerke nutzen. In einer Welt von 100 Prozent Erneuerbaren brauchen wir dann viele Stromspeicher, die dann einspringen, und eben flexible Biomassekraftwerke. Die flexiblen Biomassekraftwerke können wir jetzt schon haben, bei den Stromspeichern brauchen wir noch ein bisschen Forschung. Aber diese Hundert-Prozent-Erneuerbare-Welt wollen wir ja auch erst im Jahr 2050 erreichen, und bis dahin werden wir die 30 Jahre schon noch genug nutzen, um diesen letzten Schritt von 80 auf 100 Prozent auch tatsächlich bewerkstelligen zu können.
Kassel: Wird sich dann für den Verbraucher im Alltag überhaupt was ändern? Ich meine, der Strom wird weiterhin aus der Steckdose kommen – aber darüber hinaus?
Graichen: Für den Verbraucher ändert sich, glaube ich, mehr beim Gas- und Ölausstieg, als beim Kohleausstieg. Der Kohleausstieg ist etwas, was sich bei den Kraftwerken abspielt. Aber bei Gas und Öl betrifft es unsere Art, wie wir Auto fahren, da betrifft es unsere Art, wie wir heizen. Das ist dann natürlich schon eine Änderung.
Im Jahr 2020 eine Schippe drauf legen
Kassel: Glauben Sie denn, dass bei der Klimakonferenz in Paris tatsächlich entscheidende und verbindliche Abkommen geschlossen werden, auch was den Kohleausstieg betrifft?
Graichen: Die Klimakonferenz in Paris sammelt ja letzten Endes die Beiträge der Mitgliedsstaaten ein, was sie tun wollen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Es ist jetzt schon klar, dass das noch nicht ausreichen wird, um das Zweigradziel zu erreichen, also den schädlichen Klimawandel auf unter zwei Grad zu begrenzen, und dann geht es im Kern in Paris um die Verhandlungsfrage, wann und wie oft trifft man sich denn wieder, um diese Ambition, dieses Klimaschutzniveau zu erhöhen. Und da hoffe ich sehr, dass es auf einen fünfjährigen Zyklus hinausläuft, sodass wir im Jahr 2020 uns alle wiedersehen und noch eine Schippe drauflegen.
Kassel: Herzlichen Dank! Patrick Graichen war das, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, über einen klimafreundlichen und trotzdem realistischen Ausstieg aus der Kohle und was Paris da jetzt schon tun kann oder auch nicht. Herr Graichen, danke und schönen Tag noch!
Graichen: Ihnen auch einen schönen Tag!
Kassel: Danke, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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