Kognitionswissenschaft

Nicht alle Tassen im Schrank

Ein Mann nimmt eine gelbe Tasse aus einer Schublade mit Geschirr.
"Nicht alle Tassen im Schrank" zu haben, ist heute ein geflügeltes Wort und bedeutet eigentlich etwas anderes. © dpa picture alliance/ Angelika Warmuth
Von Michael Lange · 30.05.2014
Wir alle arbeiten mit Analogien. Lernen wir etwas Neues, ordnen wir es ein, indem wir es mit Bekanntem vergleichen. Diese Praxis haben Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander untersucht. Herausgekommen ist eine interessante, aber keine leichte Lektüre.
Sobald ein Mensch etwas Neues entdeckt, vergleicht er es mit dem, was er schon kennt. Wenn er erstmals einen bestimmten Aufzug betritt, findet er sich spontan darin zurecht, denn ähnliche Aufzüge kennt er bereits. Wir Menschen blicken uns um und erkennen Anknüpfungspunkte mit dem, was wir bereits gelernt haben. Wir suchen nach Analogien, und so verstehen wir Zusammenhänge, ohne dass sie uns jemand erklären müsste.
In der Sprache meint Analogie das kreative Umschreiben einer Sache oder Tätigkeit mit Worten, die aus einem anderen Bereich stammen. Viele davon sind zum festen Bestandteil von Sprachen geworden: Jemand schneit herein, etwas geht den Bach runter, jemand hat nicht alle Tassen im Schrank.
Leser muss auf jeder Seite neu nachdenken
Die beiden Kognitionswissenschaftler Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander übertragen diese kreative Form der Suche nach neuen Begriffen auf das gesamte Denken. Ihr Buch ist eine riesige Ansammlung kluger Gedanken und überzeugender Beispiele für Analogien. Trotz der klaren und lebendigen Sprache bietet es jedoch keine leichte Lektüre. Es richtet sich an aufmerksame Leser, die bereit sind, auf jeder Seite neu nachzudenken.
Dabei wird klar, was Menschen und Computer grundlegend unterscheidet. Zwar können Computer wie Menschen die Welt in Kategorien aufteilen, um sie zu ordnen. Die Analogie allerdings ist den Computern fremd. Die Informationstechnik würde im Chaos enden, wenn ein Begriff zugleich noch etwas anderes bedeutet. Dieser kreative Umgang mit festen Kategorien ist jedoch die Basis nicht nur aller menschlichen Sprachen, sondern der Kreativität und des menschlichen Denkens überhaupt. Diese These belegen Hofstadter und Sander mit zahlreichen Beispielen.
Wissenschaftler und Erfinder denken bis heute in Analogien
So entdeckte Galileo Galilei durch sein Fernrohr kleine Punkte, die über den Jupiter zogen. Ein Computer hätte dafür beim damaligen Wissensstand keine Erklärung gefunden. Galileo Galilei aber kannte den Mond. Er sah die Analogie und vermutete sofort: Die Punkte sind die Monde des Jupiters. Das Denken von Wissenschaftlern und Erfindern folgt bis heute diesem Muster. Aber auch im Alltag prägt die Analogie unseren Umgang mit Sprache und Umwelt. Mit Hilfe des Buches lässt sich das menschliche Denken besser verstehen und sogar Fallstricke der ständigen Suche nach Analogien lassen sich erkennen.
"Die Analogie" animiert meist schon nach wenigen Seiten so sehr zum Nachdenken, dass man abschweift, und schon hat man den Text verloren. Dennoch bleibt ein positiver Eindruck. Dieses Buch mit seinen über 700 Seiten lädt ein zu einer Art geistreichem Spaziergang, der stets aufs Neue kreative Spielereien in Gedanken anregt.

Douglas Hofstadter/ Emmanuel Sander: Die Analogie - das Herz des Denkens
aus dem Amerikanischen von Susanne Held
Klett-Cotta, Stuttgart 2014
784 Seiten, 34,95 Euro