Kohle statt Kultur

Von Claus Stäcker |
Mapungubwe war das erste Königreich im Süden Afrikas. Heute sind die archäologischen Funde von dort Nationalschätze, die zum Weltkulturerbe gehören. Jetzt allerdings bedroht ein geplantes Kohlebergwerk einen geplanten Friedenspark. Die Anwohner wehren sich.
Routiniert stößt Johannes Maselesa die schwere Eisenlade auf, die über der Schatzkammer K 8 liegt. Ein geräumiges Erdloch, zu dem eine schmale Treppe hinunterführt.

Für Johannes Maselesa ist Mapungubwe, das heute ein Nationalpark ist und ihm einen Job als Scout beschert hat, mehr als nur Hügel vor Flusslandschaft, wilden Tieren und ein paar Ausgrabungen. Was die Archäologen "K 2" oder "K 8" nennen, ist für ihn und seinen Stamm, die Venda, ein heiliger Ort.

"Das ist die Grube, die 1933 ausgegraben worden ist. Hierüber haben wir leider keine mündlichen Überlieferungen, wir sind voll und ganz auf die Erkenntnisse der Archäologen angewiesen. Wenn sie recht haben, dann war Mapungubwe von 1220 bis 1290 besiedelt."

400 Jahre Hochkultur, 70 davon in königlicher Manier auf einem Hügel. Seit 2003 ist Mapungubwe UNESCO-Weltkulturerbe. Eine spektakuläre Landschaft im Dreiländereck zwischen Südafrika, Botswana und Simbabwe, am Zusammenfluss von Limpopo und Shashe - mit den größten Affenbrotbäumen der Region. Gesteinsformationen, als wären tausende Maurer am Werk gewesen, Fossilien und Sanddünen. Und den Big Five - Elefanten, Löwen, Nashörner, Büffel und Leoparden. Vor allem aber mit einem 30 Meter hohen Sandstein-Felsen, der die Fachwelt in Erregung versetzt: der Mapungubwe-Hügel.

Mapungubwe, der Ort, an dem der Schakal frisst - war das erste Königreich im Süden Afrikas. Der Palast - eine Hochebene mit einer Fläche von drei Fußballfeldern. Am Fuß des Berges lebte das Volk: Handwerker, Bauern, Jäger, Goldschmiede und Händler. In Mapungubwe kreuzten sich vor ungefähr 700 Jahren die wichtigen Handelswege zum Indischen Ozean und ins Landesinnere. Mapungubwe ist aber nicht nur archäologische Fundgrube - auch ein mystischer Ort, ein Regenhügel, Stätte geheimnisvoller Gebete und Zeremonien. Johannes‘ 100-jähriger Großonkel erzählte ihm, wie nachts Trommeln vom Hügel herüber hallten, obwohl kein Mensch dort war. Die Dörfler meinten, es müssten die Ahnen sein. Und wenn sie wilde Feste feiern, musste es ihnen ja gut gehen. Nur stören sollte man sie besser nicht.

"Ich hatte wirklich große Angst, dort hinauf zu gehen. Schon als Kinder wurde uns beigebracht, dass der Hügel der Platz unserer Ahnen ist und von niemandem gestört werden darf. Mein Großonkel hat mich entsetzt angesehen, als ich ihm sagte, dass ich auf dem Berg war. Weißt du nicht, dass dich das dein Leben kosten kann? Dass du verrückt oder krank werden kannst? 'Wieso?', fragte ich ihn. Und er meinte, sein Vetter Mavina Mokoena, der dem Archäologen van Graan 1933 den Weg zeigte, sei danach blind geworden. Ich bekam eine riesige Angst, als er mir diese Geschichte erzählte."

Ein paar Tonscherben im Erdloch K 8, steinumfasste Korngefäße, Perlen, Halskettenglieder, verschiedenfarbige Erdschichten, die die Besiedlung beweisen. Dann beschließt Johannes den irdischen Teil seiner Ahnentour und wagt den Schritt oder besser die 147 Schritte nach oben, auf den Mapungubwe Hill.

