Koffer, Engel, Lebensweg

Von Thomas Kroll |
Beim 97. Katholikentag in Osnabrück kommen auch Kunstinteressierte auf ihre Kosten. Denn zeitgleich und in Kooperation mit dem Katholikentag läuft wie alle Jahre in Osnabrück das European Media Art Festival.
„Warte mal, wir müssen noch mal eben gucken.“
„Wir müssen jeden Koffer, müssen wir einzeln ...“
„Ne, warte mal, jetzt muss ich noch mal eben lass mich noch mal eben drauf gucken.“
„... schauen.“
„Das Gelbe ...“
„Das ist richtig.“
„... ist da, das Braune, das ist da. Das ist da in der Ecke.“

Gisela Mügge und Gisela Weinhorst richten 103 gleichgroße Koffer her für die Wanderausstellung „Einmal jenseits und zurück. Ein Koffer für die letzte Reise“. Jeder Gegenstand muss wieder auf den rechten Platz. Mal ist es nur ein Rosenkranz, mal ein großer Bücherstoß. Mal ist ein Koffer völlig leer, mal ist er voller Rätselhefte. Zeitgenossen packen ein, was sie auf ihre letzte Reise mitnehmen möchten.
Der Koffer eines Metzgermeisters macht Gisela Mügge, Vorsitzende der Diözesankonferenzen im Bistum Osnabrück, zunächst ratlos.

„Wieso macht der ... vier Zettel ... mit den Worten ‚Nein‘, ‚Danke‘, ‚Entschuldigung‘ und ‚Liebe‘?“

Gisela Mügge hat nachgeforscht und herausgefunden: Das Wort „Entschuldigung“ richtet der Metzger an seinen Vater. Den hat er gehasst, war der doch immer nur betrunken.

„Nachdem er aber dann im Alter danach gefragt hat, wieso und warum er getrunken hat, ist er dahinter gekommen, dass sein Vater ein unheimliches Erlebnis gehabt hat im Krieg. Er hat Menschen getötet und ist damit nie fertig geworden und ist aufgrund dessen zum Trunkenbold geworden. Damit ist aus dem Wörtchen ‚Hass‘ ‚Liebe‘ geworden.“
Der Anstoß für das Kunstprojekt „Ein Koffer für die letzte Reise“ stammt von Fritz Roth, Bestatter und Gründer der gleichnamigen Trauer Akademie in Bergisch Gladbach. Er will auf die Endlichkeit des Lebens hinweisen und auf die Frage: Was ist im Leben wirklich wichtig?

„Ich würde auf jeden Fall ein Bild meiner Familie mitnehmen, um die große Einbindung zu haben. Denn wenn man in einem crashenden Auto sitzt, dann denkt man – zumindest ging’s mir so – am ehesten an seine Familie.“

Szenenwechsel: Lucy D’Souza-Krone stellt auf dem Katholikentag Engel-Bilder aus.

„Das Thema sind: Wo ich bin geschützt, gestärkt, getröstet, geheilt, begleitet from einer sehr starken himmlische Kraft.“

Katholiken in Deutschland ist die indische Künstlerin bekannt geworden durch ein MISEREOR-Hungertuch. Das hat sie 1991 gemalt mit vielen biblischen Frauengestalten.

„Dann konnte ich für zwei Monate nicht malen und dann habe ich mit diesem Bild angefangen. Das ist der hinübertragende Engel ... Der Engel hat ihn hinübergetragen – cross the water.“

Der plötzliche Tod eines Neffen wird für die gläubige Künstlerin nach einer ersten Schaffensperiode zum Impuls für drei neue Engelbilder, eine Art Triptychon voller Blau inmitten von 20 Exponaten mit anderen satten Farben und oft symbiotischen Figurenensembles.
Auf den hinübertragenden Engel folgt zunächst der tröstende Engel.

„Und dann habe ich noch mal das Thema weiter gemalt, dass der, der gestorben ist, der ist auch in der Herz from der Engel getragen. Der ist jetzt bereit für eine Neugeburt im Himmel.“

Auf den ersten Blick mutet die Bildersammlung an wie schlichte, naive Kunst. Einzelne Bilder zeigen biblische Szenen, etwa den Engel, der dem depressiven Propheten Elia in der Wüste Beistand leistet.
Auf den zweiten Blick und im Kontext des Geistlichen Zentrums beim Katholikentag öffnen die Bilder – zumindest den Gläubigen – die Augen für die Allgegenwart von Engeln mitten im Alltag.
Wenige Meter weiter steht Eberhard Münch, Kirchenraumgestalter und Maler, vor dem ersten von zwölf Bildern des Zyklus „Jesu Lebensweg“.

„Etwas, was sich auf einmal formiert aus dem, ja in dem Fall aus dem Nichts kommend oder aus dem Himmlischen, und formiert sich und geht auf den Weg.“

Das ist abstrakte Kunst, keine einfache, aber inspirierende Kost mit großem Farbspektrum.

„Es ist eine sehr reduzierte Symbolik, die aber nur in kleinem Ansatz dem Betrachter auch nur einen Hinweis geben soll, nicht direkt, sondern nur in einer kleinen Geste.“

Zarte Farben markieren den Anfang. Eine Linie beginnt, blau kommt dazu, allmählich wechselt die Farbgebung ins intensiv Orange-Rötliche, deutet etwa die Kraft und Liebe der Seligpreisungen Jesu an. Dann schleichen sich dunklere Farben ein, künden von Unverständnis, Bedrohung und Verzweiflung. Martialische Farbgesten dokumentieren Kreuz und Tod.
Wer Münchs „Lebensweg Jesu“ abschreitet, steht am Ende zunächst vor einem drei Meter hohen Bild des Gekreuzigten. Das zeigt in dunklen Tönen eine Anmutung, Reste von Figürlichkeit und – paradox – den farbig gestalteten Satz: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“

Das letzte drei mal drei Meter große Bild ist der Auferstehung gewidmet. Hier bersten die Farben. Wie eine Fontäne schießt eine weißlich gelbe Farbspur aus chaotisch gespachtelten dunklen Farbgesten in die Höhe.

„Es war damals auch mein Ansinnen, in diesem gesamten Zyklus, dem doch noch mehr Kraft zu geben, dass es ein nicht nur Dahinhauchen ist, sondern ein explosionsartiger, in dem Fall natürlich auch symbolischer Akt.“