Vor rund 1000 Jahren begann der Aufstieg des Limpopo-Tals zur Handelszentrale und Goldbörse einer Region, die das nördliche Südafrika, Botswana, Simbabwe und das südliche Mosambik umfasst. Vor 750 Jahren erreichte sie den Höhepunkt: Elfenbein wurde gegen Gold getauscht, gegen Salz, Glas und Textilien aus dem arabischen Raum, aus Indien, China und Ostafrika.

Oben auf der Plattform lebten der Hochadel und ein paar Geistheiler, zusammen nicht mehr als 50. Zugänglich nur über eine enge, gut bewachte Felskluft. Das gemeine Volk durfte nicht hinauf. Heute kann es jeder schaffen, Holzstufen erleichtern den Aufstieg.

Oben eröffnet sich ein gigantischer Blick - hinüber zum Shashe, zum Limpopo, also auch nach Botswana und Simbabwe - eine naturgeschaffene Aussichtsplattform. Hier und da swimmingpoolgroße Aushöhlungen, Pfostenbohrungen, in Stein gehauene Minigruben. Johannes Maselesa deutet auf eine dieser Gruben:

"Hier ist die Stelle, wo die drei bedeutendsten Gräber waren. Drei königliche Leichname, sitzend oder kniend in einem Tongefäß, nach Westen blickend. Und hier in diesem Grab, entdeckten sie das Goldene Nashorn. In diesem Abschnitt wurden auch das goldene Zepter, die goldene Schüssel, tausende Glas- und Goldperlen und vieles mehr gefunden."

Jahrelang lagerten das rattengroße Goldnashorn, das Zepter, die Schüssel, all die tausenden Gold- und Glasperlen, die Keramik, das Elfenbein und die anderen Schmuckstücke in einem unzugänglichen Lagerraum der Universität Pretoria. Der Öffentlichkeit blieb die Bedeutung des ersten südafrikanischen Königreiches jahrzehntelang verschlossen. Heute sind die Funde Nationalschätze, Mapungubwe Weltkulturerbe, die größeren Zusammenhänge klar. Als Mapungubwe verlassen wurde, 1290, wohl wegen einer kleinen Eiszeit, da begann ein paar hundert Kilometer weiter der Aufstieg zweier neuer Goldreiche: Great Zimbabwe, das dem heutigen Simbabwe den Namen gab, und Thulamela im heutigen Krüger Nationalpark. In der mündlichen Überlieferung der Venda und Shona leben diese Reiche fort.

Venda leben auf beiden Seiten des Limpopo. Auch Johannes hat Verwandte jenseits der künstlichen Grenze, die einst die Kolonialmächte gezogen haben. Sie sollen nun schrittweise fallen, erst für Elefanten und Antilopen, dann für die Menschen. 2006 haben sich die drei Nachbarn auf einen grenzüberschreitenden Friedenspark geeinigt. 2009 fanden sie mit Greater Mapungubwe auch einen gemeinsamen Namen.

"Ich finde es nicht gut, dass man immer noch seinen Pass zeigen muss, unsere Vorfahren brauchten das nicht. Deswegen halte ich den Transfrontierpark für eine gute Idee, wenn die Grenzzäune fallen und die Tiere sich frei bewegen können und die Urlauber auch, wenn sie mal eben von hier nach Simbabwe wollen oder Botswana - ohne diese Passscherereien. Eine gute Idee."

Koordinator des Projekts ist Johan Verhoef von der Peace Park Foundation, die einst Nelson Mandela mitbegründet hat. Ihr Ziel sind Transfrontier-Gebiete über die alten Kolonialgrenzen hinweg, freie Bahn für Tiere wie Menschen. Die Vision für Greater Mapungubwe umfasst ein Areal, das gut acht Mal so groß ist wie der 30.000 Hektar kleine Mapungubwe-Nationalpark im Süden.

"Es muss grenzüberschreitender Tourismus stattfinden, damit es funktioniert. Es müssen Zäune fallen und an den Außengrenzen neue aufgebaut werden. Wir haben ein Elefantenproblem im Northern Tuli Park in Botswana, eine riesige Überpopulation. Also öffnen wir den Elefanten neue Lebensräume. Das ist ein Grundstein, aber wir müssen auch der Bevölkerung Perspektiven geben."

Noch ist der Grenzübertritt über die Beit-Bridge nach Simbabwe, der meist frequentierte Grenzübergang im südlichen Afrika, eher ein Albtraum. Lange Schlangen, unwillige Beamte, endloser Papierkram und Gebührennepp:

Straßennutzungsgebühr, Karbongebühr, Haftpflichtversicherung, Touristenvisa-Gebühr. Es sind die praktischen Hürden eines Friedensparks in Simbabwe: Zu dem sich alle flammend bekennen, Robert-Mugabe-Getreue genau so wie seine bittersten Feinde.

Auf simbabwischer Seite sollen kommunales Land, Jagdgebiete und weiße Landbesitzer zusammengeführt werden, politische Feinde vereint werden, Arbeitslose eine Perspektive bekommen. Auch Digbey Bristow, einer der beiden letzten weißen Farmer in dem Gebiet, macht sich große Hoffnungen: Mit Mugabes Prügeltruppe, den sogenannten Kriegsveteranen, die die Gegend verunsichern, hat er einen bizarren Separatfrieden geschlossen. Sie haben das Farmhaus besetzt, leben in Sichtweite auf seinem Land, reden mit, wenn Gäste kommen: Jäger und Hobbyfotografen aus den USA oder Südafrika.

"Ich glaube, mein Überleben habe ich dem Dialog zu verdanken. Ich bin Probleme immer direkt angegangen, ohne Angst. Auch das bedrohlichste, nämlich die Kriegsveteranen. Sie schätzen meine direkte Art. So sind wir Freunde geworden. Wie soll ich das erklären, es war eine Anpassung meinerseits, meine Überlebensstrategie. Ich war ein Mann der Vergangenheit - mit einer sogenannten 'Farm in weißem Besitz‘. Ja, ich bin aus meinem Haus geworfen worden, und ja, die Kriegsveteranen leben mit uns auf dem Grundstück. Aber ich gebe nicht auf. Ich glaube fest daran, dass sie mich genau so brauchen wie ich sie."

Bristow stellte schneller ein normgerechtes Greater-Mapungubwe-Hinweisschild auf, als es die simbabwische Regierung je hinbekommen hätte. Der Dreiländerpark ist seine Passion, sein Überlebenselixier. Ist der Status erst trilateral geregelt, so seine Kalkulation, kann sich auch keiner mehr so einfach seine Farm aneignen.

Johan Verhoef, der Koordinator des Greater Mapungubwe Parks, glaubt fest an diese Brückenbildung. Als Südafrikaner mit burischer Herkunft liegt ihm das Wohl der letzten weißen Farmer auf der simbabwischen Seite am Herzen.

"Zu den Besitzern, den früheren Farmbesitzern in dieser Region, habe ich sehr gute Arbeitsbeziehungen und versuche, sie in das Gesamtkonzept einzubinden. Ich weiß, da schwingt eine Menge Bitterkeit über die Vergangenheit mit. Sie mussten ihre Häuser verlassen und so weiter. Aber vielleicht ist der Transfrontier-Park ein Vehikel, um ihnen neue Hoffnung zu geben. Ein Einkommen. Ein neues Leben."

Im Juni 2009 wurde der Dreiländerpark offiziell gegründet. Auf einer Sandbank zwischen den träge fließenden Limpopo und Shashe unterzeichneten die Minister aus Simbabwe, Botswana und Südafrika den Vertrag. Simbabwe als offizieller Gastgeber inszenierte die Übereinkunft wie einen Staatsakt.

Alle scheinen begeistert - auch der Landrat und Oberkommandierende der Kriegsveteranen, Albert Mdedzi.

"Ich bin davon überzeugt, dass sogar das Wild auf beiden Seiten miteinander verwandt ist und die Zäune deshalb nicht mag. Sie wollen ihre Verwandten auf der anderen Seite sehen. Und dasselbe gilt doch auch für die Menschen. Wir freuen uns auf den Tag, an dem die Simbabwer ohne Grenzen nach Südafrika können und die Südafrikaner zu uns."

Für alle könnte etwas herausspringen. Für die weißen Farmer Rechtssicherheit. Für die in Friedenszeiten nutzlosen Kriegsveteranen Jobs als Ranger und Anti-Wilderer-Späher. Für die Gemeinde Maramani, ein trockenes, kommunal-verwaltetes Gebiet, hat die Zukunft sogar schon begonnen. Sie bekam ein Bewässerungssystem spendiert samt Elefanten-Elektrozaun. Immer wieder hatten die grauen Riesen die karge Ernte zerstört.

Jubel in Maramani: Grenzen auf also, für Elefanten und Nachbarn! Aber ausgerechnet von der südafrikanischen Seite, die es mit ihrem Nationalerbe bisher doch so ernst meinte, kommt plötzlich ein Störfeuer. Die Regierung hat inmitten der beschaulichen Akazien- und Baobab-Landschaft, in nur 5,7 Kilometer Entfernung zum Weltkulturerbe, einen Steinkohle-Tagebau genehmigt. Schnell schuf der australisch-südafrikanische Konzern "Coal of Africa" vollendete Tatsachen, ehe über Umweltbeschwerden entschieden war.

Im Juli wurde trotz dieser Verfahrensverstöße die Umweltbewilligung erteilt. Anfang September beugten sich auch das Umweltministerium und die südafrikanische Nationalparkbehörde SanParks dem Druck der Kohle. Sie schlossen ein Abkommen mit Coal of Africa, dessen Inhalt nicht bekannt ist, aber angeblich weitreichende Verpflichtungen enthält: Schutz von Mapungubwe, Renaturierung, Artenschutz, Baumverpflanzungen.

Die Kohlegegner wollen sich damit nicht abfinden. Sie haben sich zur Mapungubwe Action Group zusammengeschlossen. Anwohner, Lodge-Besitzer, Umweltaktivisten, Tierschützer, Nationalerbe-Vertreter, Archäologen - auch die einflussreiche Peace-Park-Foundation. Jeden erdenklichen juristischen Schritt wollen sie gehen, um das Riesenprojekt doch noch zu stoppen. Nick Hiltermann, der Vertreter der botswanischen Tuli-Region im Dreiländerpark, ist Vorsitzender der Aktionsgruppe.

"Wenn wir diese Klage verlieren, bekommen wir hier am Limpopo eine riesige, 86 Quadratkilometer große Kohlemine hingesetzt, nur fünf Kilometer von Mapungubwe entfernt. Wenn der Wind richtig steht, wehen nicht nur Ruß und Staub vom Tagebau herüber, dann ist da noch der Lärm. Die Simbabwer werden von ihrer Seite direkt auf die Mine gucken und vielleicht sogar auf ein Kraftwerk. Wir gehen davon aus, dass weitere Minen zugelassen werden, wenn diese hier durchkommt."

Laut Regierung liegen noch etliche Anträge vor, es sollen über 20 sein. Ein Welterbe ist in Gefahr, vielmehr noch: Eine grenzüberschreitende Vision.

Kohlebagger im 24-Stundenbetrieb, Hunderte Schwerlaster täglich, Ruß, Staub, Abgase und Lärm. Billige Bergarbeitersiedlungen. Sinkende Wasserspiegel, vielleicht noch ein Kraftwerk am Limpopo. Das alles will einfach nicht passen zur Zukunftsvision Mapungubwe.

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